Jürgen Krüger
Hirnforschung

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Archiv Hirnbriefe 2012

5. Erfindung von Raum und Zeit

4. Vermutung: Neurone testen Neurone

3. Nicht wissen, was "Zeit" ist

2. Bau- und Funktionsplan

1. Sprache, naturwissenschaftlicher Teil B

   Nr  5 2012

Erfindung von Raum und Zeit

Es wird jetzt zunehmend mühselig, weil ich im vorliegenden Hirnbrief davon ausgehe, dass einige im Text angegebene frühere Hirnbriefe zur Kenntnis genommen worden sind.

Immer wieder habe ich betont, dass "A bedeutet B" oder "A repräsentiert B" oder "A ist ein Modell von B" oder "A ist Information über B" keine naturwissenschaftlich gültigen Beziehungen sind. Diese Sätze treffen allerdings nur zu, wenn es sich um Beziehungen zwischen Systemen, oder im Inneren eines Systems, handelt. Wenn also das eine System ein Voltmeter ist, und das andere eine Batterie, an der mit dem Voltmeter eine Spannung von 1,5 Volt gemessen wird, dann darf man nicht sagen, dass eine bestimmte Zeigerstellung für das Voltmeter 1,5 Volt Batteriespannung bedeutet. Ebenso, wenn ein Apfel von einem Lebewesen angeschaut wird, dessen Gehirnerregungen zugleich beobachtet werden, dann ist die Aussage unzulässig, dass ein bestimmtes, immer wieder im Zusammenhang mit Äpfeln auftretendes Erregungsmuster für das Gehirn des Lebewesens einen Apfel bedeute, oder diesen repräsentiere, oder ein Modell für ihn sei.

Ein Mensch, der das Ganze beobachtet, darf zwar sehr wohl sagen, dass die Zeigerstellung 1,5 Volt Batteriespannung, oder jene Erregungsverteilung den Apfel bedeute, aber er darf dann keine naturwissenschaftliche Beziehung zwischen sich und den zwei beobachteten Systemen geltend machen (wie etwa, dass nur Lichteinwirkung auf sein Auge und neuronale Prozesse in seinem Gehirn eine Rolle spielten).

Andererseits ist es das Ziel dieser Hirnbriefe, die Beziehung zwischen der neuronalen Ebene und dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins wenigstens in einer Beschreibung zu erfassen. Eine solche kann man ja auch von nicht-naturwissenschaftlichen Gegebenheiten anfertigen.

Mein Ausgangspunkt in diesem Brief soll sein, dass "ich" sozusagen ein Gehirn aus der Innensicht bin. Ich bestehe aus neuronalem Erregungsgebrodel und (eher langsam) veränderlichen Synapsen zwischen anatomischen Verbindungen. Von einer Außenwelt oder von anderen Individuen weiß ich nichts, aber ich will mir diese aus meinen inneren Vorgängen heraus konstruieren. Für das folgende Vorgehen ist eine gewisse Naivität Voraussetzung, weil in Wirklichkeit bei jedem Schritt eine enorme Menge an Einwänden entsteht (zB. wieso "ich" das ganze Gehirn bin, oder dass mit dem Konstrukt noch nichts erreicht ist, so lange nicht klar ist, ob dieses Konstrukt irgendetwas bewirken kann). Auf jeden Fall soll es keine naturwissenschaftliche, sondern eine phänomenale, immaterielle Beschreibung werden, bei der "Bedeutungen" vorkommen. Der Ausgangspunkt ist jedoch die gewöhnliche Hirnphysiologie.

Wenn ich Erregungen an bestimmte Neurone schicke (nämlich diejenigen, die Augendreh- oder Beinmuskeln ansteuern), verändern sich Signale in anderen (nämlich visuellen und ggf. taktilen) Gebieten systematisch: die von mir ausgelösten Bewegungen werden mir sensorisch wieder zugeführt. Dieses Zusammenspiel ist in mir schon längst eingerichtet. Geeigneten Elementen in diesem Zusammenwirken hefte ich die Bedeutung "Raum" (in einer fiktiven, nämlich der Außen-Welt) an. Voraussetzung für das Folgende ist, dass mir (ich bin eine rein neuronale Maschinerie) keine Konzepte von Zukunft und Vergangenheit zur Verfügung stehen; ich arbeite in Echtzeit und habe nur mit gegenwärtigen Erregungen zu tun (s.u., und Hirnbrief 3;2012).

Ich kann nun die genannten systematischen Veränderungen derart herausrechnen, dass sich als Ergebnis eine Erregungskategorie ergibt, denen ich die Bedeutung "Gegenstände" anhefte. Eine andere, ähnlich strukturierte Kategorie ist "Sensorischer Gesamteindruck meiner Umgebung". Das kann nur deswegen funktionieren, weil erstens diesem Herausrechnen viel weniger Zahlenangaben zugrundeliegen als den Gegenständen oder der Umgebung selber, und zweitens Gegenstände und Umgebung "von Gegenwart zu Gegenwart" weitgehend unverändert bleiben. Neuronal kann ich die Unveränderlichkeit jedoch nicht direkt bemerken, weil ich keinen Zugriff auf Dinge in der Vergangenheit habe. Deren Erregungen sind ja bereits abgeflaut. Es ist aber bemerkenswert, dass die durch das Herausrechnen entstehenden Gegenstände sozusagen von allein wie eine Art Speicherung wirken, weil ich sie in mehreren Gegenwarten wiederfinde.

Wenn man nur die Gegenwart kennt, muss genau bedacht werden, was ein solcher Satz heißen kann. Gegenstände (oder auch die Umgebung) erkenne ich durch "Prozeduren". Das sind Teilnetzwerke, deren synaptische Verbindungen durch Lernvorgänge oder Vererbung so eingerichtet sind, dass nur die Erregungen von bestimmten Gegenständen (enge oder weite Kategorien) die Prozedur tatsächlich durchlaufen können. Die Gegenstände werden dabei sowohl erkannt als auch in irgendeine zugehörige Zweckbestimmung (z.B. eine motorische Prozedur wie "Ergreifen") umgerechnet. Nach dem o.g. Herausrechnen kann also ein Gegenstand trotz räumlich unterschiedlicher Umstände von derselben Prozedur erkannt werden, und wenn alles gut gemacht ist, werden auch die Zweckbestimmungen, was ihre räumlichen Aspekte betrifft, mit angepasst.

Durch dieses Herausrechnen erreiche ich, dass es meinen Neuronen leichter fällt, zu bemerken, dass mir ein Gegenstand mehrfach begegnet, und er somit dazu beiträgt, die Erkennungsprozedur zu verschärfen bzw. überhaupt erst einzurichten. Längerlebige, und damit häufiger angetroffene Gegenstände erkenne ich also besser. Dass da eine Längerlebigkeit dahintersteckt, "weiß" ich jedoch nicht, weil ich mit meiner prinzipiellen Gegenwarts-Fixiertheit grundsätzlich nicht "weiß" (d.h. erregungsmäßig steht mir nicht zur Verfügung), dass ich den jetzt gesehenen Gegenstand zuvor schon einmal oder mehrfach gesehen habe.
 
Der Erfolg des Herausrechnens bringt mich auf die Idee, in Fällen z.B. von Dunkelheit, oder wenn ich mich von dem Gegenstand abgewandt habe, statt des erneut gesehenen Gegenstandes einen Speicherabruf zu verwenden, um damit, gemeinsam mit anderen Sinneseindrücken, den Gegenstand so verarbeiten zu können, als ob ich ihn sähe. Diesen Gedanken hätte ich nicht, wenn sich alles in der Welt stets rasch verändern würde.

Also richte ich Einspeicherungsvorgänge ein, mit denen Synapsenstärken ziemlich dauerhaft verändert werden, und zu diesen besitze ich auch Abrufverfahren, so dass ich Erregungsmuster, die in Teilgebieten von mir stattfanden, die aber bereits verloschen sind, erneut in Erregungsform bringen kann. All dieses beruht auf bekannten neurotechnischen Verfahren und ist im Prinzip naturwissenschaftlich verständlich. Die Tätigkeit der Steuerungsmechanismen, die ich für solche Abrufe benötige, ordnet der wiederbelebten Erregung die phänomenale Bedeutung "Vergangenheit" zu.

Wichtig ist, dass in der Innensicht eines auf naturwissenschaftlicher Grundlage funktionierenden Gehirns die Konzepte "Raum" und "Zeit" nicht vorkommen. Für "Raum" sehen die meisten Leute das noch einigermaßen ein; es erscheint einleuchtend, dass man aus den Erregungen von Muskelrezeptoren, Netzhaut-, Hör- und sonstigen Nervenzellen nicht erschließen kann, dass sich "da draußen" (von dem man nichts weiß) ein "Raum" entfaltet. Hingegen für "Zeit" erscheint das eher unverständlich, weil man ja meint, dass die Zeit ebensogut im Inneren des Gehirns wie auch in einer (unbekannten) Außenwelt vergeht. Der Sachverhalt wird in anderen Worten im Hirnbrief 3 (2012) wiedergegeben.

Vieles in meinen Hirnbriefen wird in inhaltlich überlappender Form, und in anderen Worten, mehrfach gesagt. Insbesondere den Aspekt der "Unterbrechung", hier im Beispiel durch Dunkelheit, habe ich für den Fall langdauernder Prozeduren in den Hirnbriefen 42/43,44 (2009), 5/6 (2010) und 11/12, 15/16 (2011) betrachtet. Wichtig ist dabei der vorletzte Absatz in 5/6 (2010); dort wird betont, dass das erfolgreiche Zurechtkommen mit Unterbrechungen neue Einblicke in den Aufbau von Prozeduren gewährt, die man ohne das erforderliche Management dieser Unterbrechungen nicht bekäme. Würde ein Tier sein Nest immer ohne Pause bauen, von Anfang an hintereinanderweg bis zum Ende, dann würde es nie zu einer neuronal verfügbaren Aufteilung in ein "Nest (auch halbfertig)" und den "Vorgang des Bauens" kommen; die Sache bliebe eine einzige Prozedur wie etwa "Gehen (1 Schritt)", die man ja auch nicht aufteilen kann in "Bein" und "Bewegung", weil es keine Forderung nach einer Fortsetzung eines unterbrochenen Schrittes gibt. Vielmehr beginnt man im Fall von Störungen eines Schritts von vorn mit einem neuen Schritt. Der Nestbau wird hingegen oft unterbrochen; dadurch kommt es zu Situationen, wo es zwar ein halbfertiges Nest gibt, aber es findet keine Bautätigkeit statt.

Gehirne (und eigentlich alle Organe) arbeiten IMMER mit Prozeduren; alles ist sozusagen Prozedur. Wenn man beharrlich ganz fest diesen Blickwinkel einnimmt (was Laien oft als mühselig erscheint), dann ist eine Unterbrechung etwas Besonderes, und zwar ist es nicht der Abbruch der laufenden Prozedur, sondern die Bereitstellung der Möglichkeit, diese später wieder fortzusetzen. Prozeduren werden an ihrem Erfolg gemessen, und der ist, wenn alles gut gemacht ist, nach einer gelungenen Fortsetzung ebensogut gegeben. Worin besteht denn dann der Unterschied? Zum einen ist es die Notwendigkeit, durch besondere neuronale Maßnahmen die Fortsetzung ermöglicht zu haben, und zum anderen, so würde ein Mensch sagen, ist es, dass das Werk später fertig wird, d.h. das Verfließen von zusätzlicher Zeit. Der hier vertretene Gedanke ist, dass die genannten "besonderen neuronalen Maßnahmen" irgendwie in einem engeren Zusammenhang stehen zur Entstehung des phänomenalen Zeitbegriffs. Eine naturwissenschaftlich verständliche Verbindung kann das jedoch nicht sein, deswegen würde es nicht allzuviel helfen, wenn man diese Maßnahmen genau kennen würde. Auch können diese keine Auskunft geben darüber, wieviel Zeit verflossen ist. Dies hängt vielmehr damit zusammen, wie weit andere unabhängige Prozesse vorangekommen sind. Gäbe es nur die eine einzige Prozedur (und damit auch keinerlei Uhr), dann gäbe es nichts, woran die weiterlaufende und die von Anfang an ununterbrochen laufende Prozedur unterscheidbar wären.

Immerhin ist schon jetzt ersichtlich, dass man prozedurale Abläufe (und dazu gehören auch solche, die Unterbrechungen bearbeiten) naturwissenschaftlich im Prinzip verstehen kann. Das heißt auch, dass für dieses Verständnis keine Elemente aus dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins benötigt werden. Prozeduren kann man auch dann naturwissenschaftlich verstehen, und Vorhersagen über deren weitere Entwicklung machen (wenn nicht die schiere Komplexität des Gehirns ein Hindernis wäre), wenn die Prozeduren irgendwie mit Vorgängen auf dem phänomenalen Niveau zusammenhingen. Wegen der allgemeinen Rückbezüglichkeit oder Zirkularität einer jeden Argumentation, in der sowohl Naturwissenschaft als auch das Bewusstsein vorkommen, heißt der vorige Satz jedoch keineswegs, dass das Bewusstsein eine wirkungslose Begleiterscheinung ("Epiphänomen") sei. Vielmehr sind ja naturwissenschaftliche Aussagen nicht ohne Bewusstsein möglich; wären also bei gleicher momentaner neuronaler Gesamtsituation die Bewusstseinsinhalte anders strukturiert*, dann ist es möglich, dass damit mein naturwissenschaftliches Verständnis ein anderes wäre. Es hilft da nichts, den Satz * von vornherein als unmöglich zu qualifizieren; dessen Inhalt ist sehr wohl möglich, weil die Gültigkeit phänomenaler Bedeutungen zeitlich weit über die Dauer der zugehörigen neuronalen Prozesse hinausgehen kann. Diese Geschichte wird in den Hirnbriefen 45/46 bis 51/52 (2010) ausgeführt.

Es kann also Prozeduren geben, die nichts mit dem Bewusstsein zu tun haben, und davon gibt es sehr viele. Dazu gehört auch das "prozedurale Gedächtnis", das z.B. enthält, wie man mit einem Löffel isst. Hingegen ahnt man schon, aufgrund des obigen Textes, dass eine gespeicherte "Blitzlichtaufnahme" eines Erregungszustands aus der Mitte einer laufenden Prozedur, die man später für den Wiederstart nach einer Unterbrechung braucht, irgendwie mit dem Bewusstsein zusammenhängt. Eine solche Abspeicherung würde man als die neuronale Grundlage des episodischen Gedächtnisses auffassen können. Und somit ist es bemerkenswert, dass es keine Bewusstseinsinhalte gibt, an die man sich nicht wenigstens eine Zeitlang erinnern kann. "Sich erinnern" ist immer mit einem Aufscheinen im Bewusstsein verknüpft, ganz im Gegensatz zum Abruf des prozeduralen Gedächtnisinhalts "mit dem Löffel essen". Das ist nicht selbstverständlich. Auch umgekehrt wären ja phänomenale Gehalte durchaus denkbar, die momentan aufscheinen, die aber keinerlei Erinnerung hinterließen. Auch diese gibt es nicht.

In meinen Hirnbriefen gibt es eine Abteilung "Ziele"; diese habe ich im Oktober 2012 mit einem Zusatz versehen. Dort ist zu sehen, dass die hier wiedergegebene Geschichte, zumindest was die "Zeit" betrifft, in Zusammenhang gebracht werden muss mit dem Inhalt des Hirnbriefs 52 (2009), der davon handelt, dass kurzzeitige Erregungsvorgänge mit lang anhaltenden phänomenalen Gehalten zusammenhängen können. Man ahnt schon, dass das mit der Überbrückung von Unterbrechungen zu tun hat, aber noch ist das nicht wirklich klar. Vorerst ist das Fazit, dass man im Gehirn keine Prozesse findet, die auf naturwissenschaftlicher Grundlage einen Zugriff des Gehirns auf die Konzepte "Raum" und "Zeit" erkennen lassen. Abhängigkeiten von Raum und Zeit sind damit nicht gemeint. Es gibt aber Prozesse, die irgendwie mit den phänomenalen Bedeutungen
"Raum" und "Zeit" zusammenhängen. Die Geschichte ist jedoch hiermit bei weitem nicht fertig.

   Nr  4 2012

Vermutung: Neurone testen Neurone

Ein beispielsweise für die Prozedur "Fahrradfahren" zuständiges neuronales Ensemble muss eine multisensorische neuronale Eingangssituation sowohl erkennen als auch die Weiterverarbeitung bewerkstelligen, die in einer kontinuierlichen Wiederaufnahme von motosensorischen Rückkopplungen und auch neuen Sinnessignalen besteht. Nun existieren die Spuren solcher neuronalen Ensembles ja auch dann in Form längerdauernd stabiler synaptischer Verknüpfungen, wenn man gerade nicht Fahrrad fährt. Ich halte es für denkbar, dass diese Verknüpfungen durch bestimmte neuronale Testsignale vom eigenen (allerdings für diesen Zweck zwangsläufig sehr leistungsfähigen) Gehirn regelrecht neuronal "untersucht" werden können, indem die zum Ensemble gehörigen Synapsen von anderswoher auf anderen als den normalen Verarbeitungswegen durchlaufen werden, und auch anderswo herauskommen. Dabei könnte sich beispielsweise ergeben, dass im Ensemble "Fahrradfahren" die Komponente "Fahrradlenker" enthalten ist, die sich, ganz ohne einen eigenen Zeitablauf zu enthalten, auch anderweitig verwenden lässt. Ein solches Verfahren könnte man vielleicht auch ansehen als eine Art von neuronaler "Beschreibung" eines prozeduralen Ensembles, die so ähnlich ist wie man sie tatsächlich in der menschlichen Sprache bei der Beschreibung des Fahrradfahrens vorfindet. Wohlgemerkt kann man noch nicht Fahrradfahren, wenn man nur diese Beschreibung kennt.

All diese genannten neuronalen Vorgänge wären naturwissenschaftlich verständlich. Sie stünden jedoch den phänomenalen Gehalten des Bewusstseins, vor allem den Prototypen (siehe Hirnbrief 52; 2009) näher als diejenigen Erregungen, die die ursprüngliche Radfahr-Nutzung des Originalensembles ausmachen: In den Test-Erregungen (wie auch in der menschlichen Sprache) wären die Zeitabläufe des Radfahrens nicht in der direkten Form von Echtzeit-Erregungsabläufen enthalten: die Test-Erregungen sind somit nicht "lauffähig". Ein Zusammenhang könnte hier bestehen zu dem Befund, dass die phänomenalen Gehalte des Bewusstseins keine Motorik enthalten.

Hinzu kommt, im Gegensatz zu sensorischen Signalen, die oftmals mehreren Gehirnen zur Verfügung stehen, dass diese Testsignale ausschließlich auf mein Gehirn beschränkt sind. Auch sind die Ergebnisse eher reine Feststellungen, die für das Radfahren von bestenfalls indirekter Nutzbarkeit sind, aber diese indirekte Nutzbarkeit ist ebensogut gegeben, wenn es gilt, einen bissigen Hund zu verscheuchen, und anstelle eines Knüppels nur ein Fahrradlenker zur Verfügung steht.

Weiterhin ist die lange Dauer der synaptischen Speicherung der Radfahr-Fähigkeit mit der grundsätzlichen Ewigkeitskonstanz phänomenaler Prototypen noch am ehesten verwandt.

Wenn die hier vorgestellte Annahme zutrifft, dann würden sich die phänomenalen Gehalte des Bewusstseins von denjenigen neuronalen Erregungen, die am ehesten zu ihnen passen, durch "Identität" vor allem auf der Zeitachse unterscheiden, die sich im Konzept "dasselbe" äußert: Derselbe Bleistift jetzt und nochmals 3 Stunden später angeblickt wird mit Sicherheit nicht durch zweimal identische Erregungsmuster dargestellt, zumal diese Erregungen nicht 3 Stunden lang ununterbrochen aktiv bleiben würden. Die Synapsen, die die Grundlage des zugehörigen Erkennungsensembles bilden, sind zwar ebenfalls variable biologische Elemente, aber sie kommen einer Langzeitkonstanz schon viel näher als die Erregungen. Die phänomenalen Gehalte fertigen sozusagen von dieser angenäherten Konstanz die Karikatur "absolute Konstanz" an. Diese Karikatur kann jedoch die Quasi-Dauerhaftigkeit der Synapsen nicht in Echtzeit übernehmen, weil ja die neuronalen Testsignale nicht stundenlang kontinuierlich, sondern nur mal hin und wieder arbeiten. Vielmehr muss die Karikatur auf jeden Fall mit einem Nicht-Echtzeitkonzept arbeiten: die phänomenale Empfindung der Konstanz besteht nicht darin, dass ich ständig bemerke, wie ich diese Empfindung 3 Stunden lang ununterbrochen habe. Vielmehr habe ich diese Empfindung nur hin und wieder (und dies vielleicht in Übereinstimmung mit dem neuronalen Geschehen), aber diese Empfindung ist begleitet von dem zusätzlichen phänomenalen Gehalt, der besagt, dass sie dauerhaft sei. Dieses ist ein Kennzeichen der Nicht-Echtzeitverarbeitung: eine kurzzeitige Erscheinung bedeutet eine Langzeiterscheinung, die ich dadurch als Langzeiterscheinung auffasse. Viele Gelehrte würden diesen Satz vielleicht schlucken, aber er hat ja auch die Konsequenz, dass meine Auffassung einer Langzeiterscheinung auch dann besteht, wenn die kurzzeitige Erregung vorbei ist, und somit gar kein Neuron mehr tätig ist, um den Langzeit-Sachverhalt weiterhin zu "signalisieren". Und dieses wollen die meisten Gelehrten nicht schlucken. Irgendeinen Gedächtnisabruf ins Feld zu führen, hilft da nicht.

Es wäre nett, wenn sich zeigen ließe, dass die Testsignal-Ergebnisse sich zugleich nutzen ließen, um unterbrochene Prozeduren fortzusetzen. Das ist insbesondere wichtig, wenn die Prozedur umfangreich ist, aber nicht nur aus lauter kleinen sich wiederholenden Prozeduren besteht, und die für die Fortsetzung notwendigen Daten nicht einfach durch das sensorische Erfassen des bereits Geleisteten gewonnen werden können (siehe Hirnbrief 11/12; 2011 und frühere, die dort genannt werden). Es wäre noch viel netter, wenn sich diejenigen Gelehrten, die sich mit Modellierungen und Simulationen von neuronalen Netzwerken befassen, und dazu ganze Arbeitsgruppen unterhalten, überhaupt mal über die Frage von Test-Erregungen beugen würden.

Nochmals sei betont, dass durch diese Geschichte, selbst wenn sie zuträfe, die Natur der phänomenalen Gehalte des Bewusstseins naturwissenschaftlich nicht erklärt werden kann.

Ich habe diese Geschichte nur mal zwischendurch geschrieben, weil ich weiterhin nicht gut vorankomme mit dem phänomenalen Teil der menschlichen Sprache. (Auf meine Anfrage, wie man mit dem Problem zurechtkomme, dass man beim Erlernen der Sprache die Bedeutung des Gesprochenen erlernen will, "Bedeutung" aber generell kein naturwissenschaftliches Konzept sei, und "Bedeutung" auch keine Eigenschaft von neuronalen Erregungsprozessen sein kann, erhielt ich von einer renommierten Gelehrten die goldig-schlichte Antwort: "Warum nicht? Das gleiche nimmt man gerne für die Bedeutung von Bildern an. Oder nicht?".) Hinzu kommt nun auch noch das aus der Physiker-Ecke stammende Projekt, "Zeit" zu verstehen als eine Folge der gedanklichen Abspaltung eines Subsystems innerhalb eines abgeschlossenen physikalischen Gesamtsystems (angedeutet im Hirnbrief 2;2012). Vielleicht finde ich auch für dieses Vorhaben bedeutende Gelehrte, die die Sache mit einigen kurzen, locker hingeschmissenen Sätzen erledigen.

   Nr  3 2012

Nicht wissen, was "Zeit" ist

Wie ist es, wenn man eine Ratte ist, und, wie hier angenommen wird, kein Bewusstsein hat? Als Mensch kann man zwar auch vieles unbewusst abwickeln, aber deswegen ist man kein Wesen ohne Bewusstsein. Ein wesentlicher Aspekt des Bewusstseins ist die "ausdrückliche Zeit": Der Mensch kann sich erinnern. Das bedeutet, dass jetzt in ihm neuronale Prozesse ablaufen, die aus jetzt vorhandenen Gedächtnisspeichern geholt werden, die aber auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins als "gestern gültig" erscheinen. Hat man hingegen kein Bewusstsein, dann besteht gar keine andere Möglichkeit als diejenige, eine gegenwärtige Erregung als gegenwärtig aufzufassen, oder vielmehr wird sie überhaupt nicht "aufgefasst", sondern es handelt sich einfach nur um einen physiologischen Vorgang, wie er grundsätzlich auch in der Niere vorkommt.

Freilich habe ich, eine Ratte, ein Gedächtnis. Ich nähere mich einer engen Röhre, aus der Nahrungsdüfte kommen, und da (Schreck!) fährt plötzlich ein elektrischen Schlag in meinen Körper. In mein Nervensystem wird daraufhin eingespeichert, dass ich (am nächsten Tag) einen erneuten Sinneseindruck von dieser Röhre, der jetzt zu mir gelangt, so weiterverarbeite, dass ich mich jetzt nicht wieder dorthin begebe. All dieses ist Gegenwart, auch die dafür benutzten Speicherinhalte. Was da gestern passiert ist, ist mir nicht mehr zugänglich; in diesem Sinne habe ich überhaupt keine Erinnerung. Ich habe keine Möglichkeit, zu "wissen", dass ich gestern noch ganz harmlos auf die Geruchseindrücke von dieser Röhre reagiert habe; ich "weiß" nicht, was "gestern" überhaupt bedeuten soll, und nicht nur das, für mich gibt es überhaupt keine Bedeutungen. Dennoch gelte ich mit Recht als schlau, denn ich vermeide von nun an, nachdem ich nur einmal diesen Schlag abbekommen habe, derartige Röhren, und habe hinreichende Fähigkeiten zur Verallgemeinerung, so dass ich mich nicht reinlegen lasse, wenn man versucht,  die Düfte, oder das Aussehen der Röhre abzuwandeln.

Auch eine zweite Ratte, die mich gestern beobachtet hat und dies heute erneut tut, und die meinetwegen sogar imstande sein soll, die gesamte neuronale Aktivität in meinem Gehirn zu beobachten, hat keine Möglichkeit, herauszubekommen, was mit "gestern" gemeint sein könnte. Gestern hat sie an mir ein bestimmtes (argloses) Verhalten an dieser Röhre, und dann die Wirkung des elektrischen Schlages beobachtet, mitsamt meinen neuronalen Erregungen, und all dieses abgespeichert (in Wirklichkeit würde sie das aus Kapazitätsgründen nicht schaffen). Heute beobachtet sie mein verändertes mißtrauisches Verhalten und die begleitende Neuronenaktivität, und zusätzlich ruft sie ihre Speicherinhalte von gestern ab. Nur ist eben dieser Abruf erneut ein gegenwärtiger Vorgang. Diesen kann sie irgendwie mit meinen jetzigen frischen Daten vergleichen, und die Ergebnisse können vielleicht sogar konkrete neuronale Folgen haben, aber wie auch immer man es dreht: all dieses sind wieder gegenwärtige Prozesse. Nichts weist für eine Ratte auf ein "gestern" hin. Woher soll denn die Idee kommen, dass es so etwas wie "Zeit" überhaupt gibt?

Ich als Mensch habe diese Idee auf dem phänomenalen Niveau meines Bewusstseins. Oder vielmehr ist es keine Idee, sondern ich kann gar nicht anders als meine Beobachtungen des Verhaltens und der Nervenerregungen der ersteren Ratte zwangsläufig einzuteilen in einen Teil, der gestern passierte und einen anderen heutigen. Insgesamt und durchweg empfinde ich einen "Fortgang" der Zeit. Phänomenal bin ich nicht imstande, mir die Zeit "wegzudenken", obwohl auch für mein Nervensystem dasselbe gilt wie für das der Ratte.

Man bemerkt das Problem, wenn man versucht, alle hier vorkommenden Sachverhalte zu beschreiben, aber dabei nur grammatikalische Präsens-Formen benutzen darf: Da gibt es dann also (oder aber ich befinde mich in) einen(m) sozusagen virtuellen Zustand (nämlich "gestern"), der irgendwie so ähnlich ist wie "ein richtiger Zustand" (nämlich ein gegenwärtiger). - Schon dieser Satz ist irreführend, weil ich mich immer in einem solchen "richtigen Zustand" befinde, und es nicht ersichtlich ist, wie ich denn nun in diesen virtuellen Zustand gelange.

Bestenfalls kann man in einer umfassenderen Weise alle Zustände von Ewigkeit zu Ewigkeit gemeinsam als einen Hyperzustand auffassen, der eben alle Einzelzustände zu allen Zeitpunkten einschließt. Das gesamte neuronale Geschehen mitsamt allen synaptischen Speicherveränderungen wäre darin enthalten. Ein solches eher theoretisches Konzept könnte auch den Parameter "Zeit" enthalten, aber es könnte nur von einem Menschen mit einem Bewusstsein erstellt werden, der schon weiß, dass es diesen Parameter gibt, oder der diesen als nützlichen Ordnungsfaktor erkennt. Aus einem derartigen (naturwissenschaftsverträglichen) Konzept würde jedoch nicht die phänomenale Sicht hervorgehen, nämlich dass man sich jeweils in einem von allein voranschreitenden einzelnen "jetzt"-Zustand befindet. Diese Hervorhebung des Jetzt ist, wie wir alle schon lange wissen, in der Naturwissenschaft nicht enthalten.

   Nr  2 2012

Bau- und Funktionsplan

Leider werden meine Hirnbriefe immer länger, aber deshalb auch immer seltener. Ich empfehle deshalb, vergleichweise meinen allerersten Hirnbrief 3 (2009) zu lesen, der übrigens auch gut als Party-Gag einsetzbar ist, anzuwenden auf "wissenschaftlich am Gehirn Interessierte".
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Es gibt da die wohlbekannte, uralte Denk-Alternative: "(R) die Welt ist eine absolute Realität" versus "(K) die Welt ist ein Konstrukt des (oder meines) Gehirns oder Geists". Entscheiden läßt sich das ohnehin nicht. Aber man kann ein reduziertes Programm verfolgen: Welche wissenschaftlichen Betrachtungen passen denn eher nach (R), und welche nach (K)?

Rein klassisch und naiv gedacht, kann im Prinzip sowohl vom ganzen Weltall, als auch von einem komplett isolierten (mechanisch gedachten) Gehirn ein "Bau- und Funktionsplan" (auch Hamiltonfunktion genannt) hergestellt werden. Oder vielmehr existiert dieser Plan gedanklich; ob jemand ihn nach Wissenschaftlerart herstellen kann, ist ein anderes Problem. Niemand weiß, wie man die Variablen, die in einer formelmäßigen Beschreibung vorkommen, ermittelt werden können. Aber es ist eigenartig, dass darin keine "Zeit" vorkommt; vielmehr sieht solch ein Plan eher so aus, wie wenn man die technischen Details eines Systems aus Gewichten, die durch Stahlfedern miteinander kreuz und quer verbunden sind, beschreibt. Eine solche Beschreibung würde enthalten, welche Massen genau durch welche Federn verbunden sind, wie steif der Stahl einer jeden Feder ist, und wie sich die Tatsachen, dass die Bauteile eine Masse haben, oder dass sie starr sind, auf ihr Bewegungsverhalten auswirkt. Wohlgemerkt wird dabei keine Bewegung tatsächlich als Durchlaufen einer Abfolge von Zuständen beschrieben. Bestenfalls steht in der Beschreibung, dass das System irgendwie wackeln kann.

Der "Natur" scheint das zu genügen. Mit "Natur" meine ich hier, wie in der Physik üblich, das ganze Geschehen im Weltall, mit Ausnahme des Gehirns oder Geists desjenigen, der das alles beobachtet. Also stecke ich diese Sachverhalte in die Abteilung R ("Realität"), und zwar betone ich, sofern die Isolation gegeben ist, dass da nicht irgendetwas fehlt. Punkt, und nichts weiter. Diese Realität umfasst also eine Vielzahl von individuellen Bewegungsmöglichkeiten, die gegeben sind durch die Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten, das System anzustoßen. Dennoch, als Bau- und Funktionsplan gedacht, ist die genannte Beschreibung vollständig. Sie beschreibt jedoch keineswegs alles, was als System überhaupt zusammengebaut werden könnte, sondern sie greift das vorliegende System als einziges heraus aus anderen, nicht realisierten Möglichkeiten.

Es ist wichtig, diese beiden Ebenen der Auswahlmöglichkeiten nicht zu verwechseln: Die Ebene (1) ist: Ein Bau- und Funktionsplan ist realisiert und gilt damit als real. Andere solche Pläne sind denkbar, aber sind nicht realisiert. Die Ebene (2) ist: Im Rahmen des real existierenden Plans ist eine Vielfalt von Bewegungsabläufen möglich.

Nun lassen sich aus der wissenschaftlich-systematischen Version des Bau- und Funktionsplans, nämlich der schon genannten Hamiltonfunktion, die sogenannten Bewegungsgleichungen rechnerisch ableiten, und in diesen taucht nun die Zeit auf. Das kann man in Lehrbüchern der klassischen Mechanik nachlesen.

Das Anliegen des vorliegenden Hirnbriefs ist, darzulegen, dass der letztgenannte Schritt besser in der obengenannten Abteilung "K" (Konstrukt des Geistes/Gehirns) aufgehoben ist.

Die Lösungen der genannten Bewegungsgleichungen sind "Wenn-Dann"-Beziehungen, die für den Fall eines einfachen Pendels besagen, dass das Pendel, wenn ich es zu einem beliebigen Moment aus einer bestimmten Stellung loslasse, es dann nach einer berechenbaren Zeitspanne am entgegengesetzten Umkehrpunkt ankommen wird. Um all dies vollständig festzuklopfen, muss ich einen konkreten Startzeitpunkt mit Datum und Uhrzeit auswählen, um schließlich sagen zu können, wann (Datum und Uhrzeit) jener Umkehrpunkt erreicht wird. Im Fall eines komplexen Systems wie etwa einem Gehirn muss eine riesige Menge von Einzeldaten vorgegeben werden, um dann berechnen zu können, welche Konfiguration der Variablen nach einer bestimmten Zeit erreicht wird. Da muss man beispielsweise auch "Impulse" vorkommender Körper angeben (winzig, aber doch massebehaftet), und manche Wissenschaftler glauben, weil Impulse mit Geschwindigkeiten zusammenhängen, dass man da sozusagen durch die Hintertür den Zeitbegriff bereits einschleust. Das mag ja für diesen Fall zutreffen, aber für den bereits von mir in die Abteilung (R) gesteckten Bau- und Funktionsplan gilt das nicht; dort kommen die Impulse nur in allgemeiner Form vor.

Der Abteilung "K" anzugehören heißt auf keinen Fall, dass es keine strengen Regeln gäbe. Zwar trauen die meisten Leute (mit einer gewissen Berechtigung) dem nassen, weichen, unpräzisen Gehirn derartiges nicht zu. Gerade deshalb muss man das phänomenale Niveau des Bewusstseins betrachten, dessen Beziehung zur Naturwissenschaft und auch zum Gehirn freilich unklar ist, aber genau auf diesem Niveau findet man die Kenntnis naturwissenschaftlicher Sachverhalte überhaupt nur vor. Nur dort gibt es exakte Konzepte. Auf dem neuronalen Niveau läuft zwar alles nach naturwissenschaftlichen Prinzipien ab, aber dort gibt es kein Wissen über Naturwissenschaft; die Neurone tun einfach nur ihren Dienst, immer gerade nur so präzise, dass eine höhere Präzision keinen zusätzlichen Vorteil mehr bringt (und da genügt oftmals eine erstaunlich geringe Präzision).

Das ausgefeilte gedankliche Gebäude der Hamiltonmechanik wird nun weiter benutzt. Zunächst ist wichtig, dass die wirklich ideale Hamiltonmechanik nur in völlig isolierten Systemen gilt. Dennoch wird im Rahmen dieser Theorie auch folgender Fall betrachtet: Angenommen, man hat zwei getrennte, jeweils völlig isolierte Systeme mit je einer Hamiltonfunktion. Nun wird durch zusätzliche Bauelemente eine Kopplung der beiden Systeme hergestellt, oder vielmehr wird ein neuer Fall betrachtet, in dem die beiden Systeme für alle Ewigkeiten gekoppelt sind. Es ist klar, dass dann im Prinzip (a) eine all dieses zusammenfassende neue Hamiltonfunktion erstellt werden kann, wie komplex auch immer diese sein mag (oder zumindest existiert diese Funktion). Weniger einleuchtend ist, dass man auch (b) das eine der beiden Systeme allein weiterbetrachten kann. Dann muss man allerdings eine zusätzliche Komponente verwenden, die den vom zweiten System ausgehenden Einfluss erfasst, wobei es bemerkenswert ist, dass diese Komponente dann explizit zeitabhängig ist. Hingegen die zuvor genannte reguläre Möglichkeit (a), eine Gesamtfunktion zu erstellen, enthält, wie auch sonst immer für isolierte Systeme, keinerlei Zeitabhängigkeit.

In anderen Worten: Wenn man zunächst ein abgeschlossenes bekanntes System betrachtet, und führt dann eine Kopplung mit einem weiteren System ein, dann kann man nur zu einer erneut zeitunabhängigen Gesamt-Hamiltonfunktion kommen, wenn man auch das hinzugekommene System bis ins letzte Detail kennt. Wenn man aber nur diejenigen Anteile berücksichtigen will, die tatsächlich zur Beeinflussung des ersteren Systems beitragen, dann geht das nur mit Hilfe einer sonst nie vorkommenden, zusätzlichen zeitabhängigen Komponente der (einzigen) Hamiltonfunktion des ursprünglich abgeschlossen gewesenen Systems. Eine solche Hamiltonfunktion kann man dann nicht mehr als richtigen "Bau- und Funktionsplan" auffassen. Einen zeitlich veränderlichen Plan ist man ja nicht bereit, wirklich als Bauplan aufzufassen (es sei denn, man ist der Leiter eines baulichen Großprojekts).

Der entscheidende Punkt ist: sobald man ein Ausgangssystem mit einem zusätzlichen System in Kontakt bringt, will aber nur das erstere weiterhin im Detail im Auge behalten, dann genügt es nicht mehr, von dem neu angekoppelten System dessen ursprünglichen Bau- und Funktionsplan (d.h. die zeitunabhängige Hamiltonfunktion des isolierten Systems) zu kennen, sondern dann muss man die obengenannte Ebene 1 verlassen, und muss auf der Ebene 2 individuelle Zeitabläufe betrachten.

Es lohnt sich, genauer hinzuschauen, was das alles bedeutet. Die Idee, dass etwas "real" sei, bedeutet ja, dass sozusagen "die Natur weiß, wie es beschaffen ist", ("Natur": siehe oben) und man nicht erst Messungen oder Beobachtungen durchführen muss. Das betreffende System existiert auch dann, wenn niemand hinschaut. Ein existierendes abgeschlossenes System hat seine Hamiltonfunktion; sozusagen kennt die Natur diese und richtet sich danach. "Abgeschlossen" bedeutet wohlgemerkt "abgeschlossen für alle Zeiten", und nicht etwa "Systemherstellung zu einer bestimmten Zeit, und danach Abgeschlossenheit". In Fällen von Abgeschlossenheit, sofern man imstande ist, die Hamiltonfunktion des Systems zu ermitteln, kann man die schon genannten Bewegungsgleichungen berechnen, einen Satz von Variablenkonfigurationen zu einem Zeitpunkt vorgeben, und damit den zeitlichen Verlauf der Bewegungen des Systems vorhersagen. Das geht nur deshalb, weil die klassische Mechanik erlaubt, ein abgeschlossenes System zu beobachten, ohne dabei dessen Abgeschlossenheit zu zerstören.

Die im vorliegenden Hirnbrief im obigen Punkt (K) vertretene Idee ist, dass "die Natur nicht weiß, wie die Zeitverläufe beschaffen sind", die aus einer Hamiltonfunktion berechnet werden können; die Möglichkeit, diese Berechnung überhaupt durchzuführen, ist ihr unbekannt und damit sozusagen unnatürlich. Letztlich heißt das: Die Natur "weiß überhaupt nicht, was 'Zeit' ist". Sie ist mit ihren Bau- und Funktionsplänen zufrieden, die sie als vollständige Beschreibungen der Welt auffasst.

Was das in dieser eher märchenhaften Ausdrucksweise genau heißen soll, ist natürlich unklar, aber es ist gerade so unklar wie das ganze Bewusstsein, und vielleicht dessen Hauptproblem.

Die hier verfolgte Idee ist, ein Gehirn in einem ersten gedanklichen Schritt als ein vollständig abgeschlossenes System anzusehen. Hierzu gibt es bereits die Hirnbriefe 21 und 32 (2009) sowie 43/44 (2010). Freilich ist ein isoliertes Gehirn völlig nutzlos. Es hat seine Hamiltonfunktion, aus dieser ließen sich nach Lehrbuchverfahren Bewegungsgleichungen ermitteln, die angeben, wie die Zellaktivität so vor sich hinbrodelt. Freilich erhält man damit nur Zeitverläufe, die nur hirnintern gelten, und in gar keiner Weise irgendetwas mit einer Außenwelt zu tun haben. Und dann müßte man noch eine riesige Zahl von Variablenmesswerten zu bestimmten Zeiten ermitteln, um schließlich für diese hirninternen Vorgänge vorhersagefähig zu werden. In der Praxis würde die Komplexität des Gehirns dies verhindern, aber darum geht es hier nicht.

Nun tritt gemäß dem obigen Programm zur Hamiltonfunktion des isolierten Systems "Gehirn" eine explizit zeitabhängige Komponente hinzu, die die Isolation beseitigt, und die die Wechselwirkungen dieses Gehirns mit dem Weltall (ohne das betrachtete Gehirn) beschreibt. Erst damit würde es zu einem nutzbringenden Gehirn. Nun wird das Ergebnis dieses Manövers leider im allgemeinen nicht sein, dass in der neuen kombinierten Hamiltonfunktion die alte des isolierten Gehirns erkennbar getrennt bleibt von der neu hinzugekommenen zeitabhängigen Komponente. Vielmehr ist der allgemeine Normalfall, dass das Alte und das Hinzugekommene unentwirrbar miteinander verrührt werden. Allerdings besteht die Hoffnung, und deswegen sind die obengenannten Hirnbriefe überhaupt nur geschrieben worden, dass eine angenäherte Entwirrbarkeit noch gegeben sein könnte, wenn das System Gehirn nur in geringem Ausmaß seine Isolation verliert. Dass sich das menschliche Gehirn gerade durch diese Situation auszeichnet, ist in den genannten Briefen dargelegt worden.

Nochmals in anderen Worten: Nur ein völlig abgeschlossenes System (hier das Gehirn) kann in Form eines Bau- und Funktionsplans ohne Zeitbegriff auskommen (auf der oben genannten Ebene 1). Darin ist zwar auf der Ebene 2 eine große Vielfalt von möglichen komplexen Bewegungsmustern enthalten, aber davon weiß die Natur nichts. Wird hingegen das System geöffnet, dann besteht nur noch die Möglichkeit, jeweils einen einzigen Fall auf der Ebene 2 herauszugreifen, und diesen von vornherein mitsamt seiner Zeitabhängigkeit zu betrachten. Dieser scheint dann auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins auf. Das ist es halt, was man von der Welt bewusst erfährt. Ein Zeitverlauf ist immer dabei, man kann ihn sich nicht wegdenken.

Sozusagen "aus der Sicht der Natur" sieht das folgendermaßen aus: Die Natur würde, wenn es überhaupt nur ein Gehirn und sonst nichts gäbe, von diesem die zeitunabhängige Gesamt-Hamiltonfunktion kennen. Tritt nun das Weltall hinzu, und es entsteht zu ihm ein Kontakt, oder aber beschließt man, ein in einem Gesamtweltall enthaltenes Gehirn getrennt zu betrachten, dann würden derartige Sichtweisen von der Natur nicht zur Kenntnis genommen, sondern es bliebe dabei, dass es nur die jeweilige zeitunabhängige allumfassende Hamiltonfunktion gäbe. Es ist allein ein Problem der gedanklich abgetrennten Gebiete, solche Sichtweisen einzunehmen und auch deren Folgen auf sich zu nehmen, nämlich sich daraufhin zwangsläufig mit dem Konzept der Zeit herumschlagen zu müssen.

Das ist es, was ich als Mensch erlebe, wenn ich mein Gehirn von der allumfassenden Welt gedanklich abtrennen  will(*). In der Realität R ist das natürlich gar nicht passiert, so dass, wenn es mir gelingt, eine möglichst realitätsnahe Naturwissenschaft zu betreiben (nur aus derartigen Bemühungen kenne ich ja überhaupt nur diese Geschichte), ich von den Auswirkungen dieser Trennung nichts finden werde. Da gäbe es nur eine riesige zeitunabhängige Hamiltonfunktion des gesamten Weltalls mitsamt allem, was es enthält, unter anderem auch meinem Gehirn. In der klassischen Naturwissenschaft in Form der Hamiltonmechanik ist das nicht offensichtlich, denn im vorliegenden Hirnbrief musste ich ja den rechnerischen Schritt von der Hamiltonfunktion zu den Bewegungsgleichungen als Trennschwelle zwischen "Realität R" und "Konstrukt des Gehirns/Geists K") ausdrücklich benennen. Einfach nur der lehrbuchmäßigen Gesamtheit der mathematischen Gleichungen der Hamiltonmechanik ist der Übergang von R zu K nicht anzusehen. Vielmehr wird das Auftreten der Zeit in diesem Rahmen üblicherweise mit zur Naturbeschreibung gezählt.

In der Quantenmechanik, die ja als "wahrer" als die klassische Mechanik gilt, ist das schon anders, denn diese erlaubt grundsätzlich nur die Betrachtung völlig abgeschlossener Systeme. Freilich tritt dort an die Stelle der Hamiltonfunktion die (ebenfalls zeitunabhängige) Schrödingergleichung, aber diese enthält, angewandt auf irgendein System, in der Tat auch wieder eine Vielfalt von Möglichkeiten, die der obengenannten Ebene (2) indirekt entspricht. "Indirekt" deshalb, weil sich in dieser Theorie Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen all diesen Möglichkeiten ausrechnen lassen, aber dabei kommt niemals zum Ausdruck, wann denn nun ein solcher Übergang eintritt.

Allerdings gibt es auch noch eine "zeitabhängige Schrödingergleichung", aber diese ist irgendwie ein krummer Hund, weil eigentlich das Prinzip "isoliertes System" viel strenger zu beachten ist als in der klassischen Hamiltonmechanik, die Zeitabhängigkeit aber wie im klassischen Fall einen Einfluss von außerhalb des Systems bedeutet. Insbesondere sind auch bei der "richtigen" (d.h. zeitunabhängigen) Schrödingergleichung diejenigen Wechselwirkungen, die für eine Beobachtung nötig sind, nicht erlaubt, was natürlich für den beobachten-wollenden Wissenschaftler betrüblich ist. Wenigstens hat man in pragmatischer Weise einen Zusatz zur Quantentheorie gebastelt, der der eigentlichen Theorie angepäppt wurde, der zum Teil auf klassische Aspekte zurückgreift, und der dann in etwa wiedergibt, was man trotz der genannten Hindernisse beobachten kann. Dabei taucht dann die berühmte Heisenberg'sche Unschärferelation auf.

Es ist jedoch keineswegs so, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den intuitiven Unverständlichkeiten der Unschärferelation und des Bewusstseins gäbe.

Vielmehr muss man zurückgehen zu dem Satz (*) weiter oben in diesem Brief: die dort genannte Abtrennung ist eine gedankliche, die in der eigentlichen Natur R nicht zu finden ist. Mit diesem "gedanklich" hängt nun die Existenz des phänomenalen Niveaus des Bewusstseins zusammen, und nur auf diesem Niveau findet man den Zeitbegriff als (vielleicht irgendwie indirekte) Bedeutung von Erregungsprozessen. Im einfachsten Fall kann ein Erregungsprozess, der jetzt stattfindet, einen Erregungsprozess zu einem anderen Zeitpunkt bedeuten. Wie schon oft betont, ist "A bedeutet B" ganz allgemein keine naturwissenschaftliche Beziehung.

Dass die rein gedankliche Abtrennung existiert, weil es dafür eine ungefähre materielle Grundlage gibt, hatte ich oben schon erwähnt. Und wie gesagt: Wenn man die oben beschriebene Kontaktaufnahme des Gehirns mit der Außenwelt formal betrachtet, dann kommt ja zu einer gedachten Hamiltonfunktion eines isolierten Gehirns nicht einfach eine zeitabhängige Komponente in Form eines als getrennt erkennbaren Summanden hinzu, sondern die äußeren Einflüsse vermischen sich gründlich mit denen des isolierten Gehirns. Nur diesen Fall gibt es ja überhaupt. Es bedarf weiterer theoretischer Überlegungen, ob denn nicht vielleicht die relative Schwäche der materiellen Kopplung dazu führt, dass Außenweltvorgänge phänomenal als von inneren Vorgängen abtrennbar erkannt werden können.

Wenn ich schon sage, dass die Realität keine Zeitabhängigkeit kennt, aber andererseits die Realität das ist, was man üblicherweise unter "naturwissenschaftlich erfassbar" versteht, dann erscheint es ja als ein Widerspruch, dass Naturvorgänge, und insbesondere auch neuronale Prozesse, in der Naturwissenschaft in Form zeitlicher Verläufe auftreten. Das kommt jedoch von der Tatsache, dass zwischen der "eigentlichen Realität" und der naturwissenschaftlich erfassbaren immer eine Beobachtung liegt, und diese hängt immer in der geschilderten Weise mit der gedanklichen Abtrennung des Gehirns von der Welt zusammen, und bringt auf diesem Wege die Zeitabhängigkeiten herein. Ich kann deshalb nicht anders, als jeden Vorgang phänomenal eben als zeitlich verlaufenden Vorgang aufzufassen, so dass ich sogar einen niemals zeitlich veränderlichen Gegenstand ansehen muss als etwas, das einen Zeitverlauf in Form einer Unveränderlichkeit besitzt.

Immerhin, wenn man die Quantentheorie anschaut, erscheint aus diesem Blickwinkel die hier hauptsächlich erörterte klassische Trennlinie zwischen R und K nicht ganz richtig gezogen, weil man dazu neigen würde, die Übergangswahrscheinlichkeiten auch noch mit zu R zu zählen, so dass nur die reine Zeit zu K gehören würde.  Weiterhin lässt sich vielleicht irgendwie zeigen, dass das zeitliche Phänomen "jetzt" mit dem sogenannten Kollaps der Wellenfunktion zusammenhängt. Das wäre dann sozusagen ein Übergang von einer zeitlosen, unbeobachtbaren Situation im Bereich R zu einer beobachtbaren Situation im Bereich K, die zu einem regelrechten Zeitpunkt stattfindet. Immerhin haben diese Erscheinungen im Rahmen der Naturwissenschaft beide einen obskuren Status; zudem gehorchen beide einer Zeit-Pfeilrichtung. Es könnte ja sein, dass ein klassisches System im Moment "jetzt" von der obengenannten Ebene 1 in die Ebene 2 fällt. Da gibt es noch viel Arbeit, zumal hinzukommt, dass in sicherlich kritikwürdiger Weise das Konzept "Raum" bislang überhaupt nicht vorkommt in meiner Geschichte. Aber mit dem Gehirn will sich ja niemand so richtig befassen, und schon gar nicht im Rahmen der sogenannten modernen Hirnforschung, die ja dafür verantwortlich ist, dass man angeblich heute viel mehr vom Gehirn versteht als früher.

Nun gibt es ja in der Realität R mehrere menschliche Gehirne. Da aber die Abtrennung eines Gehirns ein rein gedanklicher Vorgang ist, der sozusagen vom abgetrennten Teil selber vollzogen wird, bleibt diese Abtrennung subjektiv. Jeder Teil des Gesamtkosmos kann gedanklich diesen Schritt vollziehen, und kann dann auch nur selber sehen, was er erlebt. Es wäre zu überlegen, was das für Teile des Weltalls heißt, die überhaupt nicht gehirnähnlich sind. Weiterhin ist zu klären, wie es dazu kommen kann, dass die Zeit, als mir aufgezwungenes Konzept, weil ich sozusagen mich vom Weltall abgespalten habe, nach Alltags-Auffassung interindividuell dieselbe ist. Da habe ich den Verdacht, dass sich diese Übereinstimmung, wie auch die Übereinstimmung über weitere Details der Welt, auf dem Wege über die menschliche Sprache vollzieht, und zwar nicht einfach über die beim Sprechen hin und hergeschickten hochstrukturierten Luftdruckwellen, sondern über deren Bedeutungen, die sich nicht auf einem naturwissenschaftlich erfassbaren neuronalen, sonderen auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins (und zwar nur meines Bewusstseins) befinden. Am Thema der Sprache, und zwar von deren phänomenalen Teil (also den Bedeutungen) bin ich ja schon mehrmals gescheitert, wie ich in verschiedenen Hirnbriefen getreulich gemeldet habe.

Spätestens hier wird deutlich, dass alle Betrachtungen, die die Naturwissenschaft plus das Bewusstsein umfassen, zirkulär oder rückbezüglich werden, d.h, was man am Ende herausbekommt, hängt davon ab, was man am Anfang gesagt hat, und dies hängt wiederum mit jenem Ende zusammen. Da kann man nur hoffen, dass durch immer wieder anderes Herumrühren in allen verfügbaren Sachverhalten doch mal die eine oder andere Einsicht zustandekommt.

   Nr 1 2012

Sprache, naturwissenschaftlicher Teil B

Zum Thema gibt es schon die Hirnbriefe 4;2009 sowie 5/6 und 25/26;2011. Es geht um die Behauptung, dass die beiden Individuen Alma und ich den vor uns liegenden rostigen Auspuff, den wir beide gleichzeitig anschauen, als objektiv existent auffassen, wohingegen die Empfindung der Freude darüber, dass es gelungen ist, diesen am Auto durch einen neuen zu ersetzen, subjektiv sei.

Bei der Entstehung dieser Auffassungen geht es insbesondere um die Rolle dritter Personen, die das alles beobachten, sowie um die Rollen sowohl der Sprache als auch von Verhaltensbeobachtungen unter Ausschluss der Sprache.

Der Grund für das Bemühen ist natürlich, dass die Objektivität eine wesentliche Grundlage der klassischen Naturwissenschaft ist, d.h. dass beobachtete Sachverhalte unabhängig vom Vorgang der Beobachtung und vom individuellen Beobachter sind.

Die im Rahmen meiner Hirnbriefe nicht in Frage gestellten Ausgangs-Sachverhalte sind: Sowohl der Auspuff als auch die Freude erscheinen auf dem phänomenalen Niveau meines Bewusstseins. Alma sendet strukturiere Luftdruckwellen aus, deren Bedeutung bei mir ist, (d.h., die auf meinem phänomenalen Niveau aufscheint), dass sie den Auspuff sieht, und dass sie sich freut. Diese Bedeutungen können bei mir nur entstehen, wenn wir beide einen frühkindlichen Vorgang des Erlernens derselben Sprache durchlaufen haben. Ohne den Rahmen der Naturwissenschaft zu verlassen, kann eine dritte Person sowohl den Auspuff mitsamt unserer Reparaturtätigkeit als auch äußere Anzeichen von Freude an uns beobachten. Ethische Einschränkungen beiseitegelassen, kann sie meine und Almas gesamte Hirnaktivität bei der Tätigkeit und auch beim Aussenden und Empfangen von Sprachlauten beobachten.

Hingegen muss ich in Frage stellen, dass es bei Alma ein phänomenales Niveau gibt, auf dem der Auspuff und auch die Freude aufscheint. Almas entsprechende sprachliche Äußerungen haben zwar bei mir diese Bedeutung, aber direkt kenne ich keine anderen phänomenalen Gehalte als die meinigen. Es gibt in der Art und Weise, wie ich überhaupt phänomenale Gehalte empfinde, ausschließlich die meinigen. Wie schon in früheren Hirnbriefen gesagt, ist der Schluss von grundsätzlicher biologischer Ähnlichkeit aller Menschen auf die Anwesenheit eines phänomenalen Niveaus bei anderen Menschen unzulässig, weil zwar ein Zusammenhang naheliegt zwischen physischen und phänomenalen Gegebenheiten, aber eine naturwissenschaftliche Grundlage dafür gibt es nicht. Im Gegenteil wird eher eine Scheinverständlichkeit des Bewusstseins begünstigt durch die Annahme eines Zusammenhangs zu jedem menschlichen Körper.

Es entspricht jedoch einer allgemeinen Auffassung, dass die Objektivität der "Wirklichkeit" oder "Außenwelt" auf interindividuell übereinstimmenden sprachlichen Beschreibungen beruht. Diese Auffassung soll nun diskutiert werden. Es wird allerdings kompliziert, und zu einer Klärung wird es in diesem Hirnbrief noch nicht kommen.

Sogleich ist folgende Klarstellung erforderlich: Beobachtungen irgendeines Verhaltens z.B. von mehreren Ratten (oder auch Menschen, oder Robotern), die mit einem Objekt umgehen, können grundsätzlich keine Auskunft geben über ein eventuelles Objektivitätskonzept dieser Lebewesen. Verhaltensbeobachtungen sind immer im Einklang mit der Naturwissenschaft. Man beobachtet niemals etwas anderes als kausale Verkettungen aller biologischen Elemente im und am Lebewesen mit den Verhältnissen in der Außenwelt. Hingegen ist die Idee, dass es für die Ratte Objekte geben kann ganz unabhängig von ihr selbst, ihren Neuronen und ihren Aktionen, naturwissenschaftlich nicht fassbar. Ebensowenig entsteht in der Niere ein objektives Konzept von Bier, das unabhängig ist von eben derjenigen Tätigkeit der Nierenzellen, die einsetzt, nachdem dem Körper ein Glas Bier zugeführt wurde. Wenn überhaupt, dann wäre das eher eine Art Disposition der Nierenzellen, diese Reaktion auch bei Abwesenheit von Bier bereitzuhalten. Aber auch diese Disposition ist nicht denkbar ganz ohne die Existenz der Nierenzellen.

Nun ist auch die menschliche Sprache eine Art von Verhalten, das jedoch mehrere Besonderheiten aufweist. Zum einen, wenn man es nicht allzu streng nimmt, hat die sprechmotorische Aktivität keine physikalischen Auswirkungen in einer natürlichen Außenwelt, d.h wenn man z.B. von der Möglichkeit absieht, dass man mit Sprechluftströmen eine Kerzenflamme ausblasen könnte. Im üblichen, für andere Motorikarten zutreffenden Sinne hat die Sprechmotorik also keinen Nutzen. Wesentliche Auswirkungen gibt es nur in Form auditiver neuronaler Erregungen. Diese sind, bis auf eine rechnerisch leicht korrigierbare Entfernungsabhängigkeit, weitgehend unabhängig von den Außenweltumständen zwischen aussendender Muskulatur und empfangenden Hörorganen.

Hinzu kommt, dass jedes Lebewesen seine eigene Lautgebung hören kann, und zwar aufgrund des zuvor Gesagten in einer Weise, die von Außenweltumständen besonders wenig abhängt, weil es keine Variation des Sender-Empfänger-Abstands gibt. Mit dieser motosensorischen Rückkopplungsschleife kann ein Individuum eine sehr genaue Zuordnung zwischen sprechmotorischen und hörsensorischen neuronalen Aktivitäten herstellen. Dies wiederum ermöglicht, zu gehörten Signale ziemlich präzise die sprechmotorischen Signale zu ermitteln, die erforderlich sind, um genau diese Signale erneut zu erzeugen (sofern sie im Bereich des sprechmotorisch Erzeugbaren liegen, also normalerweise von Lebewesen mit der gleichen biologischen Ausstattung stammen). Wenn also die eigene Sprechmotorik aktiv ist, und man Sprachsignale hört, dann kann man diese Situation nutzen, um den Zusammenhang zwischen der eigenen Sprechmotorik und dem Gehör genauer zu justieren. Damit beginnt man als Kind, wenn man Sprechen "lernt". Es entstehen neuronale Netzwerke, die in Form von neuronalen Prozeduren sprachliche Hörsignale in die dazu erforderliche Sprechmotorik übersetzen. Ist die eigene Sprechmotorik inaktiv, dann lässt sich mit diesen Netzwerken aus der gehörten Sprache ermitteln, mit welchen motorischen Signalen man genau dieselbe Sprechfolge erzeugen könnte ("Papageienkopplung"). Diese Ermittlung kann jedoch nicht im selben Moment in die Tat umgesetzt werden. Vielmehr muss ein sofortiges Anspringen der Rückkopplungssteuerung durch eine Blockade der Motorsignale verhindert werden.

Dabei bleibt natürlich unerwähnt, welche Signale es denn nun sind, die die motorischen Sprachsignale auswählen, von denen dann freilich sofort bekannt ist, wie sie sich anhören werden.

Denn es kommt in all dem bisher Gesagten keinerlei Bedeutung vor. Es geht vorerst nur um den Umgang mit Schallwellen.

In vielerlei Hinsicht ähneln die Verhältnisse denjenigen bei den Spiegelneuronen der Affen (Hirnbriefe 42/43 sowie 17 und 31; 2009). Auch dort gibt es zum Zweck der visuellen Handsteuerung eine motosensorische Rückkopplung, wobei der sensorische (also in diesem Fall der visuelle) Anteil auch von einem anderen Individuum stammen kann. Im letzteren Fall darf der Affe nicht versuchen, die Handanblicke zur motorischen Steuerung zu verwenden, weil er damit nur seine eigene Hand bewegen würde. Als einfachste Gegenmaßnahme werden die Motorsignale blockiert, um eine eventuelle Rückkopplungssteuerung wirkungslos zu machen.

Der Fall der Affenhände unterscheidet sich jedoch in zweifacher Hinsicht von dem der Sprache: Erstens wird die visuomotorische Steuerung regelmäßig durch die hantierten Gegenstände moduliert. Es sind ja gerade die Abweichungen vom Idealfall der leeren visuell gesteuerten Hand, die die gewünschten Auskünfte über die Natur des Gegenstandes liefern und damit den Nutzen des Systems ausmachen. Man drückt die Finger zusammen, so dass sie im Fall der leeren Hand ganz zusammenkommen würden, aber ein Gegenstand zwischen den Fingern erzeugt bei gleicher Muskelkraft einen ganz anderen Anblick der Fingerstellungen. Zweitens bleibt die Hand sichtbar, auch wenn gar keine Muskelsignale an sie gesandt werden. Von Sprechsignalen bleibt hingegen nichts hörbar, sobald keine Sprechmuskeln mehr betätigt werden.

Dennoch sind die Parallelen deutlich, und in der Tat wurde gefunden, dass das Broca-Sprachgebiet in der menschlichen Hirnrinde eine Erweiterung des Spiegelneurongebiets der Affen ist. Das heißt nicht, dass ein Vorläufer der menschlichen Sprache ein regelrechtes Gestikulieren (d.h. Handbewegungen ohne Objekthantierung) der Affen ist. Vielmehr ist die Verarbeitungslogik ähnlich.

Für die Affen kann man sagen, dass die fremde Hand (d.h. das zugehörige sensorische Erregungsmuster) irgendwie keine richtige Hand ist, weil sie motorisch nicht ansteuerbar ist, und man auch nicht versuchen darf, motorische Signale an sie zu schicken. Gäbe es nur die eigene leere Hand, dann würde diese sich so verhalten, als ob es direkte hirninterne neuronale Verbindungen von Handmotorik zu visuellen Eingangsgebieten gäbe. Dem Gehirn wäre es ja sozusagen egal, ob eine Verbindung direkt neuronal oder aber indirekt durch die Außenwelt erfolgt, sofern das Gehirn nur mit dieser Verbindung eindeutig zurechtkommt. Je mehr jedoch die Signale, die über diese Verbindung laufen, abweichen vom Idealfall der leeren Hand, desto weniger Wert hat die Idee "quasi hirninterne Verbindung". Wenn sich auf dem Wege von der Handmotorik zur visuellen Sensorik unbekannte Signale dazwischenschieben, dann können die selbstproduzierten Motoriksignale keine Auskunft geben über deren Natur oder Herkunft. Durch die Hantierung mit Gegenständen sozusagen verdorbene visuelle Signale sind es, die der Affe auch bei der Beobachtung von hantierenden Artgenossen zu sehen bekommt. Die visuellen Signale sind, was die Herleitbarkeit aus eigener Motorik betrifft, nicht immer komplett verdorben, sondern zumindest die Zeitstruktur (d.h. wann ich ein Motorkommando schicke) bleibt zumeist nutzbar und zeigt einen Zusammenhang zu den empfangenen visuellen Signalen von der Hand. "Die Welt" ist sozusagen das, was sich als sensorische Signale nicht auf eigene Motorik (d.h. auf eigene quasi-hirninterne Signale) zurückführen läßt.

Bei der Affenhand hat die motosensorische Rückkopplung eine für jedes einzelne Individuum nützliche Steuerungsfunktion. Hingegen bei der Sprache ist eine solche Steuerung für ein isoliertes Individuum völlig sinnlos, weil ja das Schallsignal, das da gesteuert werden könnte, im Gegensatz zu einer Hantierung keine Verfälschungen durch die physikalische Welt erfährt, d.h. es wirkt nicht in der Außenwelt. Damit wäre es ja für einen isolierten Menschen völlig gleichgültig, ob er Schallsignale aussendet, und wenn ja, welche.

Der Mensch braucht jedoch für seine Sprachsteuerung sehr wohl die motosensorische Rückkopplung, aber er nutzt sie anders, nämlich in der Weise, dass er sprachliche Schallsignale von (älteren) Artgenossen empfängt, und sich mit Hilfe der Rückkopplung (als Kleinkind) allmählich in den Stand versetzt, diese selber motorisch zu reproduzieren.

Aber das kann bei weitem nicht alles sein, denn so wäre es nur eine Imitation ohne Bedeutung. Hier ist es nützlich, die Situation der Affenhand und der Spiegelneurone erneut zu betrachten. Man hat festgestellt, dass Makaken, bei denen diese Neurone entdeckt wurden, ihr Spiegelneuronsystem für regelrechte Imitationen nicht nutzen können, aber es ist anzunehmen, dass sie aus Hantierungen von Artgenossen entnehmen können, welche Eigenschaften ein unbekannter Gegenstand oder Stoff bei Krafteinwirkung hat, so z.B., dass ein Schlamm keine tragfähige Oberfläche hat, oder wie steif eine Rute ist. Es geht ja bei der visuellen Steuerung der eigenen Hand um die Abweichungen der tatsächlich beobachteten Hand- und Fingerstellung von derjenigen, die bei gleicher Muskelansteuerung an der leeren, unbelasteten Hand zu sehen wären. Wäre die Hand immer leer, dann könnte sie auch völlig ohne visuelle Rückkopplungssteuerung jede muskulär angeordnete Bewegung ausführen, wenn auch derlei Tätigkeiten keinen Sinn hätten. Und es ist höchstwahrscheinlich, wenn auch nicht erwiesen, dass die Affen ihr Spiegelneuronsystem sowohl bei eigenen Hantierungen als auch bei Beobachtungen von hantierenden Artgenossen nutzen, um mit Materialeigenschaften zurechtzukommen, bzw. diese zu erkunden.

Die Sache ist bei der Sprache noch komplizierter. Schon bei der fremden Affenhand mussten zwar eventuell aus beobachteten Handbewegungen berechnete Motorsignale blockiert werden, weil diese ja nur an die eigene Hand gesendet werden konnten, aber letztendlich will der Affe ja doch die Beobachtungen für spätere eigene Aktionen nutzen. Deshalb ist es sinnvoll, dass im Moment der Beobachtung fiktive Motorprozesse bis kurz vor Erzeugung einer Muskelbewegung tatsächlich laufen, damit sich die neuronalen Verbindungen als Grundlage für die entsprechende Prozedur einrichten können. Später steht dann dem Affen eine Prozedur zur Verfügung, die dem früher nur beim Artgenossen beobachteten Sachverhalt, (zB die Biegsamkeit einer Rute) bereits Rechnung trägt.

Auch bei der Sprache darf das Gehörte nicht wie ein Echo unmittelbar in sprechmotorische Signale umgesetzt werden. Aber auch hier ist es sinnvoll, zu gehörten Sprachsignalen die eigene Sprechmotorik, die für die Erzeugung dieser Signale erforderlich wäre, tatsächlich weitgehend laufen zu lassen, und sie nur kurz vor dem Erreichen der Muskeln zu blockieren, so dass man selbst keine Sprachsignale produziert, während man von anderen Personen Gesprochenes hört, aber doch die Präzision der motosensorischen Kopplung verbessert.

Nun muss im Moment des Empfangs fremder Sprachsignale zusätzlich erkannt werden, mit welchen weiteren sensorischen Sachverhalten (z.B. ein Apfel) die Sprachsignale einhergehen, während die eigene Sprechmotorik-Ausgabe blockiert wird. Dabei müssen jedoch diejenigen neuronalen Funktionen weiterarbeiten, die sich für den Lernvorgang plastisch verändern müssen. Später muss die eigene motorische Reproduktion der Sprachsignale (im einfachsten Fall) ausgelöst werden durch das erneute Auftreten jenes zusätzlichen sensorischen Sachverhalts (des Apfels). Wohlgemerkt kommt auch hier weder Subjektivität, noch eine Bedeutung, und somit kein phänomenales Niveau vor.

Was man bis zur bisher beschriebenen Stufe erhielte, wäre eine im Prinzip auch von Affen oder Maschinen zu leistende Zuordnungsdressur zwischen bestimmten Schallsignalen, weiteren sensorischen Darbietungen und Sprech-Motorkommandos. Bei Pawlow entspräche das Schallsignal einem Stück Futter, der weiteren Darbietung (Apfel) das Glöckchen, und dem Sprech-Motorkommando ein Kommando zur Speichelabsonderung. Außer vielleicht einer größeren Vielfalt wäre das Erreichen einer solchen Stufe weiter nichts Besonderes. Man vermisst vor allem eine Zeitvorstellung: mit dem Bisherigen könnte man jetzt nicht erzählen, was man früher erlebt hat. Es bliebe bei einer auch von Tieren beherrschten "Sprache", die aus Imperativen besteht (z.B. Drohgebärden), die immer im Moment ihrer Darbietung gelten.

Obwohl dieser Typ von Sprache durchaus eine große Vielfalt von Ausdrucksmöglichkeiten umfassen könnte, wird die Möglichkeit, etwas "in Nicht-Echtzeit" zum Ausdruck zu bringen, überhaupt nicht erfasst. Deswegen ist es im vorliegenden Zusammenhang nicht nützlich, wenn man, wie es zumeist geschieht, den Aspekt der Kommunikation in den Vordergrund stellt. Dann erscheint nämlich sehr vieles gleichermaßen als "Sprache". Vielmehr liegt die eigentliche Besonderheit der menschlichen Sprache in einem jeden Individuum für sich, und nicht in der Kommunikation zwischen Individuen.

"Bedeutung" und Subjektivität sind bisher nicht vorgekommen; es blieb beim naturwissenschaftlich verständlichen Umgang mit Schallwellen. Kompliziert genug ist auch dies schon. Wie es weitergeht, ist mir im Moment noch nicht klar.