Jürgen Krüger
Hirnforschung

 

 

letzte Änderung dieser Webseite : 6. Sept. 2023


Der Hirnbrief 3, 2023

Gott und Affe

Der Gültigkeitsbereich der Naturwissenschaft ist enger als gemeinhin angenommen, so dass viel Platz ist für Vorgänge, die die Naturwissenschaft nicht erklären kann. Man schaue sich das Gehirn nur einmal aus seiner eigenen Innenperspektive an. Beispielsweise eine Ratte hat in Teilen ihres Gehirns Prozeduren angelegt, die die Erkennung und den Umgang mit Artgenossen regeln. In gewissem Sinn ist eine andere Ratte ein wohlorganisierter Teil des Gehirns der Ratte selbst. Hingegen diese Ratte selbst besteht "gehirnmäßig" aus ihrem gesamten Gehirn. Das hat zur Folge, dass eine Ratte zwar für die Abwicklung des Soziallebens Ratten erkennen und von anderen Tieren unterscheiden kann, aber sie hat keine Möglichkeit, zu erkennen, dass sie selbst eine ebensolche Ratte ist wie diejenigen, die sie erkennt. Sie selbst ist aus ihrer Innensicht ein Unikum. Ob sie diesen Sachverhalt erkennt, d.h. ob er in Form einer Empfindung in ihr aufscheint, ist damit nicht gesagt.

Aber ich, als Mensch, kenne diese Unikum-Empfindung sehr wohl in Form meines "ich", das in meinem Bewusstsein aufscheint. Ich kann es nur selbst sein, auch wenn andere Menschen mir per Sprache mitteilen, dass sie ebenfalls ein "ich" sind. Von dieser Empfindung weiß ich nicht, was vor der eigenen Geburt mit ihr war, und was aus ihr nach dem Tod wird. Gab es da einen Menschen (diesen als einen anderen zu bezeichnen ist schwierig), oder wird es ihn geben, der genau wie jetzt ich, eine "ich"-Empfindung hat oder hatte, die sich genau so anfühlte wie diejenige, die ich jetzt habe? Wohlgemerkt meine ich damit nicht, wie gerade gesagt, einfach jemanden anders. Die ich-Empfindung steht im Gegensatz zu der naturwissenschaftlichen Sicht, nämlich dass sowohl ich als auch andere Leute gleichermaßen Menschen sind. Wie auch immer: Jedes Tier, das den Umgang mit Artgenossen über ein Nervensystem steuert, ist im genannten Sinne ein Unikum.

Die Biologen haben keine Antwort auf die Frage, warum gerade die Affen die Vorläufer des Menschen sind. Warum denn nicht die vielgepriesenen ach so intelligenten Raben? Dann wären wir halt rabenähnlich geworden. Hingegen wenn man einmal beim Affen angekommen ist, dann weiß jedes Schulkind, dass die Entwicklung von da aus zum Menschen geht. Die Affen, nicht aber die Raben, haben nämlich in der stammesgeschichtlichen Entwicklung einen Weg gefunden, mit dem Unikumproblem zurechtzukommen.

Man kann sich gut vorstellen, was einem Tier widerfuhr, das in der stammesgeschichtlichen Entwicklung zum Affen wurde, wenn man sich einen Roboter vorstellt, der mit einer Greifzange an einem langen Arm, und einer Videokamera ausgestattet ist, und der so eingerichtet ist, dass er die Greifzangen optisch erkennt, und er deren Bewegungen mit Hilfe der Videosignale steuert. So kann der Roboter einige "Hantierungen" durchführen. Ein derartiges Gerät kann heutzutage gebaut werden. Wenn nun aber ein baugleicher zweiter Roboter seine Greifzange ins Gesichtsfeld des ersten bringt, dann entsteht ein Steuerungs-Chaos, weil die zweite Greifzange als steuerungstechnisch bedeutsam erkannt wird, aber den Bewegungskommandos des ersten Roboters nicht gehorcht. So etwas von dieser Art hat das zum Affen werdende Tier in seiner Entwicklungsgeschichte erlebt, und es musste erhebliche neurotechnische Umorganisationen vornehmen, um mit fremden Affenhänden in seinem Gesichtsfeld zurechtzukommen, denn solche Situationen waren nicht selten. Zunächst erscheint es ja als ein Nachteil, als hauptsächliches Hantiergerät (welches bei den meisten Tieren das Maul oder der Schnabel ist) Hände an langen Armen zu benutzen. Einer Ratte kann es ja nicht passieren, dass sie das Maul einer anderen Ratte für ihr eigenes Maul hält. Sie kann nicht erkennen, dass ihr eigenes Knabbern an einem Wurstzipfel eine fundamentale Ähnlichkeit hat mit derselben Aktion, ausgeführt von einer anderen Ratte. Hinzu kommt die vereinfachende Situation, dass ohnehin das eigene Maul sich gegenüber den eigenen Augen nicht verschieben kann. Die Affen mussten also zusätzlich noch mit der Schwierigkeit zurechtkommen, dass ihr neues Hantiergerät nicht fest mit den Augen (über den Schädel) verbunden ist.

Was die Affen nun anfangen mit der Fähigkeit, auch fremde Hände als Hände zu erkennen, soll hier nicht erörtert werden. Vielmehr ist nur von Interesse, dass hochstrukturierte Handbewegungen, die der Affe selbst neuronal veranlassen kann, ebensogut zustandekommen können ohne seine eigenen neuronalen Kommandosignale. Dahinter steht die neue Erkenntnis, dass Handlungen, für die ich die Kommandosignale selbst herstellen könnte, auch von anderen Wesen ausgeführt werden können. Da ist der Gedanke naheliegend, dass diese anderen Wesen vielleicht nicht nur Affen sein können: Ich sehe, wie etwas geschieht, was so aussieht wie etwas, was ich auch tun könnte. Das kommandoführende Wesen könnte jedoch auch umfangreichere Fähigkeiten haben als ich, so dass ich selbst nicht weiß, wie ein Vorgang zustandekommt. So entstand letztlich die allgemeine Vermutung, dass ein jedes Geschehen in der Welt irgendwie in derselben Weise zustandekommt wie wenn ein anderes Lebewesen sie veranlasste. Je umfangreicher das Spektrum möglichen Geschehens ist, desto mächtiger muss dieses Wesen wohl sein.