Jürgen Krüger
Hirnforschung

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Archiv Hirnbriefe 2010

51/52. Nichts bewirkt nichts Nothing causes nothing

49/50. Nichts-System räumlich Nothing system, spatial

47/48. Nichts-System 2 

45/46. Nichts-System  Nothing-system

43/44. Neurokosmos 2

41/42. Mathematik

39/40. Dasselbe 2

37/38. Dasselbe 1

35/36. Identität von klassifizierten Dingen

33/34. Gegenstands-Identität 

31/32. Woche Klassifikation und Repräsentation 

29/30. Woche Ich und Ich I and I, Self and Self

27/28. Woche Genaueres zum Neurokosmos 

25/26. Woche Kausalität, Beobachtung Causality, observation

23/24. Woche Weiteres zum Riesengerhirn More about the giant brain

21/22. Woche Riesengerhirn Giant brain

19/20. Woche Abgeschlossenheit und Dauerhaftigkeit. Closedness and persistence

17/18. Woche Zirkel Zi2 und Gedächtnis. Circle Zi2 and memory.

15/16. Woche Startpunktverlegung im Zirkel Shifting the starting point within the circle

13/14. Woche Der gewöhnliche logische Zirkel The common logical circle

11/12. Woche Aspekte der Zeit 3: Sehen Aspects of time 3: seeing

9/10. Woche 2010 Aspekte der Zeit 2; Beobachtung Aspects of time 2; observation

7/8. Woche 2010 Aspekte der Zeit 1; Hören Aspects of time 1; hearing

5/6. Woche 2010 Neuronale Sicht      Neuronal view

3/4. Woche 2010 Speichernutzung     Use of memory

1/2. Woche 2010 Volks-Hirnforschung Folk brain research

zur 51/52. Woche 2010

Nichts bewirkt nichts   Nothing causes nothing
In den letzten beiden Hirnbriefen habe ich ein Sparsamkeitsprinzip erörtert, demgemäß das Nervensystem keine Sinnessignale zur weiteren Verarbeitung aufnimmt, wenn ein unspezifisches, einfaches, aber empfindliches neuronales Teilsystem festgestellt hat, dass sich nichts geändert hat. Es lohnt sich sogar, für diese Feststellung einigen Aufwand zu betreiben, obwohl man damit nichts sieht, hört oder fühlt: das ist immer noch sparsamer als die Daten der Welt ständig neu hereinzuholen und erst nach aufwendiger Analyse festzustellen, dass alles dasselbe geblieben ist. Zu diesen aufwendigen Maßnahmen gehört die Ausschaltung der scheinbaren Änderungssignale von Augenbewegungen im zeitlichen Fall (Hirnbriefe 45/46 und 47/48, 2010), und die Ausschaltung von Blutgefäßschatten und dem blinden Fleck (die ja auf der Netzhaut stabilisiert sind) im räumlichen Fall (voriger Hirnbrief). Es ist anzunehmen, dass das Verfahren im Zuge höherer Datenanalysen immer wieder angewandt wird. (Niemand weiß, wie. Hirnforscher, strengt euch mal an!)

Wohlgemerkt rede ich jetzt von rein neuronalen Vorgängen; das Bewusstsein kommt noch nicht vor. Es kommt erst dann hinzu, wenn ich es (weiter unten) sage.

Konstantes wird also nicht explizit dargestellt, sondern ist in den Angaben räumlicher und zeitlicher Änderungen indirekt enthalten. Verwunderlich ist dabei, dass dieses Verfahren der wohlbekannten Regel der praktischen Wissenschaft widerspricht, nämlich dass man verrauschte, ungemittelte Daten tunlichst nicht differenzieren soll, weil das Rauschen dann nur noch zunimmt. Änderungssignale entsprechen ja differenzierten Signalen. Und neuronale Daten, auch von großen Anzahlen von Neuronen, sind wahrhaftig verrauscht, oder vielmehr sind sie überlagert von einer Vielzahl von Nebeneinflüssen. Im räumlichen Bereich ist das vielleicht noch nicht so schlimm, weil ja jede Fläche zwischen zwei gegenüberliegenden Kanten eingeklemmt ist. Hingegen auf der Zeitachse gibt es nur eine Änderung, und wenn dann keine weitere kommt, dann müßte das System auch nach sehr langer Zeit noch "wissen", wie die letzte Änderung wirklich beschaffen war.

Da muss man vielleicht doch hin und wieder mal echte Daten hereinholen, auch wenn man festgestellt hat, dass seit der letzten Datenaufnahme, bei der letzten Änderung, keine weitere Änderung mehr erfolgt war. Dieser Vorgang ist die Aufmerksamkeit. Er bewirkt, dass momentane Sinnesdaten hereingeholt werden, auch wenn keine Änderung vorliegt. Das ist freilich nicht alles, was es zur Aufmerksamkeit zu sagen gäbe.

Man muss die hier wiedergegebene Geschichte gerechterweise aus der Sicht des Gehirns sehen. Für das Gehirn ist die Welt nur das, was die hereingeholten Daten hergeben. Da gibt es Änderungen; diese "sind etwas". Die konstanten räumlichen oder zeitlichen Gebiete dazwischen existieren nicht als Gebiete, aber sie beeinflussen irgendwie die Analyseergebnisse. Es könnte sein, dass für das Gehirn die Welt sozusagen ganz anders aussieht als wir meinen, weil diese Weltsicht erheblich durch die neuronalen Analysemethoden beeinflusst wird. Und da man sich ja auf einem rein naturwissenschaftlichen Niveau befindet, auf dem es keine Bedeutungen gibt, läßt sich keine Aussage darüber gewinnen, wie die Welt denn nun wirklich aussähe.

Mit Bedeutungen neuronaler Prozesse umzugehen ist hingegen die Aufgabe des Bewusstseins; dort erscheint, als Bedeutung von neuronalem Geschehen, ein Weltbild, dem die Meldung beigeheftet ist, dass dieses der "Wirklichkeit" entspreche. Das kann natürlich niemand kontrollieren. Aber auf jeden Fall werden die zwischen räumlichen und zeitlichen Änderungen liegenden Gebiete als konstant und flächenhaft bzw. dauerhaft dargestellt. Oder man kann auch sagen, dass diese neuronalen Änderungssignale unter anderem auch die genannte Flächen- bzw. Dauerhaftigkeit bedeuten. Für den zeitlichen Fall heißt das zumindest für das Sehen, dass die relativ kurzdauernde neuronale Änderungsmeldung eine langanhaltende Bedeutung erhält, d.h. man "sieht" auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins für lange Zeit denselben unverändert erscheinenden Gegenstand, obwohl die "entsprechenden" neuronalen Prozesse bereits nach kurzer Zeit abgeklungen sind. In dieser Hinsicht entsprechen sie eben gerade nicht dem dargestellten Gegenstand. Allerdings kann der phänomenale Anblick nach dem Abklingen der neuronalen Erregungen kausal nichts mehr bewirken: Ich kann stundenlang unaufmerksam das Bücherregal wahrnehmen, das meinem Schreibtisch gegenübersteht, aber ich kann nicht, gesteuert durch diese unaufmerksame Wahrnehmung (und nicht etwa durch ein durch Gewohnheit geformtes Gedächtnis), dort ein Buch auswählen und herausnehmen. Dazu muss ich die oben erwähnte Aufmerksamkeit bemühen, die erneut neuronale Prozesse von den Augen zur Verarbeitung hereinläßt, auch wenn sich nichts geändert hat, die ich dann zu einer Greifbewegung weiterverarbeite.

Das ist noch nicht alles. Vorerst kann ich nur festhalten, dass die phänomenale Vorstellung von "Zeit" sicherlich zusammenhängt mit der Tatsache, dass ein kurzzeitiges neuronales Ereignis ein langanhaltendes phänomenales Ereignis bedeuten kann. Diesen Gedanken hingegen klar zu strukturieren, ist ein Kunststück, dessen Vorführung, wenn überhaupt, erst im nächsten Jahr gelingen kann. Vor allem muss ja irgendwann auch ersichtlich werden, wie all dieses mit der Subjektität des Bewusstseins zusammenhängt, welche ja von denjenigen Philosophen, die auch etwas von Neuronen verstehen, immer wieder verdrängt wird, ohne dass sie es bemerken.

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Nothing causes nothing

In the last brain-letters I have discussed an economy principle: the neuronal system accepts no sensory signals for further processing whenever a simple unspecific but sensitive neuronal subsystem has established that there was no change. It is even worthwile to invest some expenditure into that subsystem although it does not allow one to see, hear or feel. Yet, it may still be more economic than to take up continuously the data from the world, and find out only after an elaborate analysis that nothing had changed. One part of these measures is to cancel the effect of apparent change signals stemming from eye movements (temporal case; letters 45/46 and 47/48, 2010). Another is the cancellation of the shadows of blood vessels and the blind spot which are stabilised on the retina (spatial case; previous letter). Supposedly the same principle is applied over and over again on higher levels. No one knows anything about this. Brain researchers, apply yourself!

Note that so far the question is only about neuronal processes. Consciousness is not involved until it will explicitly be mentioned below.

Thus, constancies are not represented explicitly. Instead, they are included indirectly within the neuronal signals of spatial and temporal change. However, a rule of practical science is that one should not differentiate noisy non-averaged data because the noise will still increase. It is a strange feature which is in conflict with that rule that indeed signals of change are differentiated signals. It is well known that neuronal signals, even those of large numbers of neurones, are very noisy, or, rather, large amounts of secondary stray signals are superimposed to them. Perhaps this is not so severe in the spatial case because each surface is pinched between a pair of borders. In contrast, in the temporal case there is only
one change. If there is no further change signal, the system would have to retain the features contained in the change signal continuously for a long time.

Then it is useful to have a means to take up new data also when no change has been signalled. This is the task of "attention". Its effect is to admit data to higher processing steps in no-change cases. However, the roles of attention (not to be discussed here) are not limited to just that task.

As seen from the viewpoint of the physiological brain the world consists only of the details contained in the admitted data. There are the change signals. These "are something". The constant spatial or temporal regions in between do not exist
as regions, but they somehow influence the results of the analyses. It could be that for the brain the world, so to speak, "looks very different from what we believe" because that view of the world is mainly determined by the analysis methods. Remind always that within the framework of classical science there are no "significances"; thus, neuronal signals signify nothing.

To deal with significances is the task of the non-scientific entity of consciousness. There appears a view of the world as the significance of a host of neurophysiological processes including plasticity. To that view a message is attached that this view corresponds to the "reality". Of course, no one can prove that. In any case, regions between spatial or temporal changes are represented as spatially or temporally extended constant surfaces or intervals, respectively. One can also say that the neuronal signals of change
signify, among other things, a spatial or temporal extension reaching as far as the next signal of change is encountered. At least for the sense of seeing this is what appears on the phenomenal level of consciousness: phenomenally one "sees" the same unchanged object for a long time span although the "corresponding" neuronal processes are extinguished after a brief time. For that reason, with respect to the time course, the latter just do not correspond to the represented object. However, after the extinction of the neuronal excitations, no causal effects can be derived from the view of the object: I can unattendedly perceive the bookshelf in front of my desk for many hours but I cannot select and then grasp a book on the basis of that perception. To do this, I have to activate the mechanism of "attention" in order to bring fresh neuronal data to higher analysis levels.

This is not the whole story. At present one should retain that the phenomenal idea of "time" certainly is related to the fact that a brief neuronal event can signify, or represent, a long-lasting phenomenal event. It will not be an easy trick to transform that idea into a more rigorous framework. In addition, it should become apparent how this and other ideas about consciousness can be linked to the fact of "subjectivity". This will take some time; the next year will not be sufficient. "Subjectivity" is eagerly repressed by those philosophers who claim to have some knowledge about the nervous system, and they do not even understand
how they repress it.

zur 49/50. Woche 2010

Nichts-System räumlich Nothing-System, spatial

In den beiden vorigen Hirnbriefen habe ich erörtert, dass es sich beim Vorgang des Sehens lohnt, nach zeitkonstanten Intervallen zu suchen, indem man ein einfacheres getrenntes System zur Feststellung von "Nichts-hat-sich-geändert" unterhält, und die wirklich zum Sehen benötigten Daten nur dann zur komplexeren Verarbeitung hereinholt, wenn ersteres System eine Änderung meldet.

Das Verfahren lohnt sich auch im räumlichen Bereich, und hier kann seine Wirkungsweise besonders klar demonstriert werden. Dazu muss man wissen, dass das visuelle System eine räumliche Änderung des Netzhautbildes, z.B. eine Hell-Dunkel-Kante, nur erkennt, wenn diese sich bei Blickwendungen verschiebt. Die winzigen Blickrichtungsänderungen, die selbst bei sorgfältiger Fixation nicht unterdrückt werden können, genügen dafür zumindest im zentralen Gesichtsfeld. Bewirkt man hingegen auf technischem Wege, dass sich das Netzhautbild absolut nicht verschiebt, dann verschwindet auf dem phänomenalen Niveau die Wahrnehmung vollständig; man sieht eine graue Fläche, so ungefähr wie kurz vor einer Ohnmacht ("es wird schwarz vor den Augen"). Diese Beschreibung zeigt jedoch noch nicht ganz klar, was passiert.

Eine große rote Fläche auf dunklem Grund, mit normalen Augenbewegungen angeschaut, nimmt man also als solche wahr. Projiziert man in diese Fläche eine kleinere grüne, deren Ränder jedoch durch einen technischen Kunstgriff absolut stillstehen auf der Netzhaut, dann wird diese grüne Fläche überhaupt nicht wahrgenommen, sondern man sieht nur die größere Fläche, und zwar durchgehend rot. Das haben Forscher vor vielen Jahren gezeigt. Dieser Befund steht im heftigen Gegensatz zur üblichen Idee, dass man "grün" wahrnimmt, wenn grün-empfindliche Neurone besonders stark erregt sind. Man weiß von Untersuchungen an Affen, dass das in der Tat der Fall ist für Neurone, deren "rezeptive Felder" auf das Innere der grünen Fläche gerichtet sind. In dieser Hinsicht sind diese Befunde auch für den Menschen gültig.

Man schließt daraus, dass das visuelle System mit paarigen Angaben arbeitet, nämlich was links/rechts von einer Kante ist (z.B. links rot/rechts schwarz). Wenn mit zunehmender Entfernung (z.B. nach links ins rote Gebiet) keine weitere Kante gefunden wird, gilt "rot" weiterhin bis hin zur nächsten tatsächlich erkennbaren Kante. Wie gesagt, kann eine auf der Netzhaut stabilisierte Kante dafür nicht dienen, deshalb wird über diese hinweg weiterhin "rot" angenommen.

Das Besondere ist, dass die Wahrnehmung von "rot" an der Stelle der nicht wahrgenommenen grünen Fläche nicht von der Aktivität derjenigen Neurone stammt, die für die dortige Netzhautstelle zuständig sind. Das gilt übrigens ebenso für die als "rot" wahrgenommenen inneren Gebiete der physikalisch tatsächlich roten Fläche. Dort ist sehr wohl neuronale Aktivität, aber sie wird aus Sparsamkeitsgründen nicht benutzt; auch ist sie geringer, so dass das Feld nicht homogen aussähe.

Schaut man zunächst nur das naturwissenschaftlich zugängliche rein neuronale Niveau an, dann ist anzunehmen, dass die weitere Verarbeitung nur mit diesen paarigen Angaben an den Kanten erfolgt, so dass die Kenntnis, dass es große homogene Flächen gibt, implizit bleibt, d.h. es findet keine neuronale Wiederherstellung des retinalen flächenhaften Bildes statt. Man hat dieses ja schließlich gerade erst eliminiert. Das neuronale System muss ja nur richtig zurechtkommen mit der Existenz solcher Flächen, nicht aber ein "Bild" erzeugen. Dieses hingegen findet auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins statt: Dort erscheint ein "Bild", und die Flächen sind als Flächen dargestellt. Die Daten an den Kanten, plus ein Signal der Abwesenheit (von Kanten innerhalb der Flächen) bedeuten phänomenal eine Fläche mit einer räumlichen Ausdehnung.

Es ist müßig, sich darüber zu streiten (dafür haben wir ja die Philosophen), ob die bildhafte Darstellung, wie sie bei der Wahrnehmung auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins erscheint, oder aber die kompaktere neuronale Darstellung einer "Realität" nähersteht. Man hat vielmehr den Eindruck, dass das ganze Manöver mit dem phänomenalen Niveau nur dazu dient, ein zusammenhängendes "Konzept des Raumes" zu erfinden. Da besteht wohl ein hintergründiger Wunsch oder Bedarf, alles irgendwie längs Koordinatenachsen aufzureihen, sowohl auf räumlichen als auch zeitlichen. Das (neuronale) Gehirn selber scheint sich dafür weniger zu interessieren, sofern es nur irgendwie mit jeder anfallenden Situation zurechtkommt. Einfach zu behaupten, dass die Anpassungszwänge im Lauf der Evolution diese Koordinatenachsen (oder das Erkennen
dieser Achsen) hervorgebracht haben, kann insofern danebengehen, weil es auch umgekehrt sein könnte, nämlich dass man den Gedanken einer Evolution überhaupt nur haben kann, wenn man zuvor eine Zeitachse erfunden hat.

Eigentlich wollte ich einen im vorigen Hirnbrief begonnenen Gedanken weiterspinnen, aber das geht vielleicht sogar besser, nachdem diese räumliche Geschichte eingeschoben wurde.

Nothing system, spatial
In the 2 preceding letters I have argued that it is rewarding to search for time constant intervals in the process of seeing. This may be done by maintaining a simpler subsystem that is only able to state that nothing has changed, and that governs a gate to higher analysis steps. That gate is only opened when changes have previously been detected.

The procedure is also rewarding in the spatial domain, and its operation can be clearly demonstrated. For this, one has to know that the human visual system recognises a spatial change (e.g. a dark/bright edge) only when the retinal image is displaced at least slightly with each change of the gaze direction. Even with careful fixation one cannot suppress minute gaze shifts. These are sufficient for a clear recognition of an edge at least in the central visual field. If, however, these small shifts are eliminated absolutely by some technical means of image stabilisation, then the perception on the phenomenal level disappears completely; one perceives a gray field which resembles the disappearance of perception just before a faint. However, this description does not yet clearly illuminate what happens.

A large red field on a dark background, viewed under fixation with normal small fixation eye movements, is perceived as such. Now, using a technical trick, one projects into that field a smaller green field whose borders are absolutely fixed relative to the retina. In that case, one does not perceive the green spot at all. One only perceives the larger homogeneous red field. This has been demonstrated by researchers many years ago. This result is in strong contrast to the common idea that one perceives "green" when green-sensitive neurones are strongly excited. It is well known from studies in monkeys that the latter fact is indeed the case for neurones whose "receptive fields" are directed into the inner parts of the green field. In that respect, the results from monkeys are applicable to humans.

One concludes that the visual system operates with paired instructions, namely what is at left/right of an edge (e.g. left:red / right:black). If no further border is found with increasing distance from the edge then "red" continues to be valid on the left side until another detectable border is finally found. As stated above, a stabilised border is not recognised as a border. Therefore, "red" continues to be valid across the stabilised red/green border.

The special point is that the perception of "red" within the physically green field does not originate from the activity of the neurones that are normally responsible for that part of the visual field. By the way, this is also valid for the inner parts of the physically red field that are perceived as "red". Actually there is neuronal activity within that field but for economy reasons it is not used. Also it is weaker so that the field would not appear homogeneous right up to the edges.

Considering only the scientifically accessible neuronal level, one has to conclude that the further processing operates UUUUonly on the basis of the above paired coding. The knowledge about the existence of large homogeneous fields remains implicit; there is no neuronal image-like reconstruction of the larger areas. Remind that these have just been eliminated. The visual system must only be able to UUUUcope correctly with larger fields, but not to produce an image. The neuronal use of "no edge" in a positive way is an important and economic trick. In congtrast, an "image" appears on the phenomenal level of consciousness; areas are represented as areas. The neuronal data from the edges together with a negative signal of absence of further edges, UUUUsignify phenomenally a spatially extended area.

What is really more real? (A question well-suited for philosophers.) Is it the image as it appears as a percept on the phenomenal level of consciousness, or is it the more compact neuronal representation? One gets the impression that the purpose of the entire maneuver is to generate a consistent concept of "space". In the background there seems to be a drive to concatenate everything along "axes", along spatial ones as well as temporal ones. The neuronal brain seems not so much interested in such concepts as far as it can cope with the ongoing situation. Invoking "evolutionary pressure" as a reason for searching for such axes can be misleading because it could well be the other way round: one can only have the idea of an evolution if one has invented a time axis beforehand.

Initially I had intended to continue with an idea begun in the last letter but perhaps this is now easier, after having exposed the spatial story.

zur 47/48. Woche 2010

Nichts-System 2

Im vorigen Hirnbrief hieß es, dass bei neurophysiologischen Untersuchungen des visuellen Systems stets danach geschaut wurde, wie die Neurone auf "etwas" reagieren, und es hieß dann, dass man dieses Etwas sehe (oder gar "wahrnehme"), weil die Neurone darauf reagierten. Man kam damit nicht weit über Kanten-, Farb-, Tiefe- und Bewegungsdetektion hinaus; hinzu kamen anderswo im Gehirn Neurone, die auf Gesichter reagierten. Dort kann man sicherlich, bei Experten, die 50 Sorten von tragbaren Telefonen unterscheiden können, auch Neurone finden, die generell auf Handys reagieren. Das ist eigentlich nicht verwunderlich. Hinzu kamen Einflüsse von u.a. von Gedächtnis und Aufmerksamkeit.

Ich gebe zu, früher in diesem Sinne zu neurophysiologischen Untersuchungen über das Sehen beigetragen zu haben; ungefragt wurde ich gelobt für Artikel, die über neuronale Reaktionen auf Farben in der angesehenen Zeitschrift "Journal of Neurophysiology" erschienen sind. Aus Karrieregründen habe ich in der widerwärtigen, auch heute noch verbreiteten Manier vieler Neurophysiologen neuronale Reaktionen, die zu Wahrnehmungen passten, als Erklärungen für letztere angepriesen. Hingegen habe ich als Erklärungsargument unterdrückt, wenn vergleichbar große Erregungsunterschiede derselben Neurone nicht passten. In der Tat findet es kaum ein Neurophysiologe bedenklich, von einem visuellen Neuron, das sehr stark durch rotes Licht erregt wird, viel weniger aber durch grünes, anzunehmen, dass es zur Wahrnehmung von Rot beitrage, obwohl dieses selbe Neuron direkt nach dem Einschalten des roten Lichts viel stärker reagiert als eine Sekunde später, so dass man konsequenterweise sagen müsste, dass es dann "grün" meldet. Dazu schweigt man jedoch. Eigentlich wird durch diese unterdrückte Aussage diejenige über die Farbwahrnehmung völlig entwertet. Der Umgang mit nichtvisuellen Einflüssen ist ähnlich problematisch. Durch diese leichtfertige Interpretation neuronaler Erregungen ist sogar der Eindruck entstanden, dass man das Sehen, und damit meint man die visuellen phänomenalen Gehalte des Bewusstseins ("Wahrnehmung") schon recht gut verstünde, obwohl letztere im Rahmen der Naturwissenschaft nicht fassbar sind.

Immerhin gab es bei meiner Forschertätigkeit auch den umgekehrten Fall: Ich hatte vor einigen Jahrzehnten den bis dahin als unbedeutend und schwach eingestuften sogenannten Peripherie-Effekt in der Netzhaut untersucht, und herausgefunden, dass dieser Effekt durchaus starke Erregungen in den Zellen der Netzhaut verursacht, wenn man die ganze Netzhaut (typischerweise durch Bildverschiebungen) reizt, wobei das eigentliche, eng begrenzte "rezeptive Feld" weiträumig ausgeblendet blieb. Da mir und einem Kollegen kein Wahrnehmungskorrelat zu diesen Erregungen bekannt war, haben wir uns mit der Interpretation sehr zurückgehalten. Dass es in der Netzhaut so starke, und doch so nichtlokale Erregungen geben könne, wurde zunächst als absurd empfunden und zurückgewiesen.

Jetzt kann man sagen, dass diese Erregungen zum Nichts-System gehören; Man kann mit ihnen nichts sehen, aber sie können melden, dass sich die Augen bewegen und daher die ausgelösten Erregungen nicht als Änderung der Szene gedeutet werden sollen. Es wird nun eine Aufgabe der großen Gemeinde der Erforscher des Sehens sein, zu überlegen, wie denn ein visuelles System effizient mit einem "Etwas"-System und einem "Nichts"-System arbeiten kann, ohne dass man sich auf wahrgenommene phänomenalen Gehalte des Bewusstseins bezieht. Sparsamer ist es sicherlich, bei einer einmal neuronal analysierten Szene später nur noch neuronal festzustellen, dass diese sich nicht geändert hat, anstatt Millisekunde für Millisekunde die ganze unveränderliche Szene ständig echt zu signalisieren. Mit Bewusstsein und Wahrnehmung hat das nichts zu tun; es ist eine rein neuronale Affäre. Das Bewusstsein erlaubt mir nur, subjektiv die späteren, im Moment gar nicht neuronal signalisierten Szenenteile doch als vorhanden wahrzunehmen. Vielleicht ist diese "physiologisch losgelöste" Natur der (unaufmerksamen) Wahrnehmung der eigentliche Grund für die wissenschaftliche Unzugänglichkeit zumindest des visuellen Bewusstseins.

Man kommt noch ganz woanders hin, wenn man diesen Gedanken (im nächsten Hirnbrief) weiterspinnt.

zur 45/46. Woche 2010

Nichts-System Nothing-system


Auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins findet man eine besondere Leistung vor: Dort erscheint eine durchaus positive Darstellung der Welt, während die Neurone die meiste Zeit nichts anderes tun als festzustellen, dass sich nichts geändert hat. Ich rede hier vor allem vom Sehen, das im Bewusstsein unter allen Sinnes-Arten die Führungsrolle einnimmt. Das Besondere an der genannten Leistung ist, dass die Neurone nicht etwa die Übereinstimmung einer gegenwärtigen Szene mit einer abgespeicherten soeben vergangenen Szene feststellen. Ein solches Verfahren ließe sich nicht stabil aneinanderketten, wenn längere Konstanzperioden zu überbrücken wären. Vielmehr wird die logische Asymmetrie zwischen "nichts" und "Gegenstand" ausgenutzt: Es kann sehr viele verschiedene Gegenstände geben, und es wäre aufwendig, die Abwesenheit gerade eines bestimmten Gegenstandes festzustellen. Hingegen ist es einfach, festzustellen, dass gar kein Gegenstand vorhanden ist. Oder anders ausgedrückt: Es gibt (in einer Welt von ausschließlich Gegenständen) nur eine umfassende Sorte von "Nichts". Es ist eine wichtige Aufgabe der Neurone, diese Situation zuverlässig festzustellen. Nur müssen die Neurone dazu etwas anderes leisten als wenn sie auf "etwas" reagieren sollen.

Lächerlicherweise hat man bei der jahrzehntelangen neurophysiologischen Untersuchung des visuellen Systems immer nur danach geschaut, wie die Neurone auf "etwas" reagieren, und es hieß dann, dass man dieses Etwas sehe (oder gar "wahrnehme"), weil die Neurone darauf reagierten. Dabei kam man eigentlich nicht sehr weit. Noch schlapper wurde die Stimme der Neurophysiologie, wenn es daran ging, zu verstehen, auf welcher neuronalen Grundlage ich einen an die Wand projizierten roten Fleck vom allerersten Moment nach dem Einschalten an als völlig konstant wahrnehmen kann. Diesen Punkt muss ich im nächsten Hirnbrief fortführen.

Jetzt gilt es festzuhalten, dass das geschickte Feststellen von "Nichts" dem Nervensystem viel Arbeit ersparen kann: in der Tat gibt es Neurone, die auf verschiedenste Veränderungen stets, und in empfindlicher Weise, mit einer Erregung reagieren. Mit ihnen "etwas" zu sehen, oder vielmehr zu unterscheiden, erscheint eher schwierig. Für das Nervensystem erscheint es sogar lohnend, das Vorliegen von "nichts" auch dann festzustellen, wenn sozusagen aus technischen Gründen neuronale Änderungsmeldungen anfallen. Das ist der Fall, wenn man bei einer völlig unveränderten Szene die Blickrichtung ändert. Dass dies eine wahrzunehmende Änderung der Szene sei, wird per neuronaler "Anordnung" ausgeschlossen. Wie diese konstruiert ist, weiß ich nicht. Es ist einleuchtend, dass es für das System von Interesse ist, diese Ausschlussperioden möglichst kurz zu halten. Dennoch, wenn man ganz schnell genau innerhalb einer solchen Augenbewegungsperiode von nur etwas 50 Millisekunden Dauer die visuelle Szene verändert, nimmt man die Änderung nicht wahr, sofern man für das Sehen keine Aufmerksamkeit einsetzt ("Änderungsblindheit"; siehe Hirnbrief 52, 2009). Einen kleinen Bruchteil aller Verkehrsunfälle kann man damit sicherlich schon verursachen.

In einer ganz allgemeinen Weise ist anzunehmen, dass auch eine Ratte, die vielleicht gar kein Bewusstsein hat (ich weiss, dass eine solche Aussage eigentlich grundsätzlich unmöglich ist), sowohl mit einen Detektionssystem für "etwas" und einem anderen für "nichts" arbeitet. Menschen haben diese sicherlich verfeinert. Wieso das dann dazu führt, dass ich in meiner phänomenalen Innensicht aus den sorgfältig neuronal festgestellten momentanen "Nichts" etwas Positives, nämlich eine andauernde Wahrnehmung der Welt mache, ist mit gegenwärtiger Wissenschaft nicht erfassbar. Jedoch muss die Neurowissenschaft sich bemühen, die Organisation des Nichts-Systems zu erkunden.

Immerhin kann man verstehen, dass ich per "Nichts" nur im tatsächlichen Gesichtsfeld ständig (unaufmerksam) etwas sehe, nicht aber hinter meinem Rücken: die Abwesenheitsdetektoren müssen tatsächlich die Gelegenheit haben, "nichts" zu melden. Dann ist die auf dem phänomenalen Niveau fortgeführte Wahrnehmung mit großer Wahrscheinlichkeit zutreffend. Dass das System irgendwie sehr umfassend ist, und auch höhere Verarbeitungsniveaus enthält, vermute ich, weil ich auch von der visuellen Welt hinter meinem Rücken einen gewissen Eindruck habe, der zumindest ausreicht, ihn als unverändert anzusehen, wenn ich mich herumdrehe.

Dass das "Nichts"-Verfahren irgendwie für den Zeitbegriff verantwortlich ist, erscheint mir unabweisbar. Andernfalls wäre "nichts" einfach nur "nichts", egal was früher war.


Glauben Sie das auch?

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Nothing-system
On the phenomenal level of consciousness one finds a special accomplishment: there is a definitely positive continuous representation of the world although the neurones for most of the time do nothing else than state that nothing has changed. The matter is essentially about seeing which is the leading sense for consciousness. The special point of the accomplishment is that there is no instant-by-instant comparison of results of full analyses. Such a procedure could not stably be concatenated for longer time spans. Rather, the logical asymmetry between "nothing" and "object" is exploited. There can be many different objects, and it would be expensive to detect the absence of a particular item. In contrast, it is simple to state that there is no object of any kind. Expressed in another way: in a world of exclusively objects there is only
one comprehensive type of "nothing". It is an important task of neurones to detect that situation reliably. For this they have to carry out a task which is different from the one in which they have to react to "something".

It is ridiculous that in the past of neurophysiological investigations of the visual system one has always searched for reactions of neurones to "something". The conclusion was then drawn that one sees (or even "perceives") that "something"
because the neurones react to it. This endeavour did not go very far. Still weaker was the voice of neuroscience when one had to explain how it was possible to perceive a projected spot on the wall as time constant from the very beginning. I have to return to that point in a later letter.

Here one has to retain that a clever detection of "nothing" can avoid a lot of neuronal analysis work. Indeed, there are visual neurones that are very sensitive to changes of all kinds. To see, or to discriminate "something" with the aid of these neurones seems rather difficult. On the contrary, for the nervous system it seems even economical to state "nothing" in cases where, so to speak, for technical reasons, signals of change are generated. This is the case when one changes the direction of gaze in a completely unchanged visual scene: there is a kind of "neuronal decree" stating that the neuronal signals related to eye movements are excluded from signifying a change. I ignore how this is constructed, but it is obvious that it is favourable for the system to keep such periods of exclusion as brief as possible. Yet, if one changes a visual scene very rapidly, and exactly within the brief period of about 50 milliseconds of an eye movement, one does not perceive the change, under the condition that one does not apply visual "attention" ("change blindness", see letter 52/2009). Certainly one can explain a small fraction of all road accidents by this feature.

Generally one can assume that also a rat operates with a system detecting "something" and another one detecting "nothing". It need not have consciousness for that (I know that by principle such a statement is impossible but here we do not elaborate on this point). Humans have certainly refined that system. However, present-day science cannot give an explanation how the carefully detected temporal "nothing has happened" is transformed, on my phenomenal level of consciousness, into something positive, namely a persisting perception of the world. However, neuroscience has to investigate the organisation of the nothing-system.

At least one can understand why my continuous inattentive perception is only present within my visual field but not behind my back: the "detectors of absence" must really have the occasion to signal "nothing". Only then the prolonged constant perception is correct with a high probability. I assume that the "nothing"-system is still more extended, and that it also operates on higher levels so that I can have a certain continuous visual impression of the world behind my back. It may at least be sufficient to consider it as unchanged when I turn around.

It seems irrefutable that the "nothing"-system is somehow responsible for the concept of "time". Otherwise, "nothing" would simply be "nothing" irrespective of what has been there before.

Do you also believe that?

zur 43/44. Woche 2010

Neurokosmos 2

Dies ist eine Erweiterung zu den Hirnbriefen 21 und 32 (2009). Im ersteren wurde das Konzept des Neurokosmos vorgestellt: Ausgehend von der Tatsache, dass der innere Signalverkehr im Gehirn ungefähr 1000mal so groß ist wie die Gesamtsumme von allem herein- und hinausgehenden Verkehrs, kann man gedanklich die Extremposition einnehmen, dass überhaupt kein Signalverkehr über die Schnittstellen zur Welt außerhalb des Gehirns stattfindet. Das Gehirn ist dann ein völlig abgeschlossener "Neurokosmos". Die übliche Position ist hingegen, dass es gerade die Schnittstellensignale sind, auf die es ankommt, und dass das Gehirn vor allem dazu da ist, mit diesen zurechtzukommen, und einlaufende Signale bestmöglich, mit Hilfe von Plastizität, in auslaufende Signale umzuwandeln. Vor allem sensorische und motorische neuronale Aktivität kann man damit versuchen, zu verstehen.

Wenn sich irgendetwas "Kosmos" nennt, d.h etwas, das alles umfasst, dann kann es grundsätzlich nur einen solchen geben, denn gäbe es einen weiteren Kosmos, dann würde ja ein jeder von ihnen nicht "alles" enthalten. Die Idee des Neurokosmos ist allein schon deshalb interessant, weil sie zumindest ahnen läßt, warum es nur eine Innenperspektive gibt, nämlich die meinige, wodurch die Subjektivität entsteht. Auch kann man einen Kosmos jeglicher Art nur von innen kennen, weil es ein "außen" nicht gibt, wobei es allerdings unklar ist, was hier "kennen" heißt. (Ähnlichen Ärger kennt man aus der Quantentheorie,  die ja nur völlig abgeschlossene Systeme beschreiben kann, die dann aber wegen dieser Abgeschlossenheit nicht beobachtbar sind. Und eine Innenperspektive ist in dieser Theorie nicht vorgesehen.)

Wie schon im oben erstgenannten Hirnbrief gesagt, liegt im perfekten Neurokosmos mit jedem Gesamtzustand zugleich völlig fest, welches der Zustand im nächsten infinitesimalen Zeitschritt sein wird. Um sich der Realität anzunähern, muss man nun die Extremposition aufweichen, indem man, sozusagen als kleine Störung des inneren Betriebes, zusätzliche Signale zuläßt, die nicht aus dem Neurokosmos stammen. Die zeitliche Gesamtentwicklung liegt dann nicht mehr streng fest. Zunächst würde man meinen, dass nun in der Innensicht "Spontanprozesse" auftauchen müssten, d.h. solche, für die sich im Inneren des Systems keine Vorläufer finden lassen.

Obwohl der Übergang von einem zunächst perfekt isolierten System zu einem leicht undichten sicherlich nicht der biologischen Entwicklungsgeschichte entspricht, will ich mal die phänomenalen Gehalte des Bewusstseins als die "Systemkenntnis aus der Innensicht" auffassen. Zunächst, mit nur wenig naturwissenschaftlichem Durchblick, gab es wohl tatsächlich viele "Spontanprozesse", die dann Göttern zugeschrieben wurden. Immerhin enthält eine solche Idee bereits einige der Kenntnis von Mitmenschen entnommene quasi-wissenschaftliche Vorstellungen, wie zB dass die Götter etwas sehen oder hören oder wissen müssen, um systematische Überlegungen daran anzuschließen, etwa dass die beobachteten Menschen für ein verlottertes Leben bestraft werden müssen.

Erstaunlicherweise wurde die Idee der Spontanprozesse im Laufe der kulturellen Entwicklung zurückgedrängt in einer Weise, die sehr merkwürdig ist, wenn man von der perfekten Isolation ausgeht. Das Gehirn scheint die Idee unbedingt aufrechterhalten zu wollen, dass der Lauf der Dinge perfekt zeitlich determiniert ist. Nämlich setzt sich im Lauf der Kulturgeschichte zunehmend die Idee der klassischen Physik durch, dass es eine "Welt" gibt, in der alles nach einigen klaren Gesetzmäßigkeiten abläuft. Es hapert aber an der Beobachtung. In dieser vereinigen in sich all diejenigen Ungereimtheiten, die eigentlich als Spontanprozesse in Erscheinung treten sollten: Krankheitserreger treten zunächst in Form von Spontanprozessen in Erscheinung, weil sie zu klein sind, um beobachtet zu werden. Gelingt dann die Beobachtung, so werden sie ordentliche Teile der Welt, obwohl man auch dann die Erreger nicht ständig sieht. Der Beobachtungsvorgang wird mit einigen weltlichen Eigenschaften (dem Bau und den Funktionen des menschlichen Körpers) verknüpft, derart, dass sich die passenden Einschränkungen ergeben, und sei es nur, dass man nicht überall hingehen kann, um nachzuschauen, was da gerade passiert. Aber was da passiert, ist völlig determiniert, und hat mit dem Beobachtungsvorgang nichts zu tun.

Diese Umwandlung von Spontanprozessen in reine Unzulänglichkeiten eines Beobachters ist ein ganz besonderes Kunststück des Bewusstseins, das sich durch eine gewöhnliche neurophysiologische Untersuchung eines menschlichen Gehirns sicherlich nicht erkennen läßt, zumal man dazu die Zusatzidee braucht, dass bestimmte gegenwärtige physiologische Prozesse, nämlich Gedächtnisabrufe, phänomenal etwas zu tun haben mit "Vergangenheit", d.h. mit "Zeit", ohne die man die so sehr angestrebte deterministische Regelhaftigkeit auch in prinzipiell überprüfbaren Fällen gar nicht erkennen kann. Festzuhalten ist auch, dass der Vorgang "Beobachtung" weit davon entfernt ist, einfach nur (im Fall des Sehens) eine neuronale Verarbeitung von einfallenden Lichtstrukturen zu sein. Viel näher liegt es, die "Beobachtung" und den "Freien Willen" (siehe Hirnbrief 25,2009) als gleichermaßen obskure Gegenspieler anzusehen, die die (unverständliche) Verbindung von physischer Welt zum subjektiven phänomenalen Niveau bzw. die umgekehrte ebenso unverständliche Verbindung herstellen.

Na ja, viel klarer ist die Sache doch wieder nicht geworden.

zur 41/42. Woche 2010

Mathematik

Die Frage wird schon seit langem gestellt, wie denn das Gehirn mit seinen verrauschten neuronalen Signalen einen mathematisch exakten Kreis darstellen kann (siehe auch Hirnbrief 31/32, 2010), oder, noch einfacher, eine exakte Vier. Die Antwort wird wieder dieselben Elemente enthalten wie schon diejenigen, die für das Sehen (siehe Hirnbrief 52, 2009), und auch für die "Identität" vorgebracht wurden(siehe die letzten 5 Hirnbriefe), und die sich wie immer auf einen neuronalen und einen phänomenalen Zweig aufteilen.

Diejenigen, die vom Bewusstsein nichts wissen wollen, würden gern entweder dem physiologischen Gehirn die Leistung zuschieben, mit Hilfe einer genügend großen Anzahl von Neuronen doch irgendwie eine quasi-exakte, und vor allem reproduzierbare Darstellung einer Vier zu realisieren. Oder aber sie reden davon, dass ein jedes einzelne Mitglied der für "Vier" zuständigen Familie (bestehend aus einander einigermaßen ähnlichen Erregungsverteilungen) eine Vier "repräsentiere".

Ersterer Vorschlag kann die Vorstellungen eines Mathematikers von der Identität von mehrfach auftretenden Vieren niemals befriedigen; und letzterer Vorschlag benutzt die Beziehung "Repräsentation", die zwar im Bewusstsein, nicht aber in der Naturwissenschaft existiert. Das Bewusstsein ist jedoch subjektiv, so dass die Frage entsteht, wie zwei Mathematiker sich über fachliche Zusammenhänge einig sein können.

Als erstes kann ja mal nur ich allein Mathematik betreiben. Getreu dem Hauptziel moderner Pädagogen, eigentlich niederrangige intellektuelle Leistungen durch exquisite Benennungen höherzustufen, will auch ich das Zählen und Rechnen als Mathematik auffassen.

Was passiert rein neuronal beim Abzählen von Objekten? Zunächst einmal ist ein solcher Vorgang immer ein sequentieller, und zwar auch dann, wenn alle Objekte sensorisch gleichzeitig erfassbar sind. Von einer instantanen Mengenabschätzung soll hier nicht die Rede sein: Man kann "auf einen Blick" sehen, dass sieben Objekte mehr als fünf sind, oder 2000 mehr als 1000, aber nicht, dass 218 mehr als 217 sind; auch kommt dieses Verfahren in Schwierigkeiten, wenn einige der Objekte sehr viel größer als andere sind.

Angenommen, man könne nur bis 10 zählen. Für das sequentielle Abzählen braucht man dann neun neuronale Prozeduren, deren fünfte die (ungefähre) neuronale Eingangsverteilung "fünf" erkennen muss, woraufhin es die (kurzzeitig) abzuspeichernde (ungefähre) Verteilung "sechs" erzeugt. Das geht genauso wie beim Hasen die Umsetzung des Fuchsgeruchs in Flucht-Motorkommandos. Wohlgemerkt ist von einem rein neuronalen Vorgang die Rede, es gibt also keine Instanz, der bekannt ist, dass es sich um eine Anzahl, und um eine Fünf, handelt. Auch ist die Abfolge der Prozeduren in keiner Etappe exakt; es genügt, dass "fünf" nicht mit "sechs" verwechselt wird.

Diese Abfolge muss "bei Eins" gestartet werden, und es muss darauf geachtet werden, dass kein Objekt mehrmals gezählt oder übersprungen wird. Es wäre dann möglich, dass immer beim Auftreten des Erregungsmusters "Sieben", ggf. neben dem Weiterzählen, ein Motorkommando für ein Glockenanschlagen produziert wird.

Die stammesgeschichtliche Entwicklung eines solchen sequentiellen Systems ist insofern erschwert gegenüber der instantanen Mengenabschätzung, als auch diese Entwicklung nur sequentiell erfolgen kann, man aber, wenn man überhaupt ein solches System nutzen will, von vornherein alle Prozeduren gleichzeitig zur Verfügung haben muß.

Ein rein neuronales System könnte also durchaus regelrecht sequentiell abzählen und Ausgangssignale erzeugen, die von einer Anzahl abhängen. Allerdings wird das Weitergeben von Signalen von einer Prozedur zur nächsten im Prinzip immer unzuverlässiger, egal welchen Aufwand man betreibt. Wenn man weiter nichts will als das bisher Geschilderte, sieht man keine Notwendigkeit, zu erkennen, dass die Anzahl "fünf Stück" heute exakt der gestern gezählten Anzahl fünf gleicht.

Es wäre darüberhinaus möglich, mitsamt einem Ensemble von fünf Objekten auch die "Anzahl fünf" abzuspeichern im selben Format, das auch für die Abzählprozedur passte. Vielleicht ist es nicht sofort klar, wie man das genau machen muss, aber es wäre machbar. Damit könnte man dann "weiterzählen".

Bei all dem bisher Gesagten kamen regelrechte Objekte vor, die gezählt wurden. Mit diesen könnte man sogar noch einfache Rechenregeln zusammenbauen, indem man neue Objekte hinzufügt und dann wie oben "weiterzählt", aber anschließend die neuen Objekte allein zählt. 3 Objekte + 5 Objekte = 8 Objekte könnte man so erzeugen, und als feste Regel abspeichern.

Man kann sich auch noch vorstellen, dass man auf einem rein neuronalen Niveau, ohne Bewusstsein, von den Objekten loskommt, und zu 3 + 5 = 8 gelangt. Damit verschwindet die Variabilität nicht, aber sie wird geringer; auch entfällt dann das Bemühen, kein Objekt doppelt zu zählen oder auszulassen. Fragen nach Exaktheit entstehen hier noch nicht, weil zwischen 5 und 6 nichts ist.

So, wie es hier dargestellt wurde, wird das Abzählverfahren mit immer größer werdenden Anzahlen immer ungenauer, weil die Streuungen jedes Einzelschritts sich aufhäufen. Man kann dann bestenfalls dafür sorgen, dass zu große Ungenauigkeiten ganz aus dem Zählprozess hinausführen, anstatt dass ein falsches Ergebnis weiterhin als Anzahl erkennbar bliebe.

Nun besteht Mathematik ja aus mehr als nur dem (ganzzahligen) Abzählen von Objekten. Beispielsweise muss ermittelt werden, dass die Kreisfläche Pi mal Radius zum Quadrat beträgt, und man die Größe von Pi durch eine Reihenentwicklung ermitteln kann, wozu man wiederum Differentialrechnung benötigt.

Nun bin ich ja überzeugt, freilich bislang in einfacheren Fällen, dass generell eine zeitliche Abfolge von ähnlichen Erregungsmustern auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins so behandelt wird, wie ich es im Hirnbrief 52 (2009) beschrieben habe: Das erste eintreffende dieser Muster wird sowohl mit gewöhnlichen physiologischen Verfahren abgespeichert (was niemals sehr genau wird), als auch auf dem phänomenalen Niveau, in völlig unverstandener Weise, als Prototyp dargestellt. Im weiteren Verlauf, wenn dann erneut ein ähnliches Erregungsmuster einläuft, wird auf neuronalem Niveau nur grob (besser kann es gar nicht sein) festgestellt, dass kein bedeutsamer Unterschied zum abgespeicherten ersten Muster vorliegt. Das Besondere ist, dass daraufhin auf dem phänomenalen Niveau der alte phänomenale Prototyp erneut erscheint, wodurch trivialerweise (aber auch unverstandenerweise) alle Wiederholungen lediglich ähnlicher Erregungsmuster phänomenal als identisch erscheinen. Das Ganze ist ein Aspekt dessen, was ich das "Nichts"-Prinzip des Bewusstseins nenne, worüber demnächst (Hirnbrief 45/46) zu schreiben sein wird.

Jetzt muss ich überlegen, ob man diesen Vorgang sozusagen hintereinanderschalten kann, indem die zunehmende neuronale Ungenauigkeit beim oben beschriebenen Abzählen beim Erreichen zB der Anzahl "9" irgendwie (durch Schaffen eines neuen phänomenalen Prototyps?) umgangen oder behoben werden kann. Ich will mal schauen, ob mir dabei jemand helfen kann in dem Freiburger Institut, das jetzt BCF heißt, zuvor aber BCCN, man allerdings die beiden Buchstaben CN abgeworfen hat, die die Abkürzung für "Computational Neuroscience" waren.

zur 39/40. Woche 2010

Dasselbe 2

Dieser Brief ist die Fortsetzung des vorangegangenen Nr. 37/38.

Im Hirnbrief 9/10, 2010 wurde beschrieben, wie ich im Alltag das völlig konstante Bücherregal in meinem Arbeitszimmer stundenlang ohne Aufmerksamkeit wahrnehme, so lange ich an meinem Arbeitsplatz sitze. Sobald ich am nächsten Tag den Platz erneut einnehme, erscheint es als erneut als konstant. Dass es dasselbe Regal ist, wird normalerweise, d.h. ohne Aufmerksamkeit, über die Konstanz hinaus nicht bewusst, sondern erst, wenn ich eine Veränderung zB. seiner Position bemerke, und ich somit eine visuelle neuronale Aktivität anwerfen muss ("Aufmerksamkeit"). Der phänomenal aufscheinende Prototyp wird dann abgeändert, oder aber Anteile, die sich als variabel erwiesen haben, werden aus ihm entfernt.

Die visuelle Wahrnehmung kann nur ununterbrochen konstant auf dem phänomenalen Niveau erhalten bleiben, ohne dass Neurone tätig sind, wenn die Neurone Gelegenheit haben, Veränderungen zu bemerken, es jedoch keine zu bemerken gibt. Die Szene muss also im Gesichtsfeld bleiben. In diesem Fall ist sozusagen garantiert, dass alles "dasselbe" bleibt, aber dies wird nicht extra bewusst.

Ein Hund kommt jedoch nur hin und wieder in mein Gesichtsfeld, sofern ich nicht sein Besitzer bin. Auch bewegt er sich. Wenn ich ihn aufmerksam anschaue, wird eine Abfolge von neuronalen Prototypen erstellt und abgespeichert, so dass ich mich später an die Bewegungen des Hundes erinnern kann. Es wird aber auch aus dem zuvor genannten ersten Prototyp all das entfernt, was sich als variabel erweist, so dass nur regelrechte Merkmale übrigbleiben, die sensorisch feststellbar sind. Diese können durchaus auch die Präsenz des Hundebesitzers mit umfassen, so dass, wenn man diesen Hund zusammen mit einer unbekannten Person, und obendrein an einem weit entfernten Ort sieht, man ihn nicht für "denselben" hält.

Die alltägliche konstante Wahrnehmung zeigt, was sozusagen eines der Ziele des Bewusstseins ist: Konstantes soll konstant erscheinen, ohne dass die Neurone diese Konstanz ständig signalisieren müssen. Zu diesem Zweck stehen einige recht grob arbeitende änderungsmeldende Neurone ständig bereit, aber sie melden nichts im Fall des obengenannten Regals; Änderungen als Folge meiner Augenbewegungen müssen sie dazu herausrechnen. Daraus folgere ich "sichere" Konstanz, so dass ich es mir erlauben kann, dieses Regal tatsächlich dauerhaft auf meinem phänomenalen Niveau aufscheinen zu lassen. Wegen der Kontinuität dieser Vorgänge ist das Regal von allein immer "dasselbe".

"Identisch" und "dasselbe" klafft erst dann auseinander, wenn ein solcher Vorgang unterbrochen wird. Hier begegnet man übrigens erneut der Frage des Managements von Unterbrechungen von neuronalen Prozeduren. Zu diesem Thema habe ich in der Abteilung "Varia" meiner Hirnbriefe früher den Text Nr. 7 geschrieben. Irgendwie gehört ein solches Management ebenfalls zu den Ursprüngen des Bewusstseins, aber im Moment kann ich diesen Aspekt noch nicht schlüssig mit dem hier vorliegenden zusammenführen.

Die Konstanz des Anblicks eines Hundes kann auf dreierlei Weise unterbrochen werden, nämlich indem er sich bewegt, indem ich mich abwende, oder es zB. dunkel wird. Nach einer Unterbrechung vollzieht sich die erneute Feststellung der phänomenalen Identität nach dem genannten Schema: Der Hund wird angeschaut und neuronal klassifiziert (enggestellter Klassifikator für nur diesen einen Hund), und wenn die Klassifikation erfolgreich ist, wird unverstandenerweise der alte phänomenale Prototyp wieder zum Aufscheinen gebracht. Damit ist der Hund allerdings nur "vom Typ dieses Hundes". Für die Feststellung, dass es derselbe Hund ist, fehlt nun aber die ununterbrochene Beobachtung des kontinuierlichen Übergangs des vergangenen Körpers des Hundes in den gegenwärtigen. - Hier weiß ich vorerst nicht weiter.

Vielleicht hilft es, eine andere Szene zu betrachten: Wenn ich nach 30 Jahren erneut in eine Stadt komme, die ich damals einigermaßen gut gekannt habe, kann es passieren, dass ich mich plötzlich an einer Straßenkreuzung als "dieselbe" erinnere, im Gegensatz dazu, dass ich sie nur erkenne als "vom Typ Straßenkreuzung". Wie kann das sein? Und was nützt mir das? Allerdings ist dies nun ein Beispiel aus dem Bereich "Orientierungsvermögen", das wie beim Pferd, das mit dem betrunkenen Kutscher auch ohne Kommandos nach Hause findet, mit vielen unbewußten Prozessen funktioniert. Auch hat es nur wenige Angaben zu liefern, nämlich zumeist x und y und einen Drehwinkel (wo bin ich?) und ein ähnliches Ensemble (wo will ich hin?), und zudem gibt es jeden Ort nur einmal; es kann zwar einen "Typ Umgebung" (zB. Stadt oder Land) geben, nicht aber einen "Typ 15. Längengrad, 48. Breitengrad auf der Erdoberfläche". Aber man sieht an diesem Beispiel, dass das Erkennen von "derselben" Straßenkreuzung auch mit sich bringt, dass dann noch viel mehr dasselbe sein müßte als nur das, was ich im Moment mit meinen Sinnen erfasse. Jedenfalls werden einige zusätzliche Erinnerungen hervorgerufen, die mir nun für die Bestimmung meiner gegenwärtige Marschrichtung hilfreich sind.

Für mich gehen also mit "demselben" mehr Angaben über sinnesmäßig momentan nicht erfassbare Daten einher als wenn ich lediglich den Typ wiedererkenne. Sobald ich einen Hund als denselben erkenne, wird die Erinnerung, dass er bissig ist, ebenfalls wieder aktiviert, nicht aber notwendigerweise, wenn ich nur "genau denselben Typ Hund" wiedererkenne.

Vermutlich ist die Existenz des Konzepts "derselbe" bedeutsamer als die tatsächliche Bestätigung von Einzelfällen. Eine Ratte, die nur die eigenen Nachkommen ernähren will, kann durchaus zurechtkommen mit einer hinreichend enggestellten Typ-Erkennung ihrer eigenen Nachkommen, ohne dass an ihrem Verhalten, oder in ihrem Nervensystem irgendwo erkennbar wäre, dass sie es jeden Tag erneut mit "denselben" Jungen zu tun hat. Genausogut könnte es im Prinzip sein, dass sie fremde Junge, wenn sie nur alle engen Typ-Kriterien erfüllen (zB. einen hinreichend ähnlichen Geruch etc. haben), wie eigene Junge behandelt.

Der Unterschied besteht in dem Wissen (auf dem phänomenalen Niveau), dass die Jungen dieselben sind wie gestern, wodurch eine Zeitkontinuität zum Ausdruck kommt. Man muss dazu, ebenfalls auf dem phänomenalen Niveau, wissen, was "Zeit" ist. Hingegen die wiederholte Klassifizierung als zu einem bestimmten, sehr eng gefassten Typ gehörig vollzieht sich jeden Tag in der jeweiligen Gegenwart, man braucht dazu kein Zeitkonzept.

Wahrscheinlich würden die meisten Wissenschaftler behaupten, dass man am Verhalten einer Ratte erkennen könne, dass es für die Ratte "dieselben" Jungen sind, die sie jeden Tag versorgt. Das ist vermutlich unzutreffend. Aber man wüßte nur zu gern, was denn am neurowissenschaftlich feststellbaren Geschehen anders sein müßte, wenn auf dem phänomenalen Niveau "dieselben" erkannt werden. Dieser Unterschied ist sicherlich verknüpft mit dem Fall der Einspeicherung in ein episodisches Gedächtnis, und dem Abruf daraus, welche ja beides neuronale Vorgänge in der jeweiligen Gegenwart sind. Man kann nicht jetzt etwas Gestriges, sondern nur  etwas Gegenwärtiges neuronal ablaufen lassen. Letzteres kann nur etwas Vergangenes bedeuten, je nachdem, wie Gedächtnisinhalte eingebunden werden.

Auf dieser Schiene geht es vorerst nicht weiter. Vielleicht schreibe ich demnächst über Mathematik, bei der ja auch "Identität" vorkommt.

zur 37/38. Woche 2010

Dasselbe 1

Im vorigen Hirnbrief habe ich dargelegt, mit Bezügen zu noch früheren Hirnbriefen, dass ein neuronales System nur so ungefähr klassifizieren kann, weil ein neuronaler Klassifikator nicht imstande ist, ein immer wieder identisches Ausgangssignal für ein und dieselbe Klasse zu produzieren. Vielmehr ist dieses Signal mehr oder weniger variabel, wie alles im Nervensystem, nach dem Motto "nur so genau wie nötig". Hingegen auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins erscheint "Identität". Wie schon gesagt, kommt diese Identität in zwei Varianten daher. Oder vielmehr, auf dem neuronalen Niveau wird nach dem gleichen Klassifikationsprinzip sowohl ein bestimmter Hund als zur allgemeinen, festen, identisch bleibenden "Klasse Hund" gehörig eingeordnet, als auch, durch einfache Verengung der Klassifikationskriterien ein einziger Hund in eine ihm zugehörige Klasse eingeordnet. Im ersteren Fall ist es klar, dass ein Dackel und ein Schäferhund, beide neuronal als "Hunde" erkannt, nicht "derselbe" Hund sind.

Mit "derselbe" oder "nicht derselbe" hat der neuronale Klassifikator grundsätzlich nichts zu tun. Man soll ihn sich als einen Filter vorstellen, der neuronale Signale nur durchläßt (und sie dabei transformiert), wenn sie das Kriterium erfüllen. Was dann weiter mit diesen Signalen geschieht, ist nicht das Problem des Klassifikators.

Diese Beschreibung bleibt dieselbe, wenn die Klassifikationskriterien enger gestellt werden. Sozusagen "weiß der Klassifikator nicht", dass das Engstellen der Kriterien zur Folge hat, dass nur noch ein einziger Hund durchgelassen wird. Es sei festgehalten, dass ein neuronales Netzwerk zwar einen Erkennungsfilter sehr eng einstellen kann, aber dass etwas immer wieder "dasselbe" ist, kann es nicht signalisieren.

Jetzt fange ich von hinten an und rede vom phänomenalen Niveau des Bewusstseins. Mit "demselben" Hund meint man, dass die Klassifikationen, die ihn wiederholt erkannt haben, auf jeden Fall auf der Zeitachse gegeneinander versetzt sind. Hingegen bei einer Einordnung in die breitere Klasse "Hund" kommt keine Aussage über die Zeit vor. Das genügt aber noch nicht. Vielmehr, wenn man denselben Hund meint, muss ein bestimmtes Ensemble von sensorisch erfassbaren Charakteristika, die man nämlich von dem Hundekörper erhält, räumlich beisammenbleiben, während die Zeit verfließt. Man müßte also eine zeitlich lückenlose Abfolge von Klassifikationen vornehmen, und immer dasselbe, phänomenal identische Ergebnis erhalten.

Es fällt schwer, sich die Welt ohne Vergangenheit vorzustellen. Deshalb ist noch nicht alles gesagt. "Derselbe Hund" heißt ja "derselbe Hund wie in der Vergangenheit". Deshalb muß es noch einen Mechanismus geben, der feststellt, dass bei der obigen kontinuierlichen Klassifikation das gegenwärtige Ergebnis identisch ist mit demjenigen im unmittelbar vorhergehenden Zeitschritt, welcher jedoch bereits verflossen ist.

Man denkt sofort an die Notwendigkeit einer Speicherung. Diese findet jedoch nicht statt, oder zumindest nicht in genau dem Sinne, den man hier vermutet. Vielmehr passiert auch hier, was vor allem in den letzten Absätzen im Hirnbrief 52/2009: "Zip-Code" schon geschrieben steht: Wenn ich einen bestimmten Hund zum ersten Mal sehe, und ich besonderen Anlass habe, mich weiter mit ihm zu befassen, dann lege ich einen neuronalen "episodischen" Speicher an von den mir im Moment zur Verfügung stehenden Sinnessignalen, die ich von dem Hund erhalte. Diese Signale haben zur Folge, oder zumindest tragen sie dazu bei, dass unverstandenerweise auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins ein (phänomenaler) Prototyp entsteht. Dieser ist es, der im Bewusstsein "aufscheint".

Wenn später erneut dieser Hund auftaucht, wird neuronal festgestellt, dass er dem episodischen Gedächtnisinhalt ungefähr ähnlich ist, woraufhin phänomenal der alte Prototyp erneut aufscheint.

Man muss das aber im folgenden Hirnbrief noch genauer anschauen.

zur 35/36. Woche 2010

Identität von klassifizierten Dingen.

Wenn ich verschiedene Tiere als Hunde erkenne, und sie deshalb stets mit demselben Wort "Hund" bezeichne, dann habe ich sie damit einer festen, unveränderlichen Klasse zugeordnet. Weder ein jeder dieser Hunde, noch das mehrfach benutzte Wort "Hund" erscheint in einem physischen Sinne als "dasselbe", das wie ein und derselbe Gegenstand mehrmals nacheinander erscheint (siehe voriger Hirnbrief), sondern "Hund" ist ein in jedem Anwendungsfall identisches, quasi zeitloses Konzept. Ähnlich wird auch die Zahl 3 behandelt, die mehrfach in einer Rechnung auftauchen kann, und die als identisch aufgefasst wird, die aber nicht im Sinne eines physischen Gegenstandes als "immer wieder dieselbe 3, die nur an verschiedenen Stellen auftaucht", aufgefasst wird.

Man kann durchaus einen phänomenalen Prototyp für einen bestimmten Hund anlegen, der dann per "Gegenstands-Identität" als immer wieder derselbe erscheint. Zugleich kann man einen allgemeineren Prototyp für die Kategorie "Hund" anlegen. Damit der jeweilige phänomenale Prototyp aufscheinen kann, muss ein bestimmter Hund neuronal als hinreichend ähnlich zu dem letzteren (wenn es irgendein Hund ist) oder zu beiden Prototypen (wenn es "derselbe" Hund ist) erkannt werden.

Weil das Bewusstsein vorkommt, kann man diese Vorgänge nicht wirklich naturwissenschaftlich verstehen. Aber die bei einer Klassifizierung auftretende phänomenale Identität (zwei verschiedene Hunde sind identisch bezüglich der Kategorie "Hund") ist immer noch relativ einfach gebaut, im Vergleich zur Gegenstands-Identität (siehe vorigen Hirnbrief): Man entwickelt nach bekannten neurotechnischen Prinzipien einen Erkennungsfilter für "Hund allgemein", und wenn ein Sinneseinstrom als filter-durchgängig erkannt wird, dann scheint das immer wieder gleiche Konzept "Hund" auf, in diesem Fall nicht unbedingt in Form einer visuellen Darstellung. Die Zeit kommt dabei in keiner bedeutsamen Weise vor: "Dieser Hund ist immer ein Hund".

Für die Wiedererkennung desselben Hundes kann man neurotechnisch eigentlich nur einen grundsätzlich ähnlichen Filter bauen, der lediglich strengere Kriterien benutzt, so dass nur die neuronalen Signale von diesem einen Hund durchgelassen, d.h. erkannt werden. Allerdings werden auch Kriterien hinzutreten über den Ort, wo der Hund sich in diesem Moment überhaupt nur befinden kann. Für einen Baum spielt dieses Kriterium vielleicht die Hauptrolle, wenn viele Jahre verstrichen sind bis zur ersten Wiedererkennung.

Die neurotechnische Seite der beiden Sorten von "Identität" scheint auf den ersten Blick ähnlich zu sein: Man hat Erkennungsfilter, und diese müssen ansprechen. Unverstandenerweise wird daraufhin ein phänomenaler Prototyp zum Aufscheinen gebracht. Wäre auch dieser Schritt noch ähnlich, dann würde für "denselben" wiederholt auftretenden Hund lediglich herauskommen, dass er einer "Klasse von hinreichend ähnlichen Hunden" angehört. Wie kommt man denn dann zum Konzept "derselbe"? Mit der Nebenbedingung allein, dass in dieser Klasse niemals zwei Hunde gleichzeitig auftreten können, ist es sicherlich nicht getan. Und auch nicht damit, dass man die Kriterien für die Klassenzugehörigkeit einfach so eng macht, dass nur nur der eine betreffende Hund hineinfällt.

Es muss wohl der Zeitbegriff eine entscheidende Rolle spielen: Wiederholte phänomenale Darstellungen "desselben" Hundes dürfen sich nur durch die Zeit unterscheiden. Sollte der Hund sich zwischenzeitlich bewegen, so darf "Bewegung" überhaupt nicht in den Prototyp einfließen. Wesentlich ist die ununterbrochene zeitliche Kontinuität eines selben Gegenstandes. Diese ist jedoch nicht so ohne weiteres beobachtbar: eine Person, wenn sie nicht gerade der Hundebesitzer ist, wird "denselben" Hund vielleicht in vergleichbar langen, getrennten Zeitabschnitten sehen wie irgendwelche anderen Hunde.

In der Entwicklungsgeschichte ist sicherlich das Konzept der Klassenbildung früher entstanden, indem ein neuronales Netzwerk jeden Hund, der sich präsentierte, als Hund erkennen konnte. So versorgt eine Hundemutter immer dieselben Hundejungen, sobald diese ein paar Klassenkriterien (Geruch etc.) erfüllen, ohne zu der Erkenntnis fähig zu sein, dass es immer wieder "dieselben" Hundejungen sind. Dabei kommt keine Zeit vor: Das Nervensystem ist so eingerichtet, dass man seine Nachkommen betreut, aber man muss dazu nicht wissen, dass man es zuvor auch schon getan hat.

Hingegen "derselbe" heißt ja nicht nur eine Zugehörigkeit zu einer geeigneten, hinreichend eng gefassten Klasse ("weißer Hund mit hellbraunen Flecken, von denen sich zwei nahezu kreisförmige auf der rechten, nicht aber der linken Körperseite gerade berühren"), was man als rein neuronalen Mechanismus verstehen kann. Vielmehr kommt das (unverständliche) phänomenale Niveau des Bewusstseins ins Spiel. Dort wird nicht nur dem immer nur ungefähren Klasssifikationsergebnis ein phänomenaler Prototyp ("Hund mit so-und-so Flecken") zugeordnet, sondern es gibt auch noch einen bis dahin unbekannten Parameter, nämlich "die Zeit", derart, dass beim späteren erneuten Auftauchen des betreffenden Hundes nicht nur der alte phänomenale Prototyp "aufscheint", sondern auch noch die ebenfalls phänomenale Meldung, dass dieser Prototyp auch früher schon gegolten hat, und zwar in einer "dasselbe-stiftenden" Weise. Dieser letzte Satzteil ist eigentlich völlig unverständlich, vor allem für jemanden, der ohnehin noch nicht weiss, was "Zeit" ist.

Im Moment bin ich nicht imstande, diesen Punkt zu klären, und es ist nicht sicher, dass sich das bis zum nächsten Hirnbrief bessert. Aber mein Eindruck ist, dass "die Zeit" konzeptionell erfunden wurde (wohlgemerkt auf dem phänomenalen Niveau), um zu erfassen, dass es in der Welt Komponenten (nämlich "Objekte") gibt, die eine Weile lang dieselben bleiben, egal, was mit ihnen geschieht.

zur 33/34. Woche 2010

Gegenstands-Identität 

Normalerweise fasst man einen Gegenstand als "denselben" auf, während die Zeit verfließt. Dabei muss der Gegenstand, vor allem wenn es ein "belebter Gegenstand" ist, wie ein Baum oder ein Mensch, nicht unbedingt in jeder Hinsicht unverändert bleiben.

Eines ist von vornherein klar (siehe den vorigen Hirnbrief 30/31, 2010), nämlich dass "Identität" nur auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins auftauchen kann, und somit die Subjektivität der Identität mit ins Spiel bringt, wohingegen das neuronale Niveau über Ähnlichkeiten zwischen Erregungsverteilungen nicht hinauskommt, diese dafür aber objektivierbar sind. Selbst eine sehr große Ähnlichkeit ist aber immer noch keine Identität, zumal die tatsächlichen Ähnlichkeiten zwischen neuronalen Erregungsverteilungen noch nicht einmal besonders groß sind, weil eine mehr als gerade ausreichende Präzision nicht verlangt wird. Man sieht das beispielhaft an den Unterschieden zwischen wiederholten Armbewegungen beim Suppe-Essen mit dem Löffel, bei denen es eigentlich keinen Grund dafür gibt, dass sie alle ein wenig unterschiedlich ausfallen.

Auf dem neuronalen Niveau passiert folgendes: Der Gegenstand löst über einen Sinneseingang eine Erregungsverteilung aus, wobei sich auch ein prozedurales Gedächtnis zur (ungefähren) Wiedererkennung bildet, das wie ein Filter wirkt. Auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins scheint der Gegenstand in Form eines "Prototyps" auf, wobei die Dauer dieses Aufscheinens die Dauer der Erregung weit übertreffen kann, so lange neuronal keine Änderung signalisiert wird (siehe Hirnbrief 9/10;2010 und frühere dort genannte). Auswirkungen von Blickwendungen oder Körperbewegungen gelten hierbei nicht als Änderungen.

Wenn später über die Sinne, vor allem über das Sehen, der Gegenstand erneut neuronal signalisiert wird, und dabei eine einigermaßen zum Speicherinhalt ähnliche Erregung entsteht, dann gilt der Gegenstand als neuronal wiedererkannt, woraufhin (unverstandenerweise) auf dem phänomenalen Niveau erneut der alte (!) Prototyp aufscheint, zumeist mit dem Zusatz, dass er die ganze Zeit über da war. Auf diese Weise, und zwar im späteren Verlauf gänzlich ohne Beteiligung neuronaler Erregungen, nehme ich immer wieder dasselbe Bücherregal wahr, das meinem Arbeitstisch gegenübersteht, sobald ich den Blick vom Tisch nach oben wende. Wohlgemerkt ist es nicht ein Gedächtnisinhalt, der neuronal abgerufen, und dann in eine phänomenale Wahrnehmung übersetzt wird. Denn ein Gedächtnisabruf wäre variabel, wie ein jeder neuronale Prozess, und zudem müßte er kontinuierlich erfolgen. Vielmehr ist es so, dass die erfolgreiche, aber nur ungefähre neuronale Wiedererkennung (die nur einen Bruchteil einer Sekunde dauert) dafür sorgt, dass auf dem phänomenalen Niveau ein simples "OK, weitermachen mit dem alten Prototyp" ergeht.

Will ich hingegen visuell sicherstellen, dass ein bestimmtes Buch wirklich im Regal steht, dann muss ich "frische" neuronale Erregungen zu Hilfe nehmen. Das nennt man dann "Aufmerksamkeit". Man spürt selber, dass daraufhin im Kopf regelrecht etwas (im Wiederholungsfall schnell Ermüdendes) geleistet wird, wohingegen die stundenlang wahrgenommene alltägliche Präsenz des Regals ohne Aufmerksamkeitszuwendung nicht merklich belastet, wobei ich phänomenal die Meldung verspüre, dass das Regal genauso aussieht wie immer. Man hüte sich jedoch vor dem Ausdruck "Illusion", und sei es nur, weil das Regal ja vorhanden ist.

Es ist ein alltäglicher Vorgang, auf den man keine Aufmerksamkeit verwendet, beim Gehen im Haus nicht gegen Türrahmen zu rennen. Ein Türrahmen wird prozedural erkannt, und die Steuerung wird neuronal auf visueller Grundlage, aber normalerweise ohne Bewusstsein, abgewickelt. Freilich ist auf dem visuellen phänomenalen Niveau an der Stelle des Türrahmens kein Loch in der wahrgenommenen Welt, aber da werden alte Prototypen hergenommen, vielleicht noch nicht einmal von dem Türrahmen, sondern von einem Türrahmen. Nun kann man aber denselben Türrahmen auch aufmerksam inspizieren, wobei auch hier visuelle Neurone tätig werden, und zudem ein episodisches Gedächtnis angelegt wird, so dass man sich dann zumindest eine Zeit lang an die Inspektion erinnern kann. Phänomenal scheint dann der Türrahmen mit zahlreichen Details auf. Dennoch erscheint er phänomenal als derselbe wie zuvor der mit Hilfe alter Prototypen wahrgenommene. Eventuell werden im Prototyp Details aufgestockt.

Es ist bisher nicht gelungen, einen Nutzen für das Aufscheinen von phänomenalen Gehalten im Bewusstsein anzugeben (man lasse sich da nicht täuschen von Texten anderer Autoren), insbesondere, weil ja offenbar keine kausalen Wirkungen direkt von diesen Gehalten ausgehen können. Aber man kann feststellen, dass auf dem visuellen (im Gegensatz zum auditiven, taktilen und olfaktorischen) phänomenalen Niveau versucht wird, eine Welt darzustellen, die auch existiert, wenn die Neurone von ihr nichts melden. Die für uns relevante Welt besteht zum großen Teil aus (nahezu) festen oder zumindest zusammenhängenden Körpern, die sich nicht gegenseitig durchdringen können, und bei denen die Anzahl von Eigenschaften, die für längere Zeit erhalten bleiben, viel größer ist als die Anzahl der sich ändernden.

Die Art und Weise, wie Gegenstände phänomenal als zeitlich identisch dargestellt werden, lässt erahnen, wie das Gehirn sozusagen meint, dass die Welt ganz unabhängig von diesem Gehirn beschaffen sei. Aber man darf nicht vergessen, dass diese Darstellung subjektiv ist.

Weiteres zur Identität folgt im nächsten Hirnbrief. Es wird noch schwierig werden.

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zur 31/32. Woche 2010

Klassifikation und Repräsentation

Wie sich aus einer kürzlichen Diskussion ergab, herrschen unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Begriffe "Klassifikation" und "Repräsentation" einzuordnen sind, wenn die Rede vom Gehirn ist.

Es gibt schon einen Text "classification" in der Abteilung "varia" dieser Webseite; er soll hier ergänzt werden. "Ein neuronales System kann nicht klassifizieren", steht dort als wesentlicher Punkt, an dem ich weiterhin nachdrücklich festhalte.

Selbstverständlich kann ein neuronales System eine Vielzahl handgeschriebener Ziffern "3" und "4" in zwei nicht-überlappende Familien ("Attraktoren") von Erregungsmustern segregieren. Jede erkannte "3" löst eines der Signale aus der zugehörigen Familie aus. Was ein Gehirn jedoch auf keinen Fall leisten kann, ist, ein immer wieder identisches Ausgangssignal für jede erkannte "3" bzw. "4" zu produzieren. Bei Simulationsrechnungen in künstlichen neuronalen Netzwerken wird das aber angenommen. Hier liefern die Chefs ihren Studenten eine dieser unheilvollen Vermischungen von Naturwissenschaft und phänomenalen Gehalten des Bewusstseins; auf einer solchen Grundlage fordern sie die zukünftigen Hirnforscher auf, sich noch mehr anzustrengen, dann würden sie einen entsprechenden neuronalen Mechanismus schon finden.

Andererseits hört man, dass ein jedes (unterschiedliche) Mitglied der Signalfamilie "3" das Konzept einer immer wieder gleichen "3" repräsentiere, oder bedeute. "A repräsentiert B" ist jedoch generell keine naturwissenschaftliche Beziehung.

Für das Verständnis von naturwissenschaftlich feststellbaren Hirnfunktionen ist das Familien- oder Attraktorkonzept durchaus brauchbar: Da werden immer wieder leicht unterschiedliche Erregungsmuster von einem Attraktor zum nächsten geschafft; das geht so von den Eingangssginalen durch das ganze Gehirn hindurch bis hin zu den Ausgangssignalen. "Identität" kommt dabei auf keiner Station vor. Das wird besonders deutlich, wenn zwei Mathematiker ausschließlich handschriftlich miteinander kommunizieren, und sie dabei mathematische Beweise behandeln: Nichts von dem, was auf naturwissenschaftlichem Niveau objektiv feststellbar ist, ist exakt in einem mathematischen Sinne. Aber verstehen kann man all dieses, einschließlich der Signale innerhalb der beiden Gehirne (zB der Motorsignale beim Schreiben einer Ziffer "3"), zumindest im Prinzip.

Freilich kann man die beteiligten Erregungen, und auch die Sinnes-Eingangssignale und muskulären Ausgangssignale als Mitglieder jeweiliger Attraktoren auffassen. Nur hilft das nichts, um festzustellen oder gar zu verstehen, dass ich phänomenal mit exakten, immer wieder identischen Entitäten umgehe, sofern ich einer dieser beiden Mathematiker bin. Noch nicht einmal ich kann feststellen, dass mein Kollege mit exakten Entitäten umgeht, denn die Schallwellen oder handbeschriebenen Zettel, die er mir zusendet, oder ich ihm zusende, haben nur eine Bedeutung auf meinem phänomenalen Niveau: Ich kann auf dem phänomenalen Niveau meines Bewusstseins tatsächlich alle Exemplare der Ziffern "3" als identisch auffassen, sofern ich sie als Zahlen im rechnerischen Sinne, nicht aber als grafische Zeichen auffasse.

Das Bewusstsein kann also klassifizieren, es ist jedoch subjektiv und liegt außerhalb der Reichweite der Naturwissenschaft; nur dort finden sich Repräsentationen (oder Bedeutungen). Was die neuronalen Reaktionen betrifft, ist es sogar so, dass lauter identisch aussehende (für mich ununterscheidbare) Ziffern "3" im Gehirn unterschiedliche Erregungsmuster aus der zugehörigen Familie auslösen, ich kann sie aber wie immer phänomenal dem Konzept "Zahl 3" zuordnen. Insofern nützt ein zwischengeschalteter Computer nichts, der mir ein immer wieder ununterscheidbares Signal zusendet für jede "3".

Auch argumentiert man, dass schon ein dreijähriges Kind einen jeden Hund "Hund" nennen könne, und somit eine eindeutige Klassifikationsleistung erbringe. Naturwissenschaftlich gesehen sind jedoch alle vom Kind gesprochene Wörter "Hund" nur strukturierte Schallwellen, die miteinander eine hinreichend enge Ähnlichkeitsfamilie bilden. Auch im Gehirn werden beim Empfang dieser Wörter bestenfalls einander ähnliche Erregungsmuster ausgelöst. Wenn ich diese Wörter höre, kann jedoch in meinem Bewusstsein sehr wohl immer wieder der identische phänomenale Prototyp "Hund" angesprochen werden. Ich führe die nur ungefähre (aber naturwissenschaftlich verständliche), vom Kind begonnene Klassifikationsleistung auf meinem phänomenalen Niveau zu Ende. Nur damit wird es wirklich eine Klassifikation.

Eine Klassifikation besteht also darin, dass ich auf meinem phänomenalen Niveau einem jeden Mitglied einer Familie von ähnlichen (also bereits segregierten) neuronalen Erregungsmustern die Bedeutung der (immer wieder identischen) "Familienbezeichnung" (z.B. "Hund") zuweise, oder anders ausgedrückt, ein jedes dieser neuronalen Familienmitglieder repräsentiert phänomenal den Familiennamen.

Für eine Klassifikation als Gehirnleistung benötigt man also den phänomenalen "Mechanismus" der Repräsentation, wobei letzterer untrennbar mit der Subjektivität der Bewusstseinsinhalte verknüpft ist. Man kann also Klassifikationsleistungen nicht verstehen, ohne zugleich irgendwie mit der Subjektivität zurechtzukommen, und da ist vorerst kein Land in Sicht. Zudem hängt all dieses mit dem Konzept der Zeit zusammen, womit das phänomenale Konzept der "Nicht-Echtzeit" gemeint ist, weil ja in vielen wichtigen Fällen die "Identität" als Klassifikationsergebnis sich auf die zeitliche Identität von Gegenständen bezieht.

Der durchschnittliche Hirnforscher benötigt 40 Jahre (et encore...), um dieses zu bemerken, ähnlich dem anfänglich dünnflüssigen Saft des eingemachten Pflaumenkompotts, welcher erst nach solch langen Zeiten zu einem fest zusammenhängenden Gelee wird.

Translation follows

zur 29/30. Woche 2010

Ich und Ich  I and I, Self and Self
Oft wird in leichtsinniger Weise von einem eher trivialen Zusammenhang zwischen dem körperlichen Ich und dem introspektiven subjektiven Ich ausgegangen. Das schlägt sich dann nieder in dem Ausdruck "menschliches Bewusstsein", womit gemeint ist, dass andere Menschen außer mir angeblich ein Bewusstsein haben, weil sie mir körperlich so ähnlich sind, dass ich sie als Menschen einstufe. Siehe hierzu auch Hirnbrief 22 (2009).

Das körperliche Ich hat Eigenschaften wie sie auch ein Gegenstand hat; zu diesen zähle ich hier auch "belebte Gegenstände". Er hat eine zeitliche Dauerhaftigkeit, die mir erlaubt, ihn im Verlauf der Zeit als "denselben" zu erkennen. Ich kann meinen eigenen Körper ebenso beobachten wie andere belebte oder unbelebte Körper, nur erhalte ich von ihm eine erheblich größere Menge von Sinnesdaten als von anderen Körpern. Beispielhaft erwähne ich nur die direkten neuronalen Signale vom Verdauungssystem, von Muskelspannungen oder von Verletzungen. Ich kann Bewegungen und Lernvorgänge meines Körpers beobachten. Von fremden Körpern erhalte ich hingegen nur Signale über das Seh- und das Hörsystem, zudem relativ langsame über den Geruch, und einige wenige über den Tastsinn. All dieses ist obendrein von erheblich geringerem Umfang, und wird bei zu großer Entfernung völlig unterbrochen.

Dennoch ist das körperliche Ich einer unter vielen beobachtbaren Gegenständen der Welt, der durch die Sammlung der oben erwähnten Eigenschaften nicht grundsätzlich aus dem Rahmen der Naturwissenschaft herausfällt. Auch ist für mich erkennbar, dass mein körperliches Ich trotz der viel reichlicheren Sinnessignale im Prinzip nicht anders ist als das von anderen Menschen.

Das introspektive subjektive Ich ist hingegen kein Gegenstand; es gibt von ihm nur eines, nämlich das meinige; es ist keine Sammlung von "weltlichen" Eigenschaften, und es ist auch keine Eigenschaft des körperlichen Ich. (Die menschliche Sprache ist nicht gut geeignet, genau zum Ausdruck zu bringen, worum es sich handelt, weil die Sprache mit ihren Substantiven sehr gegenstands-orientiert ist.) Es ist irgendwie der Sitz des Bewusstseins. Es gibt aber eine erste Verknüpfung mit dem körperlichen Ich, nämlich dass der Freie Wille, der zum phänomenalen Niveau meines Bewusstseins und damit zum subjektiven Ich gehört, nur in meinem Körper Muskelsignale produzieren kann. Diese kann ein Wissenschaftler objektiv feststellen, und somit gehören sie zur "Welt". Witzigerweise werden (nach Ansicht vieler Psychologen und auch meiner) ausgerechnet diese Muskelsignale nicht bewusst, sondern nur die dadurch ausgelösten zahlreichen sensorischen Rückmeldungssignale der Bewegungen. Mit dem erwähnten Freien Willen sind nicht die leicht festzustellenden physiologischen Signale gemeint, die bekanntlich dem Zeitpunkt des einsetzenden Freien Willens vorausgehen, sondern der streng davon zu trennende eigentliche subjektive, phänomenale Freie Wille, der nicht naturwissenschaftlich erklärbar ist, und schon gar nicht durch jene physiologischen Signale. Genauer gesagt, ist die physiologische Rolle der genannten Signale naturwissenschaftlich sicherlich im Prinzip (wenn auch nicht unbedingt in der Praxis) verständlich, aber daraus läßt sich nicht herleiten, wieso diese zum phänomenalen Konzept des Freien Willens führen.

Eine zweite Verknüpfung ist, dass das subjektive Ich Bedeutungen herstellt von (vermutlich) neuronalen Prozessen im Gehirn des mir
zugehörigen körperlichen Ich. Ich nehme einen Apfel wahr, der über mein Auge einen neuronalen Vorgang im Gehirn meines körperlichen Ich ausgelöst wurde. Auch generiere ich-subjektiv die Bedeutung "Apfel", wenn eine entsprechend strukturierte Schallwelle über mein Ohr mein körperlich zugehöriges Nervensystem erreicht. Ebensogut kann ich-subjektiv den "Beschluss" fassen (dies ist eine Unterkategorie des phänomenalen Freien Willens), eine ähnliche Schallwelle über mein körperliches Ich auszusenden, wobei in mir dieselbe Bedeutung entsteht. Von anderen Personen kenne ich nur Körperliches, und auch das nur mit Einschränkungen. Dass dort auch, beim Absender oder Empfänger von Sprach-Schallwellen, Bedeutungen entstehen, kann ich grundsätzlich nicht feststellen.

Schon lange bemüht sich der Mensch, seine phänomenale Bedeutungswelt auch auf andere (körperliche) Menschen auszudehnen. Hauptsächlich kommt dabei das Sehen zum Einsatz, welches nun ausgerechnet mit dem physikalisch und auch intuitiv schwer zu durchschauenden Licht arbeitet. Es nimmt dem betrachteten Objekt nichts weg, verformt es nicht und fügt nichts hinzu; man kann es nicht anfassen, und man sieht zwar die angeschauten Gegenstände oder die Lichtquellen, nicht aber das Licht selbst. Es hat phänomenal nicht diesen handfesten Charakter wie ein Gegenstand. Vielleicht hätte der Mensch in seiner Geschichte den Versuch, bei Mitmenschen "Bedeutungen" zu suchen, gar nicht erst gestartet, wenn alles per Tastsinn, oder per Hin- und Herschießen von kleinen Kügelchen hätte erkundet werden müssen. Es sieht fast so aus, als ob die phänomenal undurchsichtige Art und Weise, wie ich das Sehen und das Licht auffasse, ein Teil des Ich-Problems ist.


 

I and I, Self and Self

Often in a careless manner a rather trivial link is assumed between the physical self and the introspective subjective self. One consequence of this is the wrong concept of a "human consciousness". It expresses that other humans except me have consciousness because they are physically similar to me (see also letter 22/2009).

The physical self has properties similar to those of objects (including biological animated objects). It has a temporal durability which allows to recognize it as "the same" as time elapses. I can observe my own body in the same way as other animated or unanimated bodies. The difference is only that the amount of sensory data is much greater. For instance, I receive direct neuronal signals from the gut, from muscle tensions, or from injuries. I can observe movements and learning processes of my body. In contrast, from foreign bodies I only receive a much reduced quantity of signals via vision and audition, and a few via olfaction and touch. In addition, these signals may disappear altogether when the foreign body is at a too large distance.

Yet, the physical self is nothing else than one out of many observable objects in the world. The collection of above-mentioned features does not exclude it from the realm of science. I can recognize, despite the richer ensemble of signals, that my physical self is not fundamentally different from the bodies of other humans.

In contrast, the introspective subjective self is not an object. There is only one such self, namely my self. It is neither a collection of physical properties, nor is it a property of my physical self. (Human language is not well-suited to express clearly what it is because of its object-oriented structure manifest by the role of nouns.) Somehow it is the site of consciousness. However, there is a link to the physical self: the free will which belongs to the phenomenal level of my consciousness, and thereby to my subjective self, can only produce muscular signals in my physical self. These in turn can be objectively recognised, and therefore they belong to the physical world. Funny enough (according to the views of many psychologists, and also to my view) it is just the outgoing muscular signals that are not accessible by consciousness. Rather, own movements enter consciousness via the numerous feedback signals. Note when I refer to the free will I do not mean the well-known, easily detectable physiological signals that precede the appearance of the phenomenal "free will". Rather, I mean the conceptually strictly distinguishable genuine subjective phenomenal event of free will which cannot be explained scientifically, and, least of all, by those physiological signals. Certainly the role of the latter signals in generating a behaviour can be understood in principle but one cannot derive from that how they are linked to the phenomenal concept of free will.

There is a further link to the physical self: from (presumably) neuronal processes the subjective self generates significances in the brain belonging to my physical body. When I perceive an apple that perception is generated by neuronal process in my physical brain via my eyes. Also, my subjective self generates the significance "apple" when a correspondingly structured sound wave reaches my physical brain via my ears. Similarly, by free will, my subjective self can decide to emit a similar sound wave, via my physical nervous system, and a similar significance appears on my phenomenal level. In contrast, I can only gain knowledge about physical properties of other humans, and even these with many restrictions. I cannot ascertain that in another human "significances" are generated when he/she emits or receives sound waves of speech.

Since a long time humans try to extend their world of significances to other humans. This endeavour is mainly based on the sense of seeing which of all things just operates on the basis of light which is physically and also intuitively difficult to comprehend: It neither adds nor removes something to/from the observed thing, one cannot touch it, and although one sees the lightened objects one does not see the light itself. It lacks the concrete properties of objects. Possibly humans would not have started the efforts to search "significances" in other humans if everything would have to be explored by touch, or by shooting small balls to and fro. It seems as if the phenomenally intransparent way of understanding "seeing" and "light" is a part of the self-problem.

zur 27/28. Woche 2010

Genaueres zum Neurokosmos 

Die Vorstellung eines jeden klassischen Kosmos beinhaltet, dass der gegenwärtige momentane Zustand aller seiner Elemente vollständig und exakt bestimmt ist durch den Zustand dieser Elemente in dem infinitesimal vorangegangenen Zeitintervall von infinitesimaler Dauer. Selbst wenn ein solcher Kosmos ausschließlich aus einem nassen, unübersichtlichen Gehirn bestünde, wäre die zeitliche Entwicklung in diesem Sinne exakt und rauschfrei, weil alle Typen von Wechselwirkungen einbezogen werden, auch wenn man die zugrundeliegenden Gesetze nicht kennt. Per Definition gilt dies jedoch nur, wenn es keine extrakosmischen Einflüsse gibt. Diese kann es jedoch nicht geben, sonst wäre ja der Kosmos nicht abgeschlossen, sondern nur ein Teil eines noch größeren Kosmos.

Im Rahmen der Naturwissenschaft kann grundsätzlich nur einen Kosmos geben, denn wenn es mehrere gäbe, wäre jeder einzelne nur ein Teilkosmos. Gedankliche Konstruktionen wie ein "realer" und ein "gedachter" Kosmos beziehen das phänomenale Niveau des Bewusstseins mit ein und gehören damit nicht zur klassischen Naturwissenschaft. Wäre hingegen das Manöver "Gedacht" vollständig durch neuronale Prozesse erklärbar, dann wäre dadurch ein gedachter Kosmos vollständig in den einzigen realen Kosmos integriert.

Also gibt es im Rahmen der klassischen Naturwissenschaft nur einen Kosmos, und die infinitesimale zeitliche Abfolge seiner Gesamtzustände ist vollständig determiniert. Wie dieser Kosmos aussieht, ist eine andere Frage, denn niemand schaut ihn an. Ein Kosmos kann bestenfalls beobachtet werden durch ein zu ihm gehöriges Element, also "von innen", weil es nur ein "innen" gibt.

Diese Betrachtung stelle ich aus folgendem Grunde an: Eine Besonderheit des menschlichen Gehirns ist der erstaunlich geringe relative Umfang aller seiner Signale an den Schnittstellen zur Außenwelt im Verhältnis zur enormen Menge seines inneren Signalverkehrs. Der gedankliche Extremfall hierzu ist ein vollständig isoliertes Gehirn ("Neurokosmos"; siehe Hirnbrief 21/2009). Dieses Konzept erscheint sinnlos für das Verständnis neuronaler (vor allem sensorischer oder motorischer) Prozesse, aber es verhilft zu Einsichten, wenn man sich mit dem Bewusstsein befasst.

Das Ziel meiner ganzen Hirnbrief-Serie ist, zu den Entitäten, die in der klassischen Naturwissenschaft untersucht werden, das Element "Bewusstsein" hinzuzufügen, und zu schauen, was dann passiert. Letztlich ist das Ziel, die Naturwissenschaft entsprechend zu erweitern, wenn auch die allgemeine Zirkularität der Argumentation (Hirnbriefe 13/14 ff, 2010) dadurch ein Riesenproblem wird. Annahmen über Beziehungen zu den Elementen der Naturwissenschaft, vor allem zum Gehirn, sollen mit allergrößter Vorsicht gemacht werden.

Das Bewusstsein ist vollständig subjektiv: es gibt nur mein Bewusstsein. Deswegen kann es kein Teil der gewöhnlichen Naturwissenschaft sein, aber deswegen kann es auch kein "Bewusstsein anderer Individuen" geben, denn für eine solche Annahme müßte ich bereits naturwissenschaftliche Verknüpfungen verwenden, nämlich die körperliche Ähnlichkeit von Menschen und deren Gehirnen, und dass das Bewusstsein irgendwie mit dieser Körperlichkeit zusammenhängt (siehe auch Hirnbrief 35/2009).
 
Zunächst ist erfreulich, dass es nur einen Kosmos gibt, denn es gibt auch nur ein Bewusstsein, nämlich das meinige. Damit ist keinerlei physiologische Funktion gemeint, sondern die Existenz des subjektiven Ich, womit die Tatsache gemeint ist, dass ich ein inneres subjektives Empfinden habe, welches vor meiner Geburt nicht existierte und nach meinem Tod verlöscht. Jenseits meiner Lebenszeit gibt es nur "andere Leute", wie es sie auch jetzt schon gibt. Nur ich kann Schmerzen direkt empfinden, während ich bei anderen Leuten eine Schmerzempfindung erschließen muss aus beobachtbaren äußeren Anzeichen wie zB Schreien. Wie gesagt, halte ich mich vorerst zurück mit Annahmen über Zusammenhänge der nichtwissenschaftlichen Entität "Bewusstsein" mit meinem Menschenkörper, weil da einige Hindernisse dazwischenliegen, die im Folgenden zu erörtern sind.
 

zur 25/26. Woche 2010

Kausalität, Beobachtung   Causality, observation

Hoffentlich wurde im vorigen Hirnbrief eines deutlich: Die Erfindung des Vorgangs "Beobachtung" wurde durch die Idee einer allgemein gültigen Kausalität erzwungen, und diese wiederum folgt aus der dahinterstehenden Idee, dass alle Vorgänge von jeglicher Natur in einem abgeschlossenen System ablaufen, und es somit keine echten Spontanprozesse gibt. Tatsächlich kommen letztere in der klassischen Physik nicht vor. Hierzu sind einige Erläuterungen notwendig.

Zum einen sind mit echten Spontanprozessen nicht diejenigen gemeint, die durch das sogenannte deterministische Chaos entstehen. Diese entstehen eigentlich nur deshalb, weil man als vorhersagefähiger Mensch eine nicht nur infinitesimal in die Zukunft reichende Vorhersage machen will, sondern durch Aufintegrieren größere zukünftige Zeitabschnitte überblicken will. Versucht man, einen Besenstiel in einem labilen Gleichgewicht auf den Boden zu stellen, dann wird er ja doch nach der einen oder anderen Seite umfallen. Dabei hat eine anfänglich winzige Störung des Gleichgewichts schließlich zur Folge, dass der fallende Stiel eine aus mehreren meterweit auseinanderliegenden Endpositionen einnimmt, und man ist nicht imstande, diese vorherzusagen. Man könnte aber immer, sofern man die winzige anfängliche Störung überhaupt erfassen kann, feststellen, dass der infinitesimal folgende (oder vorangehende) Zustand kausal aus seiner unmittelbaren zeitlichen Nachbarschaft erklärbar ist. Dies würde für einen echten Spontanprozess nicht gelten.

Zum anderen ist eine Beobachtung eben
nicht gleichzusetzen mit der Tätigkeit eines sensorischen Nervensystems, oder auch eines entsprechenden technischen Geräts. Vielmehr verhält sich (für den Fall des Sehens) sozusagen der neuronale Prozess des Sehens zur Beobachtung wie das Gehirn zum Bewusstsein. Hierzu steht schon einiges in den Hirnbriefen 8 (2009) sowie 7/8 und 9/10 (2010).

Aus dem anfänglichen Satz dieses Briefes lugt die schon oft angesprochene unvermeidliche Zirkularität hervor: Man weiß nicht, ob "Beobachtung" oder "Kausalität" oder "abgeschlossenes System" am Anfang steht. Einstein hätte da gesagt: diese 3 Dinge sind dasselbe. Allerdings konnte er in den ihm vorliegenden ganz andersartigen Fällen weittragende Schlußfolgerungen ziehen. Mir hingegen mangelt es an Einsteinigkeit. Aber vielleicht ist ein(e) Leser(in) da besser.

Es bleibt vorerst nur, die Aufstellung von möglichst vielen Beziehungen anzufordern zwischen folgenden Entitäten:
Physikalisch-physiologisch:


sensorischer neuronaler Prozess
motorischer neuronaler Prozess
hirninterner gedächtnisabhängiger neuronaler Prozess
räumliche Ausdehnung neuronaler Prozesse
zeitliche Ausdehnung neuronaler Prozesse
körperliches Ich
Gedächtnis
Gehirn
Welt; Bewegung des Gehirns in der Welt

phänomenal, d.h. dem Bewusstsein zugeordnet, in die klassische Naturwissenschaft nicht einzuordnen:
Beobachtung
freier Wille
Nachdenken
räumliche und zeitliche Ausdehnung relevanter kausaler Prozesse
introspektives subjektives Ich
Erinnerung, Vergangenheit.

Mal sehen, wie gut das vorangehen kann.


Der bislang zur Sprache gekommene Zusammenhang zwischen diesen beiden Gruppen ist die nichtmaterielle "Bedeutung", wobei am wichtigsten ist, dass ein gegenwärtiger neuronaler Prozess im Fall eines Gedächtnisabrufs etwas Vergangenes bedeutet.

Man wird beispielsweise abwehren müssen, dass eine Besonderheit des Menschen seine Fähigkeit zur Reflexion sei, obwohl man ja eigentlich nicht einsieht, wieso nicht in einem jeden Gehirn ganz ohne jedes Bewusstsein innere Kreisprozesse mit wiederholter neuronaler Abspeicherung laufen können sollten. Wie soll denn das gehen, wenn die Bedeutungszuweisung "Zukunft" oder "Vergangenheit" nicht zur Verfügung steht, sondern ein jeder neuronale Prozess mit Selbstverständlichkeit und ausnahmslos ein gegenwärtiger Prozess ist? Die Hauptsorge ist die dahinterstehende, in der klassischen Naturwissenschaft verankerte Idee, dass "Raum" und "Zeit" von vornherein vorgegebene Konzepte seien.

Es ist mir klar, dass der letzte Satz großspurig, und nach Biertischdebatte klingt, was mir vermutlich nachteilig ausgelegt wird. Das muss ich wegstecken; eigentlich muss man den Vorwurf jedoch an die allgemein verbreitete Naivität der Hirnforschung weitergeben.

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Causality, observation
Hopefully it became apparent in the previous letter that the invention of the process of "observation" was forced by the idea of a generally valid causality. The latter, in turn, follows from the idea behind it that all processes of whatever nature run in a completely closed system. Therefore, no genuinely spontaneous processes can exist. Indeed in classical physics no spontaneity exists. These sentences deserve some comment.

Firstly, I do not call "spontaneous" those processes that arise from the so called deterministic chaos. These occur only because humans are able to predict, and they do not want to make predictions only for an infinitesimally small time interval. Rather, by integration over many such intervals they want to get an overview over larger time spans. If one tries to put a broomstick vertically on the floor in a labile equilibrium, it certainly will fall down to one or the other side. In such a case a minute positional difference at the outset has the effect that at the end the broomstick will be in one out of a manyfold of possible positions that are more than one meter apart from each other. One is not able to predict the final position. However, if one can determine the small initial inequilibrium, one could always causally explain the next position after an infinitesimal time step has elapsed. This would not be true for a genuinely spontaneous process.

Secondly, an observation is
not simply the activity of a sensory system, or of a technical device such as a camera. Rather, for the case of seeing, the neuronal process of seeing is related to "observation" as the entire brain is related to consciousness. There are already some texts about these relationships in letters 8(2009) and 7/8 and 9/10 (2010).

The unavoidable circularity is apparent from the first sentence of this letter: One does not know whether "observation" or "causality" or "closed system" are at the origin. Einstein would have said: These three terms designate the same thing. Fortunately, in the cases he was concerned with he could draw solid conclusions from such an idea. I, however, lack such Einsteininess. Perhaps a reader excels me.

For the time being, I can only dress a list of items that have to be brought into mutual relationships:
Physical-physiological entities:


neuronal sensory process
neuronal motor process
brain-internal memory-dependent process
spatial extension of neuronal processes
temporal extension of neuronal processes
bodily self
memory
brain
world; movement of the brain in the world

Phenomenal entities, i.e. related to consciousness (not integrable into science)

free will
reflection
spatial and temporal extension of relevant causal processes
introspective subjective self
recall, past

It remains to be seen how the establishment of relationships between these entities can progress.

So far, I have addressed the non-material "significance" which is a link between these two groups. The most important example of significance is that a present neuronal process can signify, in the case of a memory recall, a past event. On the other hand, one will have to refute that a peculiarity of humans is their ability to reflect, because there is no apparent reason why there should not be purely neuronal circular, iterative, memory-based processes without any involvement of consciousness. However, how can this have any sense if the attribution of the significance "past" or "future" is not available? Instead, on a purely neuronal basis, each process of whatever nature would be, without any exception, a present process at its time of running. The main problem behind all this is that in classical physics and science "space" and "time" are taken to be a-priori concepts.

I admit that I talk large in the last sentence; it sounds as an armchair debate. I have to withstand that such sentences will disqualify me. However, in reality, the reproach would have to be passed to neuroscience in general, and its prevalent naivety.

zur 23/24. Woche 2010

Weiteres zum Riesengehirn More about the giant brain

Wir kreisen um die Frage der Abgeschlossenheit des Gehirns. Vielleicht wundert sich manch eine(r), warum ich auf dieser beharre, da ja doch die normale Auffassung ist, dass das Gehirn dazu da ist, auf Außenweltreize zu reagieren, seine Verschaltung anzupassen, und über die Motorik auf die Außenwelt einzuwirken. Es ist bekannt, dass die Verbindungen des menschlichen Gehirns zur Außenwelt einen erstaunlich geringen Umfang haben im Vergleich zum gewaltigen inneren Signalverkehr, so dass die vollständige Isolation zumindest einen gedanklichen Extremfall darstellt. Dem steht die Gesamtheit der phänomenalen Gehalte des Bewusstseins gegenüber, deren Struktur folgendermaßen ist: "Alles läuft kausal regelhaft ab, aber ich durchblicke davon nur einen kleinen Teil." Es ist sozusagen dem Bewusstsein gleichgültig, dass das genannte "alles" nicht nur das Gehirn umfasst, sondern viel mehr, nämlich die ganze Welt. Das Besondere ist, dass die angenommene kausale Regelhaftigkeit eben gerade die Abgeschlossenheit bedeutet: nur in einem abgeschlossenen System ist der nächstfolgende Gesamtzustand durch den vorhergehenden vollständig determiniert. Das Bewusstsein ist sozusagen das Instrument, das die physiologisch schon nahezu gegebene Abgeschlossenheit gedanklich irgendwie vervollständigen soll. Es ist denkbar, dass ein Bewusstsein mit dieser Zielsetzung nur in einem Gehirn entstehen kann, das ohnehin schon nahezu abgeschlossen ist, wie es in diesem Ausmaß nur beim Menschen der Fall ist.

Würde man den obengenannten Extremfall tatsächlich auch im Bereich der Naturwissenschaft, also der Neurophysiologie, zum Ausgangspunkt machen wollen, dann würde man zusätzlich zu den hirninternen Vorgängen, die aus dem jeweils vorangegangenen exakt hervorgehen, mit "Spontan"prozessen konfrontiert, nämlich all denjenigen neuronalen Sinnessignalen, für die es innerhalb des Gehirns keinen physiologischen Vorläufer gibt. Diejenigen Sinnessignale, die beispielsweise von Anblicken meiner eigenen Hände kommen, kann man vielleicht davon noch ausnehmen, indem man die eigenen neuronalen Muskelkommandos als kausale Vorläufer erkennt. Aber damit entstehen schon Schwierigkeiten, sobald das hantierte Objekt unsichtbare Eigenschaften hat, wie z.B., dass es besonders schwer ist. Für die zahlreichen Sinnessignale ohne jeglichen eigenen motorischen Vorläufer entfällt jedoch eine derartige Möglichkeit.

Es ist jedenfalls bemerkenswert, dass im Bewusstsein die Kausalität, und damit die Abgeschlossenheit des Gesamtsystems, auch in absolut undurchsichtigen Fällen hochgehalten wird, indem notfalls einem Gott eine kausale Verursacher-Rolle zugeschrieben wird, dem wohlgemerkt als Besonderheit (und nicht etwa als Selbstverständlichkeit) eine kausale Undurchschaubarkeit zugeordnet wird. Vor allem aber entsteht eine Entität "ich" (nicht das körperliche Ich ist gemeint, sondern meine unverwechselbare Innenperspektive), die aus der mangelnden Feststellbarkeit kausaler Verhältnisse nicht etwa auf deren tatsächliche Abwesenheit schließt, sondern sich selbst eine Auffassungsbeschränktheit zuweist, die das Beobachten kausaler Abläufe verhindert. Daraus resultiert dann das körperliche Ich, und die Tatsache, dass das Gehirn, wie im letzten Hirnbrief gesagt, räumlich kein Riesengehirn ist. Die Idee ist "Man kann nicht überall hingehen und nachschauen, von Molekül bis Milchstraße, was da passiert. Könnte man das, dann würde man sehen, dass alles kausal abläuft".

Die Kausalität ist ja eine Erscheinung, die sich auf der Zeitachse abspielt. Es muss auf jeden Zustand ein weiterer, damit bereits determinierter, nachfolgen. Da ist es nicht möglich, dass plötzlich nichts weitergeht, weil sozusagen die Zeitachse "noch nicht begonnen hat", oder zu Ende ist. Deswegen, wenn das Bewusstsein einmal den genannten gedanklichen Weg eingeschlagen hat, darf das "ich" auf der Zeitachse keiner solchen Beschränkung unterliegen wie im Räumlichen. Es muss immer einen Vorläufer/Nachfolger für einen jeden Zustand geben können; eine Situation wie die obige Beobachtungsbeschränktheit kann nicht vorkommen. Deshalb gehört beim daraus resultierenden körperlichen Ich, und damit beim Gehirn, zu jedem "zeitlichen Gebiet in der Welt" mit allergrößter Selbstverständlichkeit ein deckungsgleiches "zeitliches Gebiet im Gehirn". Also ist das Gehirn auf der Zeitachse ein Riesengehirn. Freilich soll man sich dazu die Lebensdauer eines Gehirns (und damit eines Menschen) als unendlich lange vorstellen, weil die hier interessierenden Prinzipien der Hirnfunktionen damit nicht wesentlich anders wären als man sie heute versteht.

Hingegen im räumlichen Fall ist des "kleinen" Gehirns können Erregungsverteilungen räumliche Verhältnisse nur bedeuten, und es gibt mit allergrößter Selbstverständlichkeit ein herausgehobenes "hier", nämlich den Ort des Gehirns in der Welt. Was den Umgang mit Bedeutungen betrifft, ist das Bewusstsein in gewisser Weise dazu da, arbiträre Zusammenhänge nach Art von "diese Anordnung von Granitkörnern bedeutet die Tonfolge einer Beethoven-Sinfonie" auszusortieren.

Man wird noch mehr zu diesem Thema zu sagen haben.



More about the giant brain 

We turn around the question of the closedness of the brain. Perhaps you are surprised why I insist on this point since the normal understanding is that the brain reacts to stimuli from the outer world, to adapt its connectivity, and to influence the outer world via motor commands. It is well known that the connections of the human brain to the outer world are astonishingly sparse, as compared to its huge internal signal traffic. Therefore the idea of the complete isolation is the most extreme case of what is already found approximately in nature. On the other hand, there is the ensemble of phenomenal contents of consciousness whose structure is "everything runs according to causal rules but I grasp only a small part of it". So to speak, consciousness is neutral as to whether the mentioned "everything" is only the physical brain or, rather, much more, namely the entire world. The important point is that the supposed causality implies the isolation: it is only in closed systems that a state is completely determined by the preceding one. In some sense consciousness is the instrument whose task is to somehow complete the already existing but imperfect isolation. One may even speculate that a consciousness with such an aim can only arise in a brain that is not far from isolation, as it is the case for the human brain.

On the other hand, if one took the above extreme case a a point of departure within the realm of natural science, i.e. within neuroscience, then one would be confronted, in addition to intracerebral processes fully determined by preceding ones, with "spontaneous" processes, i. e. which have no physiologcal predecessor within the brain. Most sensory signals belong to this category. One may still try to exclude the visual signals which originate from viewing my hands, by recognizing that my motor commands have preceded them. However, one will encounter difficulties as soon as non-visual properties are involved, such as the large weight of a manipulated object. Anyhow, there is no such possibility when motor or other sensory predecessors are absent.

It is noteworthy that within consciousness causality, and thereby the closedness of the system, appears to be stressed even in absolutely intransparent cases, by invoking a God whose role is to provide causes for events. God, in turn, is associated with causal intransparency, and this is not taken as a self-evident property but it is recognized as the very special basic feature only of God. Thus, in some sense, humans have always recognized that causally unexplainable events are somehow external to the functioning of the normal world. However, more important is the fact that, with consciousnesss, the entity "I" comes along. It is not my "bodily I" which is meant but my unconfoundable internal perspective. The role of the entity "I" is to define a limitation of access to an understanding, by introducing restrictions for the observation of successions of causal events. The idea is, so to speak "one cannot go everywhere, from molecule to galaxy, and look what is going on there. If one could look, one would see that everything is proceeding in causal ways". The idea is not "causal events are absent because I do not observe them". This is not trivial, and it is the basis for attributing features to the "bodily I" to which the physical brain belongs.

Obviously, causality is a phenomenon occurring on the time axis: each state is preceded by another one that determines it. It should not occur that nothing can proceed anymore because there is some "end of the time axis". Because of the indirect link between the "internal I" and the "bodily I" there cannot be a temporal limitation for the "internal I" in analogy to the limited spatial extension of the bodily I and its brain. There must always be a predecessor/successor to any state; a situation as the above limitation of observation cannot occur. Therefore, for the resulting "bodily I" and its brain it is self-evident that there is for each "temporal range of the world" a coïncident "temporal range in the brain". Thus, the brain is a giant brain in the temporal domain. Of course, for this, one should assume an unlimited life span for a brain (an therefore, for a human) since the principles of brain functions, as presently understood, would not greatly change by this detail.

In contrast, in the "spatial" case of the "small" brain a neuronal excitation distribution can only signify a spatial relationship in the world. In a very obvious way, there is a special "here" which is the locus of the brain in the world. With respect to the treatment of "significances", the role of consciousness is, in some sense, to eliminate nonsense relationships of the kind "this arrangement of grains in a block of granite signifies the succession of sounds in a symphony of Beethoven".

Much more will have to be said to the topic.



zur 21/22. Woche 2010

Riesengehirn. Giant brain

Ein Weltall ist denkbar, das vollständig durchdrungen ist von einem riesenhaften Gehirn. Die Welt liegt dann nicht außerhalb des Gehirns, sondern mittendrin und überall dazwischen. Man soll sich jetzt nicht eine Welt mit großen Objekten vorstellen, die herumfliegen und dieses Riesen-Nervensystem ständig zerreißen, sondern eine Welt mit einer abstrakten Physik, bei der solche Mißgeschicke nicht vorkommen. Eine jede neuronale Verarbeitung beginnt dann direkt an der Stelle des jeweiligen Weltgeschehens, und gegebenenfalls notwendige Reaktionen können dann mit Bezug auf diese selbe Stelle veranlasst werden, wobei komplexe motorische Reaktionen durchaus zustandekommen können unter Beteiligung von anderen, evtl. weit weg liegenden Teilen des Riesengehirns. Das Besondere dabei ist, dass es, gleichermaßen für jedes Gebiet der Welt, einen "neuronalen Ort" gibt, der von vornherein hirnintern festliegt. Alle diese Orte sind gleichberechtigt.

Ein solches selbstverständliches Raumkonzept kann ein Gehirn nicht haben, wenn es, wie jedes gewöhnliche Gehirn, sehr viel kleiner ist als die ganze Welt, denn dann gibt es einen besonderen Ort, nämlich denjenigen, an dem sich das Gehirn befindet. Da es in der Naturwissenschaft keine "Bedeutungen" gibt (bei der Aktivität der Nierenzellen kommt ohnehin niemand auf die Idee, dieser über die gewöhnliche physiologische Funktion hinaus eine Bedeutung zu unterstellen; warum denn dann beim Gehirn?), ist ein Sinnessignal, ebenso wie auch ein motorisches Ausgangssignal, eine völlig bedeutungslose wohldefinierte Nervenerregung. Das Gehirn muß diese in einer überlebensrelevanten, aber ebenfalls bedeutungslosen Weise miteinander verknüpfen. Das Gehirn "weiß nicht", dass bestimmte Abfolgen von Muskelkommandos (nämlich Laufen) das ganze Gehirn mitsamt einem Körper durch eine feststehende Welt tragen, und dass daraufhin Bilder von entfernten Objekten sich regelhaft auf den Netzhäuten der Augen verschieben. Als Naturwissenschaftler kann man nur sagen, dass das Gehirn mit einer solchen rein neuronalen Situation zurechtkommt, und man kann untersuchen, welche eventuell hochkomplexen Verschaltungen dieses Zurechtkommen ermöglichen. Das gilt auch für mein eigenes Gehirn. Nur kommt hinzu, dass ich eine naturwissenschaftlich nicht erfassbare Introspektion habe, die sich auf dem phänomenalen Niveau meines Bewusstseins abspielt. Es kann sehr irreführend sein, wenn ich als Naturwissenschaftler meine introspektiven Vorstellungen von "Raum", "eigener Körper" und "Objekt" auf physiologische Befunde von einer Ratte, einem Affen, oder gar einem anderen Menschen, übertrage. (Dass es nichts hilft, weder wenn ich feststelle, dass ein jedere Mensch physisch ähnlich gebaut ist, noch wenn ein anderer Mensch mir von seinen Bewusstseinsinhalten erzählt, ist in früheren Hirnbriefen schon oft gesagt worden: naturwissenschaftlich gesehen empfange ich nur strukturierte Luftdruckwellen. Nur bei mir bedeuten diese etwas; dass andere Menschen darauf reagieren, kann ich feststellen, nicht aber, dass sie für den anderen etwas bedeuten.)

Wer sagt denn, dass ein gewöhnliches Gehirn kein Riesengehirn ist? Wer sagt denn, dass das Weltall räumlich viel größer ist als ein Gehirn? Ich finde solche Vorstellungen nur als phänomenale Gehalte, also als eine Art von Bedeutungen, in mir vor. Dennoch kann es ja sein, dass derartige phänomenale Gehalte irgendwie besser passen zum neuronalen Geschehen als Vorstellungen von einem Riesengehirn. Nur gibt es dann keinen selbstverständlichen "neuronalen Ort", sondern irgendwelche der Welt zuzurechnende Mechanismen (Schall, Licht) oder das stets deutlich zeitverzögerte Selber-Hingehen müssen ein Geschehen an einem fernen Ort mit der Aktivität des kleinen Gehirns in Zusammenhang bringen. Erst auf meinem phänomenalen Niveau wird schließlich ein allgemeines Ortskonzept zusammengebaut, wie es in der Physik verwendet wird.

Was heißt das nun für die Zeit? Ist das Gehirn (oder dessen physiologische Aktivität) auf der Zeitachse ein Riesengehirn? Das kann sehr wohl zutreffen: das Gehirn kann gleichermaßen zu jedem Zeitpunkt tätig sein; es ist sozusagen über die gesamte Zeitachse ausgebreitet (wenn man mal von seiner endlichen Lebensdauer absieht, die mit den eigentlichen Hirnfunktionen nichts zu tun hat). Hingegen erscheint auf dem phänomenalen Niveau meines Bewusstseins ein "jetzt", von dem aus Vergangenheit und Zukunft irgendwie nicht genauso aussehen wie die Gegenwart. Vielleicht ist wichtiger, dass die Hervorhebung des "jetzt" auf der Zeitachse sich phänomenal, d.h. im Bewusstsein, nicht gänzlich unterdrücken läßt. Hingegen im Fall des Raumes scheint die Hirnaktivität von vornherein nicht über den gesamten Weltraum ausgebreitet zu sein; der Ort des Gehirns ist also von allein hervorgehoben. Hingegen fällt es leicht, diese Hervorhebung vor allem im Fall des Sehens auf dem phänomenalen Niveau zu unterdrücken, so dass Gegenstände aller Art, und schließlich die ganze Welt, als dieselbe(n) erscheinen, egal von wo aus man schaut. Dazu wiederum gehört vermutlich die Langlebigkeit vieler Gegenstände.

Man darf nicht übersehen, dass die hier gemachten Aussagen keinen festgefügten Platz in der existierenden Naturwissenschaft beanspruchen können; vielmehr leiden sie unter der schon besprochenen (und weiter zu besprechenden) Zirkularität. Dennoch besteht die Hoffnung, dass die Anzahl von unabhängigen Aussagen, die über das Bewusstsein gemacht werden, sich durch solche Betrachtungen verringern läßt, indem Beziehungen zwischen solchen Aussagen gefunden werden.

Giant brain
One can imagine a cosmos which is completely covered by a giant brain. The world is then not outside of the brain but it is fully penetrated by it. One should not think of a world with large objects which fly around and tear the nervous connections apart; rather it should be a world with some abstract physics where no such inconveniences occur. Any neuronal processing begins then directly at the place of the event in the world. Any necessary reactions can then be brought under way by reference to that place. Complex motor reactions are possible whose computations can involve large possibly remote parts of the brain. The special feature is that there is, for each place in the world, a "neuronal locus" which exists from the very beginning. All these loci are equivalent among each other.

Such a self-evident concept of space cannot exist in a brain that is much smaller than the entire world, because then there is a special locus which is the locus of the brain. Since "significances" are not allowed in natural science (considering the activity of kidney cells no one supposes a significance of that activity beyond the mere physiological function; so why should that be admitted for the brain?), any sensory or motor excitation is a completely meaningless but well defined neuronal activity. The brain has to relate these activities to each other again in a meaningless way. The brain "does not know" that certain trains of muscular commands (namely "walking") carry the brain, together with a body, through a fixed world, and that upon this the images of remote objects are shifted on the retinae of the eyes. A natural scientist can only say that the brain can cope with such a purely neuronal situation, and one can investigate which highly complex neuronal links enable such an achievement. This applies also to my own brain. However, in addition, in this case, I have a subjective introspection which takes place on the phenomenal level of my consciousness, and which escapes natural science. It can be highly misleading if I (a neuroscientist) try to establish links of my introspective contents about "space", "own body" and "object" to physiological results from rats, monkeys or even to other humans. (It has already been stated repeatedly in these letters that it is neither helpful to support such contentions by the mutual physical similarity of humans, nor to mention that another human can talk to me about his/her phenomenal contents: according to natural science I only receive waves of air pressure. They only signify something to me; I can state that other humans react to speech but not that speech has a significance to them.) 

Who says that a common brain is not a giant brain? Who says that the cosmos has a much larger spatial extension than a brain? I know such contentions only from my phenomenal contents, i.e. as a kind of significances. Yet, it might be that the common phenomenal contents somehow match the neuronal events in a much better way than the idea of a giant brain. However, in that case there is no self-evident "neuronal locus". Rather, links have to be established with the aid of mechanismus attributable to the world (sound, light) or of the necessity "to go there", between an event taking place at a remote locus and the activity of the small brain. It is only on my phenomenal level of consciousness that a general concept of space, as used in physics, is constructed.

What does all this mean for "time"? Is the brain, or its physiological activity, a giant brain on the time axis? This might well be the case: the brain can be active likewise at any instant of time; it is, so to speak, extended all over the time axis. (One has to disregard the finite lifetime of a brain which is unrelated to its essential functions.) In contrast, on my phenomenal level appears a "now", and from this viewpoint the past and the future appear as different from the present. It is perhaps more important to mention that the emphasized "now" cannot be entirely suppressed phenomenally, i.e within consciousness. Conversely, in the case of space the brain activity appears to be restricted to a small portion of the world so that the locus of the brain is emphasized from the outset. In contrast, at least for vision it appears to be easy to suppress that emphasis on the phenomenal level: objects of all kinds, and finally the entire world appear(s) to be independent from the viewing perspective or distance. There may be an additional relationship to the longevity of many objects.

One must not overlook that the statements made here cannot claim to be firmly linked to natural science. Rather, they suffer from the circularity of arguments which have already been discussed (to be continued). Yet, there is some hope that the number of independent statements about consciousness can be reduced by considerations of the present kind, by establishing links between statements.



zur 19/20. Woche 2010

Abgeschlossenheit und Dauerhaftigkeit Closedness and persistence
 

Wenn man das Gehirn als "alles, was existiert", und somit als ein völlig abgeschlossenes System auffassen will, dann muß gelten, wie für jedes andere abgeschlossene System auch, dass dessen Zustände in einem bestimmten Moment zugleich die Zustände der Vergangenheit und der Zukunft indirekt enthalten, d.h. diese können nicht beliebig werden bzw. gewesen sein. Ist es möglich, dass ein solches Gehirn zusätzlich ein Gedächtnis enthält, das direkt anzeigen kann, wie der Zustand des Systems z.B. vor 2 Tagen ausgesehen hat?

Nachdem "Bedeutungen" in der Naturwissenschaft nicht zugelassen sind, kann der Abruf eines solchen Gedächtnisses nur eine direkte (nicht aber eine irgendwie kodierte) Reproduktion des damaligen neuronalen Geschehens sein. Und diese wiederum würde im Rahmen des völlig determinierten Gesamtgeschehens von vornherein vollkommen festliegen, insbesondere würde auch der Moment längst festliegen, zu dem dieser Abruf erfolgt.

Wie auch immer: Es würde im Fall der Existenz eines solchen Gedächtnismechanismus gelegentlich passieren, dass ein gegenwärtiger Zustand durch einen Gedächtnisabruf entsteht, der somit im Idealfall einem vergangenen gleicht. Wegen der Determiniertheit des Gesamtgeschehens kann es sich also nur um einen sich immer wieder wiederholenden Vorgang handeln. Letztendlich sieht man, dass das System selbst sozusagen den einzig möglichen Computer darstellt, der den vollständigen Zusammenhang zwischen dem gegenwärtigen und vergangenen oder zukünftigen Zuständen herstellt. Ein getrennter Speichermechanismus kann nicht existieren. Beschränkt man sich auf ein Teilsystem, dessen vergangene Zustände später reproduziert werden, dann ist zu bedenken, dass in einem abgeschlossenen System alle Vorgänge in gewisser Weise Gedächtnisabrufe sind, wenn wohl auch diese im allgemeinen nicht zur Reproduktion eines vergangenen Teilzustands führen, sondern nur die Grundlage bilden für das, was als nächstes geschieht. Das kann durchaus eine solche Reproduktion sein, aber es wird deutlich, dass es keinen Grund gibt, diese besonders hervorzuheben. Ein abgeschlossenes System muß sich nicht per Extraverfahren damit befassen, was in der Vergangenheit war und was in der Zukunft geschehen wird, weil dies ohnehin determiniert ist.

Auch muß man beachten, dass die Reproduktion der vergangenen Aktivität eines Teilsystems nur im selben Teilsystem erfolgen kann, weil andernfalls die Behauptung, dass man die gewünschte Reproduktion vor sich habe, erneut (siehe voriger Hirnbrief) von der arbiträren Natur "die Kristalle in diesem Granitbrocken spiegeln die Tonfolge einer Symphonie von Beethoven wider" wäre. Schließlich bemerkt man, dass dieselbe Anmerkung sogar dann gelten könnte, wenn die Reproduktion tatsächlich im selben Teilsystem erfolgt, denn sie beruht auf der Annahme, dass ein "System" oder "Teilsystem" über hinreichend lange Zeit definierbar, und als dasselbe erkennbar ist. Man merkt daran, dass ein Zeitkonzept überhaupt nur in einer Welt interessant ist, in der sich oftmals außer der Zeit überhaupt nichts ändert. Dies wiederum hängt mit dem Objektkonzept zusammen. Man merkt aber auch, dass die Erregungen in einem Gehirn keine solche Welt bilden.

Es wäre so ähnlich wie wenn man den Autoverkehr als ein irgendwie abgeschlossenes System ansehen wollte. Da weiß man gar nicht, was da abgeschlossen sein soll. Viel eher könnte man ein Straßennetz als ein solches auffassen, aber auch hier sieht man, dass das nur einleuchtet, weil dieses eine Weile lang zeitkonstant bleibt. Beim Autoverkehr denkt man sofort an ein festes Ensemble von Autos, aber eben auch nur, weil ein jedes Auto für längere Zeit seine Identität behält als das schnell wechselnde Verkehrsgeschehen.

Es gibt da irgendeinen, im Moment nicht sehr klaren Zusammenhang zwischen "abgeschlossen" und "längere Zeit identisch bleiben". Nur um diesen Satz (gedacht für das Gehirn) geht es in diesem Brief. Trotz der ansonsten sich zunehmend verfinsternden Betrachtungen ist es von Interesse, den kumulativen Charakter zur Kenntnis zu nehmen, der in der ursprünglichen Frage enthalten ist: wenn das System durch eine Reproduktion anzeigen könnte, dass ein jetziger Zustand einem vorgestrigen gleicht, später aber das Ganze selbst Vergangenheit wird, dann schleppt man bei einer jeden weiteren Reproduktion die Vergangenheit der Vergangenheit der Vergangenheit usw. mit sich herum. In der Tat ist bemerkenswert, dass die Zeit einen derartigen Charakter aufweist: Ein Ereignis vor 4 Tagen ist ein Ereignis, das vor 2 Tagen ein 2 Tage zurückliegendes Ereignis war. So alltäglich wie das klingt, ist es doch nicht trivial.

Man wird sich demnächst, um Luft zu schaffen, mal mit dem räumlichen Konzept des "Riesengehirns" befassen.



Closedness and persistence

If one wants to understand the brain as "everything that exists", i.e. as a completely closed system, then, in agreement with the rules applying generally to closed systems, its present states must indirectly contain its future and its past states. This means that the latter cannot be/have been arbitrary states. Is it possible that such a brain contains, in addition, a memory that directly indicates the state of the system, for instance, at an instant two days ago?

As "significances" are not admitted in natural science, the recall from such a memory could only be a direct (i.e. not a coded) reproduction of the past neuronal events. These in turn would be fully determined since ever, just as everything else in a closed system. In particular, also the instant of the recall would be fixed.

Whatever be the case: if such a memory mechanism exists, then occasionally a present state of the brain will  be generated by a recall from that memory. In the ideal case it would be identical with the corresponding past one. It follows from the overall determination of the entire activity that this can only be a process that repeats over and over again. Finally it becomes apparent that, in some sense, the system itself is the only possible computer that establishes a complete connection between past, present and future states. A memory mechanism which somehow operates independently cannot exist. If the consideration is limited to a part of the system of which the states are reproduced later, one should bear in mind that within a closed system all processes are in fact memory recalls, although in general this does not lead to the reproduction of a past state but, rather, to determine what happens next. This may be such a reproduction in some cases but it becomes apparent that there is no particular reason to emphasize them since they cannot be used for determining what happens next. In a closed system there is no need to be concerned what has happened in the past and what will happen in the future because this is determined anyhow.

One also has to consider that the reproduction of a past activity in a part of the system can only occur in the same part because otherwise the contention that this is the desired reproduction would suffer from the arbitrariness of the type "the arrangement of crystals in this piece of granite represent the sound sequence of a Beethoven symphony" (see previous letter).  Finally one notes that this objection could even arise if the reproduction took place indeed in the same part of the system because there is the contention in the background that a "system" or "system part" can be defined and be recognisable as to be the same during the time span of memorization. At the occasion one realises that a "concept of time" is only interesting in a world in which often there is no change except that time progresses. This in turn is related to the concept of the object. One also realises that the excitations in a brain do not form such a world.

It would be as if one wanted to consider the automobile traffic as a somehow closed system: One is unable to see what should be closed. One would perhaps tend to consider the network of roads as such a system. It is obvious immediately that this seems only evident because that network remains time constant for more prolonged periods. Also one might consider a fixed ensemble of cars, again because this may remain constant for a while. However, the steadily varying traffic itself is difficult to conceive as a closed system, just as it is the case for the excitations of the brain.

There seems to be some link between "closed" and "remain identical for prolonged periods". It is this sentence, albeit not really clear, that is in the focus of the present letter. Despite this lack of clarity one may note the cumulative character which is contained in the question put at the outset: if the system was able to monitor, by a reproduction, that a present state equals a state two days ago, but later all this becomes "the past", then any further reproduction will carry along reproductions of reproductions of reproductions, etc. Indeed it is noteworthy that "time" has this cumulative character: an event four days ago is an event that two days ago was an event two days in the past. This is not trivial.

In order to get some fresh air we shall consider next the spatial concept of the "giant brain".

zur 17/18. Woche 2010

Zirkel Zi2 und Gedächtnis   Circle Zi2 and memory.

Im vorletzten und letzten Hirnbrief wurde der logische Zirkel Zi2 eingeführt, bei dem man damit beginnt, dass es nur ein einziges Gehirn (nicht aber eine Welt) gibt, dessen Existenz nicht weiter hinterfragt wird. Die physiologischen Vorgänge in diesem Gehirn bedeuten eine Welt, womit man einen gedanklichen Sprung gemacht hat, der aus der Naturwissenschaft hinausführt. Zu dieser phänomenalen Welt wiederum gehört das Gehirn, mit dem man begonnen hat. Dieses Gehirn, wenn es wirklich "alles" ist, kann nur ein völlig abgeschlossenes, und damit im üblichen Sinne völlig nutzloses System sein, dessen neuronale Aktivität ein reiner Innenverkehr ist.

In der klassischen Naturwissenschaft gilt ganz allgemein für ein abgeschlossenes System, dass eine komplette physikalische Beschreibung, durchgeführt für zwei infinitesimal aufeinanderfolgende Zeitpunkte, die vergangene und auch die zukünftige Entwicklung des Systems vollständig erfasst. Allerdings enthält ein solches System keinerlei Mechanismus, an dem jetzt direkt abgelesen werden könnte, wie das System nach drei Tagen aussehen wird. Ein solcher könnte zwar in Form eines neuronalen Integrationsrechners existieren, wäre aber ebenso wertlos wie wenn jemand behauptete, die Anordnung der Kristalle in einem Granitbrocken spiegelte die Tonfolge einer Symphonie von Beethoven wider. So gibt es denn nur das echte Durchleben des Ablaufs, wobei grundsätzlich kein Zustand irgendetwas bedeutet. Dazu gehört auch, dass es keine "explizite" Zeit gibt, d.h. das System kann keine Zeitangaben produzieren, obwohl die Entwicklung der Zustände von der Zeit abhängt. So weit kommt man, wenn man nur die naturwissenschaftliche Seite betrachtet.

Ein abgeschlossenes System trägt sozusagen immer seine gesamte Vergangenheit mit sich herum, wohlgemerkt ohne dass dafür ein regelrechtes Gedächtnis im neuronalen oder technischen Sinne erforderlich wäre. Das bringt einen auf den Gedanken, diesen Sachverhalt irgendwie auszuspielen gegen die zusätzliche Maßnahme, trotzdem ein regelrechtes Gedächtnis der genannten Art anzulegen. Ohne zunächst zu wissen, was "Zeit" eigentlich ist, könnte man dann in der Evolution so lange mit der Organisation der ohnehin ständig beteiligten subzellulären Plastizitätsprozesse "herumspielen", bis sich herausstellt, dass man ein brauchbares Zeitkonzept erfunden hat. (Streng genommen darf man so eigentlich nicht über die Evolution reden.)

Die Zeit, wie sie ein Mensch auffasst, ist grundsätzlich eine explizite oder "gewusste" Zeit, d.h. sie ist ein außerhalb der Reichweite der Naturwissenschaft liegender phänomenaler Gehalt: Irgendwelche gegenwärtigen physiologischen Prozesse bedeuten Zeitangaben, wie z.B. "gestern".

Wir sind ja immer noch bei einem völlig abgeschlossenen System. Ich habe den Verdacht, dass die Erscheinung "phänomenales Niveau", und damit das "Bewusstsein", entstanden sind auf dem soeben angedeuteten Wege, indem als erstes ein Zeitbegriff entstand. Es ist freilich die Frage, ob es mir in weiteren Hirnbriefen gelingt, diese Geschichte schärfer zu fassen. Im Moment halten mich die Inhalte der Hirnbriefe 52 (2009) und 9/10 (2010) bei der Stange, und die Hoffnung, dass die Betrachtung eines einzigen Unikum-Gehirns eher einen Einblick in die subjektive Natur des Bewusstseins gewährt. Die nächste Hauptschwierigkeit wird wohl das Durchbrechen der zunächst angenommenen völligen Isolation des Gehirns sein.

Vielleicht hilft mir ja jemand.



Circle Zi2 and memory.

In the last and last but one letters the logical circle Zi2 has been introduced: One begins with a single, unique brain which "simply exists" without a mental precursor, but there is no world. The physiological processes in that brain signify a world. With this jump one leaves natural science, and one reaches the phenomenal level. Within the world represented on that level there is the brain, and one returns to the point where one had started the circle. This brain, if it is really "everything", can only be a completely closed system which, according to common reasoning, would be completely useless because its neuronal activity would be an entirely internal traffic.

In classical science it is generally valid for a closed system that a complete description of its states, done at two infinitesimally subsequent points in time, also encompasses completely the past and future evolution of the system. However, such a system does not contain a mechanism which allows to read now which will be the state after three days. There might even be a neuronal integration calculator that corresponds to such a mechanism but the interpretation of its activity would be as valueless as to say that the crystals within a piece of granite represent the tone sequences of a symphony of Beethoven. Thus, there is only the genuine living through the real-time lapse of events, while no state signifies anything. This also comprises that there is no "explicit time", i.e the system cannot indicate dates or hours, although the evolution of the states depends on time. - This is the state of affairs if one remains within the limits of natural science.

In some sense a closed system carries along its entire past within itself. Note that this is true without the requirement of a memory proper, be it a neuronal or a technical one. This statement in turn brings about the idea that one might somehow contrast this fact to the consequences of an additional neuronal or technical memory. Without having any knowledge about the nature of time one could vary, in evolution, the organisation of subcellular plasticity mechanisms that anyhow are active all the time until it turns out that one has reached (or rather, invented) a sound concept of time. (Strictly speaking one should not consider evolutionary matters in this way.)

In the human understanding "time" is always "explicit" or "known" time, i.e., it is a phenomenal content situated without natural science: Some present physiological processes signify indications of time, such as e.g. "yesterday".

We still continue to consider a completely closed system. I suspect that the phenomena "phenomenal contents" and "consciousness" arose via the pathway suggested above: as a first step, a concept of time appeared. - The question is whether I will be able, in further letters, to fix this point in a more solid way. At this moment, what keeps me to the point is the contents of letters 52 (2009) and 9/10 (2010), and the hope that the consideration of a single unique brain helps to get insights into the subjective nature of consciousness. The next major difficulty will be to overcome the initially assumed complete isolation of the brain.

Perhaps somebody helps me.

zur 15/16. Woche 2010

Startpunktverlegung im Zirkel Shifting the starting point within the circle

Im vorigen Hirnbrief 13/14 wurde der traditionelle logische Zirkel "Zi1" vorgestellt, auf den man üblicherweise stößt, wenn man den Beobachter mit in die Naturwissenschaft einzuschließen versucht. Dabei ist der Ausgangspunkt die Welt, deren Existenz nicht weiter hinterfragt wird, mitsamt darin enthaltenen Gehirnen. In letzteren befinden sich Neurone, die auf Vorgänge in der Welt reagieren. Daran schließt sich der nichtwissenschaftliche Sprung an, nämlich dass die Neuronenerregungen Vorgänge in der Welt bedeuten. Über diesen Sprung erreicht man wieder den Ausgangspunkt.

Der Nachteil des Zirkels Zi1 ist, dass nicht ersichtlich ist, wie man auf diese Weise an Aussagen über Raum- und Zeitbeziehungen zwischen dem neuronalen und dem phänomenalen Niveau herankommt. Zumeist wird als selbstverständlich, aber unplausibel, hingenommen, dass ein im Gehirn lokalisierter Erregungsvorgang einen Apfel außerhalb des Gehirns bedeuten kann, wohingegen, ebenfalls unplausibel, zeitlich zumeist ein Miteinander-Einhergehen des neuronalen und des phänomenalen Geschehens angenommen wird, d.h. auf der Zeitachse vermutet man neuronale und zugehörige phänomenale Ereignisse wenigstens ungefähr an derselben Stelle (siehe hierzu Hirnbrief 3/2009). Auch ist es unbefriedigend, dass Zi1 keine Plausibilität erkennen läßt für den Übergang von der Objektivität des neuronalen zu der Subjektivität des phänomenalen Geschehens, d.h. für das Entstehen einer Innenperspektive mit einem unikum-artigen "Ich".

Ich verlege deshalb den Startpunkt für den ansonsten unveränderten Rundgang an eine andere Stelle: Im Zirkel Zi2 soll als Ausgangspunkt nur ein Gehirn ("mein" Gehirn) stehen, das ohne gedankliche Vorläufer "einfach so" existiert. Dieses Gehirn ist "alles", es gibt nichts anderes; es gibt vor allem keine Welt, und somit auch keine weiteren Gehirne. Aber man ist im materiellen Bereich, so dass man auf Naturgesetze achten muss. Von diesem Ausgangspunkt aus schreitet man dann wie bei Zi1 voran. Man gelangt an den Sprung und damit auf das phänomenale Niveau, d.h. die Erregungen in diesem Gehirn bedeuten Vorgänge, und zwar Vorgänge in einer Welt. Darauf folgt noch ein Schritt auf dem phänomenalen Niveau, der klärt, wie man das Gehirn als Teil dieser phänomenalen Welt einzuordnen hat. Damit schließt sich der Kreis. Einige Aspekte hierzu finden sich in den Hirnbriefen 21 und 32 (2009).

Man kommt auf den Gedanken, dass das Gehirn "alles" sein könnte, weil das menschliche Gehirn einen Signal-Innenverkehr hat, der ungefähr um das tausendfache den Verkehr über sämtliche Innen-Außen-Schnittstellen übertrifft, so dass es naheliegt, zu überlegen, welches Bild sich im Extremfall ergibt, wenn man den Schnittstellenverkehr gänzlich zu Null macht. Freilich bedeutet das, dass man dem Gehirn in diesem Bild ein völlig nutzloses, ausschließlich inneres Eigenleben unterstellt. Zur Entstehung dieser Idee trägt auch bei, dass idealisierte Nervenzellen die einzigen Zellen im Bereich der Biologie sind, die man mit Konvergenz (viele auf eine) und Divergenz (eine auf viele) im Prinzip zu einem völlig abgeschlossenene Netzwerk zusammenschalten könnte.

"Es gibt nichts weiter als ein Gehirn" heißt, dass ein Beobachter, egal was mit diesem gemeint ist, wirklich nur dieses Gehirn erfassen kann. Könnte er noch mehr erfassen, dann würde ich die Aussage, dass das Gehirn "alles" ist, nicht für akzeptabel erachten. Ansonsten gilt, was im vorigen Hirnbrief, und auch schon früher, über den "klassischen" Beobachter gesagt wurde, nämlich dass die beobachteten Vorgänge in naturwissenschaftlich nicht erfassbarer Weise einwirken auf den Beobachter. Dabei ist die Einwirkung streng unidirektional: Eine bestimmte Erregungsverteilung bedeutet einen Apfel, aber ein Apfel bedeutet keine neuronale Erregung.

Mehr passt in diesen Hirnbrief nicht hinein. Wie es weitergeht, ist mir im Moment noch nicht ganz klar; ich hoffe, dass ich einen Punkt erreichen kann, von dem aus es irgendwie plausibel wird, wie die zahlreichen, oftmals als voneinander unabhängig erscheinenden Eigenschaften des Bewusstseins untereinander zusammenhängen. Ich fürchte, dass es für all die gedanklichen Schritte bereits eine Unzahl von Fachausdrücken, Überschriften und Vordenker gibt. Dass ich dennoch alles allein machen muss, ist bedauerlich und zu kritisieren: wieso vollzieht sich die Bewusstseinsforschung fast überall im Ein-Personen-Betrieb, wohingegen dieselben Personen, wenn sie ein Auto kaufen, vier Sitzplätze erwerben? Besser sind die Handwerker: sie fahren im Lieferwagen mit nur 2 Sitzen, die aber zumeist beide besetzt sind, und obendrein bringen sie noch Material, das sie zu sinnvoller Funktion zusammenfügen.

Shifting the starting point within the circle


In the previous letter 13/14  I have presented the traditional logical circle "Zi1" which is usually encountered when one attempts to include the observer into natural science. The starting point is the "world" (also containing brains) which is taken "simply to exist", i.e. whose existence is assumed without a mental precursor. Within those brains there are neurones that react to events in the world. Thereafter follows the non-scientific jump which is that the neuronal excitations signify, or represent, events in the world. Via this jump one returns to the starting point.

The drawback of circle Zi1 is that it does not become apparent how one can reach insights about spatial and temporal relationships between the neuronal and the phenomenal levels. Usually it is taken as self-evident (but unplausible) that an excitation within the brain can signify an apple located outside of the brain, whereas (again unplausible) on the time axis it is assumed that neuronal and phenomenal events proceed more or less together, i.e. on the time axis one supposes neuronal and phenomenal processes to occupy the same places (see letter 3/2009). In addition, it is unsatisfactory that one does not get insights into the transition from objectivity of neuronal processes to subjectivity of the phenomenal events, i.e. to the appearance of an inner perspective with a unique "I".

Therefore I shift the starting point of the otherwise unchanged round: in circle "Zi2" the point of departure shall be one brain ("my brain") which "simply exists" without mental precursors. This brain encompasses everything; there is nothing else than that brain. In particular, there is no world, and hence there are no further brains. However, one is within the material domain, thus, one has to pay attention to physical laws. From that point of departure one progresses as in Zi1. One reaches the jump to the phenomenal level, i.e. the physiological processes in the brain signify something, namely they signify processes in a world. To close the circle, after this step there is another one which clarifies how that brain has to be inserted within the world. Some relevant aspects can already be found in letters 21 and 32 (2009).

How can the idea arise that a brain might be "everything"? A first hint comes from the fact that the inner signal traffic of the human brain exceeds the sum of all interface traffics by a factor of about 1000. Therefore it is not so farfetched to examine the extreme case of zero interface traffic. Obviously, one gets the picture of an entirely useless internal brain activity. A further contribution to the idea stems from the fact that nerve cells are the only cells within the biological domain which (in idealised versions) can be concatenated in series, and which can be connected with convergence (many to one) and divergence (one to many) so that a completely closed network is formed.

"There is nothing else than a brain" means that an observer, irrespective of its exact specification, can only observe that brain. If it was the case that the observer could comprehend more than that, then I would consider the statement "the brain is everything" to be devalidated. Besides, what has been said about the "classical" observer continues to be valid (see the preceding and some earlier letters), namely that the observed processes impress the observer in a scientifically unseizable way. This impression is strictly unidirectional: a certain excitation pattern signifies an apple, but an apple does not signify an excitation pattern.

So far this is enough for the present letter. At this moment, it is not clear to me how I will continue. I hope that I can reach a point at which it becomes plausible how the different properties of consciousness are interconnected; at present most of them appear independent of each other. I fear that for all the required future mental steps there are already lots of technical terms, headings and wisdoms of known scholars. Nonetheless it is regrettable and to be criticised that I have to do everything myself. Why is it the investigations into the common domain of brain and consciousness are largely done by single persons, whereas the same persons when they buy a car desire 4 seats? It is preferable to pay attention to craftsmen: They drive a van with only 2 seats which most often are both occupied, and in addition they bring material which they assemble to a useful purpose.

zur 13/14. Woche 2010

Der gewöhnliche logische Zirkel The common logical circle

Beim Verfassen eines jeden der drei letzten Hirnbriefe hatte ich gedacht, dass ich mich dem Begriff der Zeit annähern würde. Wohlgemerkt weiss ich im Moment des Schreibens eines jeden Briefes nicht, was ich in den nächsten schreiben werde. Es ist jedoch nur zu kleineren Fortschritten in dieser Richtung gekommen, deswegen lasse ich den Zusatz "Aspekte der Zeit" vorerst wieder weg.

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Nimmt man den Beobachter mit zur Beschreibung der gesamten Natur hinzu, dann wird die ganze Geschichte ein logischer Zirkel. Man kann bestenfalls versuchen, den Zirkel an unterschiedlichen Stellen aufzuschneiden, in der Hoffnung, dass vielleicht doch die Einsichten verschieden sind. Was es zu diesem Beobachter zu sagen gibt, steht im vorletzten Hirnbrief (Nr 9/10, 2010): Der entscheidende Punkt ist, dass er, genau wie in der klassischen Physik, keine physiologische oder physikalische Entität ist, und auch nicht kausal wechselwirkt mit den beobachteten Dingen. Im hier behandelten Fall bildet die Gesamtheit der phänomenalen Gehalte des Bewusstseins einen solchen Beobachter.

Die Sicht der gewöhnlichen klassischen Naturwissenschaft, und auch die normale Alltagssicht ist mit einer traditionellen Bruchstelle im Zirkel verknüpft: Man beginnt an der Bruchstelle, indem man feststellt, dass die Dinge in der Welt (mitsamt den Konzepten von Raum und Zeit) ohne irgendwelche gedanklichen Vorläufer "einfach so" existieren. Auf dieser Grundlage wird Hirnforschung betrieben; gemeint ist hier die rein naturwissenschaftliche Komponente. In deren Rahmen stellt man fest, dass es visuelle Neurone gibt, und dass diese erregt werden können durch den Anblick von Gegenständen, und dass Hirnerregungen Muskeln ansteuern können, die Veränderungen in der Welt verursachen. Die genannten Erregungen sind nichts Besonderes im Naturgeschehen, letztlich sind es auch nur Prozesse wie viele andere auch, wie z.B. der Vorgang der Umsetzung von Kohlendioxyd in Pflanzenblättern mit Hilfe von Sonnenlicht. Wenn man aber den Zirkel schließen will, indem man dem Gehirn unterstellt, dass es die Dinge in der Welt als "einfach so" existierend wahrnimmt, dann muss man die Naturwissenschaft verlassen, weil man dann behaupten muss, dass die neuronalen Erregungen etwas bedeuten. Das wurde schon im Hirnbrief 5/6, 2010 und in einigen früheren Hirnbriefen gesagt. Der nichtwissenschaftliche Sprung an dieser Stelle, nämlich von neuronalen Prozessen zu phänomenalen Gehalten des Bewusstseins, ist ein weitverbreitetes Gedankenmanöver mit zahlreichen Varianten. Hat man diesen Sprung vollzogen, dann erreicht man die anfängliche Bruchstelle von der entgegengesetzten Seite: die Dinge der Welt, mitsamt Raum und Zeit, erscheinen als Wahrnehmungen auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins.

Dass man diesen Sprung überhaupt machen will, liegt an der introspektiven Präsenz des Bewusstseins, dem man eine Existenzberechtigung im Naturgeschehen einräumen möchte. Läßt man diesen Wunsch fallen, dann gibt es kein Bewusstsein, und das Naturgeschehen mitsamt extrem komplexer neuronaler Prozesse läuft ab, ohne dass irgendjemandem dieses bewusst würde. Zwar wäre dieses eine Sichtweise ohne Bruchstelle, aber es gäbe keinerlei Naturwissenschaft, die dies honoriert, denn Naturwissenschaft wird ausschließlich auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins abgewickelt. Auch bleibt es unbefriedigend, dass dann die gesamte hochstrukturierte Erscheinung "Bewusstsein" aus einem Gesamt-Weltbild ausgeschlossen würde.

Der gewöhnliche Zirkel ("Zi1") führt also von den Dingen der Welt zum Gehirn (das zur Welt gehört), und über dessen neuronale Reaktionen auf Vorgänge in dieser Welt zu den phänomenalen Gehalten, die wiederum diese Welt darstellen oder bedeuten. Dieser Typ von Zirkel ist sozusagen welt-orientiert, und deshalb wird immer wieder versucht, wenigstens Teilaspekte des Bewusstseins irgendwie mit in die Welt einzubeziehen.

Es soll nun ein Zirkel "Zi2" betrachtet werden, der nicht welt- sondern Gehirn-orientiert ist, und der eine andere Bruchstelle hat. Wenn man hier etwas fallenlassen möchte, dann wäre es vielleicht eher die Welt als das Bewusstsein. Eine durchgängig naturwissenschaftliche Betrachtung kann es ohnehin genausowenig werden wie bei Zi1.

Noch bevor es losgeht, bemerkt man, dass Zi1 nicht genügend gut beschrieben wurde: Der Sprung von neuronalen Prozessen zu phänomenalen Gehalten des Bewusstseins ist ja zugleich ein Sprung von zahlreichen, objektiv untersuchbaren Gehirnen zu den phänomenalen Gehalten meines Bewusstseins, welches den Status eines Unikums hat. Es gibt kein menschliches oder gar tierisches Bewusstsein, sondern es gibt nur mein Bewusstsein. Das ist es, was man unter "Subjektivität" zu verstehen hat. In verschiedenen früheren Hirnbriefen wurde betont, dass der Gedanke "ein anderer Mensch 'aus seiner Sicht' hat ebenfalls ein Bewusstsein" unzulässig ist, weil er eine Kopplung "nach Naturwissenschaftler-Art" von menschlichen Körpern oder Gehirnen mit dem Bewusstsein annimmt.

Die traditionelle naturwissenschaftliche Idee ist, dass es nichts anderes gibt als eben die Natur, die die Welt, oder den Kosmos, ausmacht. Gehirne sind darin als ein kleiner Teil enthalten.

In Analogie hierzu soll im nächsten Hirnbrief, als Basis für Zi2, die Gesamtheit meiner physiologischen Hirnprozesse "alles" sein. Der Ausgangspunkt liegt also auch hier im materiellen Bereich, so dass man naturwissenschaftliche Regeln vorfinden wird. Man wird sofort bemerken, dass die Frage nach den räumlichen Grenzen des Gehirns wichtig wird.

The common logical circle
Writing the last 3 letters I believed that I could approach the concept of time. Since at the moment of writing a letter I do not know what I will write in the next one, I realize now, in hindsight, that I there was only a minimal progress in that direction. Therefore I now omit the reference to "aspects of time".

If one includes an observer in the description of the entire nature, the whole story becomes a logical circle which at best can be cut up at different points, hoping to reach correspondingly different insights. Some remarks regarding the observer are found in the last but one letter (n° 9/10, 2010): the essential point is that the observer is not a physiological or physical entity, and that the observer does not interact causally with the things observed. Therefore the observer is referred to as "it", instead of "he" or "she". In the case considered here, all the stuff collected by the observer constitute the totality of the phenomenal contents of consciousness. When this occurs is an important question; some entities may have been collected millions of years ago.

Note that I do not plead for esoteric associations. Rather, I want to delineate the boundaries of classical science. The things that cannot be incorporated in it should at least be denominated, and described as well as possible, instead of suppressing them, or worse, of asking the brain researchers to increase their inevitably vain efforts to finally incorporate everything into classical science.

In agreement with the commonplace view of laypersons, the view of common classical science is related to a traditional break point in the circle: One begins at the break point by stating the the things in the world (together with the concepts of space and time) simply exist, without any mental precursor. Brain research rests on that basis. Within the scientific component of that science one finds visual neurones that can be excited by the viewing of objects, and one finds motoneurones that bring about changes in the world. Those excitations are nothing exceptional within the events of nature; they are processes just as others such as the process of transformation of carbon dioxide by sun light via tree leaves. However, if one wants to close the circle by assuming that the brain "simply" perceives the things of the world then one has to leave natural science because one has to assume that the excitations carry significances. This topic has already been addressed in letter 5/6 (2010) and in some earlier letters. The non-scientific jump at this point, namely from neuronal processes to phenomenal contents of consciousness is a common widespread thought operation with numerous variants. After execution of the jump one reaches the initial break point from the opposite side: the things of the world, including "space" and "time", appear as perceptions on the phenomenal level of consciousness.

The reason for doing that jump is the introspective presence of consciousness. One feels that the highly structured contents of consciousness should somehow have a right to exist among the phenomena of nature. If one drops this desire, there would be no consciousness, and all natural processes (including extremely complex neuronal processes) would run without reaching consciousness of anyone. Although this would be a view without a break point or a jump, there would be no science that honors this simplification because science runs exclusively on the phenomenal level.

Thus, the traditional circle Zi1 leads from the things of the world to the brain (which belongs to the world) and from there, via neuronal reactions to events in that world, to phenomenal contents which signify or represent that world. This type of circle is in some sense "world-oriented"; this is why there are so many attempts to include at least part of the aspects of consciousness into the physical world.

Now a circle "Zi2" will be considered which is not world- but brain-oriented, and which has a different break point. When someone wants to drop or to suppress something here, it would perhaps be the world, rather than consciousness. Anyhow, also with this circle it will not be possible to obtain a gapless consideration that obeys natural science continuously.

Before beginning the considerations in detail, one notes that Zi1 has not been described in sufficient detail: The jump from neuronal processes to phenomenal contents is paralleled by a jump from numerous brains that can be investigated objectively to the phenomenal contents of my unique consciousness. "Human consciousness" or "animal consciousness" do not exist. Rather, there is only my consciousness. "Subjectivity" has to be understood precisely in this way. It has been stressed in earlier letters that the view "another human, seen from his/her perspective, has consciousness as well" is not admissible because it rests on the idea that human bodies or brains are coupled with consciousness, following the thought-manner of natural scientists.

The traditional idea of natural science is that there is nothing else than nature. It constitutes the world, or the cosmos. Brains are contained therein as a small part. In analogy to this idea, the entirety of my physiological brain processes shall now be taken to be "everything"; this will be the basis for Zi2. Again, the start point is in the material domain so that one has to pay attention to laws of science. One will rapidly note that the question of the boundaries of the brain will become important.

 



zur 11/12. Woche 2010

Aspekte der Zeit 3: Sehen Aspects of time 3: Seeing

Eigentlich müssten jetzt noch einige Details gesagt werden zum Thema "Bewusstsein als Beobachter", das am Schluss des letzten Hirnbriefs auftauchte. Diese müssen nun aber vertagt werden, sonst kommt man nie bei der "Zeit" an.

Was ist es denn nun, was besser verständlich wird, wenn man annimmt, dass das Sehen wie das Hören funktioniert? Ich kehre zurück zum Beispiel des Blinden (Hirnbrief 7/8,2010), der die vom Baum fallende Kokosnuss mit seinem Schall-Ortungsverfahren findet, der aber die relevanten Schalldaten abspeichern muss, falls er nach dem Aufprall der Nuss gestört wird und deshalb nicht sogleich die Ortung durchführen und losmarschieren kann, um sie aufzuheben.

Die
bewusste visuelle Wahrnehmung von jeder beliebigen Szene kommt folgendermaßen zustande: jedes neu hinzukommende neuronale visuelle Ereignis speichere ich ab, weil ich immer davon ausgehe, dass ich keine Gelegenheit haben werde, ein eventuelles "Ortungs"-manöver mit Hilfe einer fertigen Prozedur sofort durchzuführen, die zugehörigen  neuronalen Erregungen aber schnell abflauen auf ein für genaue Ortungen unbrauchbares Niveau. Kurze Zeit nach der letzten Änderung der Szene gibt es keine zuverlässigen neuronalen Erregungen mehr.

Auf dem phänomenalen Niveau meines Bewusstseins erscheint aber, anstelle von "In 'Wirklichkeit' sehe ich die Kokosnuss die ganze Zeit an ihrem Ort, nur höre ich nichts von ihr" (Hirnbrief 7/8) nun "In 'Wirklichkeit' sehe ich die Kokosnuss die ganze Zeit an ihrem Ort, nur melden meine Neurone nichts von ihr". Das Besondere ist, dass die kurzzeitigen Erregungen am Anfang genutzt werden für das Entstehen eines länger anhaltenden phänomenalen Eindrucks, der allerdings, weil ihm ja in den späteren Phasen keine neuronalen Erregungen entsprechen, nichts verursachen kann. Der phänomenale Gehalt ist somit so etwas Ähnliches wie ein zeitliches Integral über die anfängliche Erregung: wenn nach letzterer nichts weiter passiert, bleibt der Integralwert einfach erhalten. Er bringt sozusagen zum Ausdruck, was ich jederzeit aus dem Speicher abrufen könnte. Dieses gilt in einer völlig zwanghaften Weise (da habe ich keine Wahl) als die visuelle Wirklichkeit; die still daliegende Kokosnuss erscheint über die Zeit hinweg als ein völlig identisch bleibender Teil der Szene vor mir, mitsamt dem ganzen Rest der Szene, die ebenso zustandekommt.

Will ich nun aber ein Ortungsmanöver durchführen, also z.B. nach der Kokosnuss greifen, dann kann ich entweder den Gedächtnisinhalt abrufen und diesen damit in eine neuronale Erregung umsetzen, mit der ich dann "aufmerksam", aber ohne hinzuschauen, die Nuss nehmen kann, oder aber ich lenke mit Hilfe eben desselben Gedächtnisinhalts meinen Blick erneut dorthin, muss ebenfalls "Aufmerksamkeit" walten lassen, woraufhin ich neue visuelle Erregungen erhalte, mit deren Hilfe ich nun die Nuss ergreife. Erstaunlich ist daran, dass das erstere Manöver, wie ein jeder weiß, motorisch viel ungenauer ist als das letztere, wohingegen der phänomenale Eindruck der Nuss, wenn ich sie erneut "erregungsmäßig frisch aufnehme", völlig identisch bleibt, und zwar sogar dann, wenn ich jetzt einige Details an ihr bemerke, die ich zuvor nicht gesehen hatte.

All dies ist nur eine Beschreibung, keineswegs aber eine naturwissenschaftliche Erklärung für das Geschehen auf dem phänomenalen Niveau. Auch muss man beachten, dass jedes Verb, z.B., wie oben, "...Entstehen eines ... phänomenalen Eindrucks..." die Art der Beziehung falsch wiedergeben kann. Das gilt auch für "verursachen", "miteinander einhergehen", "sein", usw.

In den nächsten Hirnbriefen werde ich eine ganze Reihe von Anmerkungen zu dieser Geschichte zu machen haben. Ein Punkt sei schon genannt: ich finde auf dem phänomenalen Niveau nicht in deutlicher Weise vor, vor wie langer Zeit ein konstanter Szenenteil in eine Szene eingebaut wurde. Zumeist ist man nicht bereit, den erstmaligen Anblick eines nie zuvor gesehenen Zimmers als dessen wirklichen Beginn aufzufassen. Möglicherweise sind zumindest Teile des obengenannten Integrals schon viel früher gebildet worden, sicherlich dann mit Hilfe von Gedächtnisinhalten oder Verallgemeinerungen (ein Schranktürscharnier ist nicht erst seit gerade eben ein Schranktürscharnier, auch wenn es anders aussieht als ein früher gesehenes, und man eigentlich diese Scharniere jetzt überhaupt nicht angeschaut hat), was wiederum zur Folge hätte, dass man das Integral nicht in naturwissenschaftlich korrekter Weise nachvollziehen kann, weil man nicht weiß, wann man es hätte beginnen lassen müssen, und man ohnehin den (vielleicht sehr weit zurückliegenden) Beginn verpasst hat. Da sieht es grundsätzlich schlecht aus für ein "neuronales Korrelat des Bewusstseins", dem ja eher die Idee zugrundeliegt, dass gegenwärtige Bewusstseinsinhalte im Wesentlichen nur mit Gedächtnisabrufen oder Sinnessignalen zu tun haben, die neuronal in der Gegenwart stattfinden.

Aspects of time 3: seeing
I have to postpone some necessary remarks regarding the point "consciousness as an observer" that came up at the end of the last letter.

What becomes clearer if one accepts that seeing operates like hearing? I return to the example of the blind (letter 7/8,2010) who finds the coconut that fell from the tree by some sonar localisation neuronal system. However, he has to memorize the relevant auditory data if he is disturbed after the impact of the nut on the soil, so that he cannot immediately execute the localisation computation, and start the walk towards the nut in order to fetch it.

The
conscious visual perception of any scene arises as follows: I memorise each new visual event because I always assume that there will be no occasion to execute a possible localisation process immediately, using a preexisting procedure, and the relevant neuronal data will after a short time wane to a level that is useless for an accurate localisation. Shortly after the last change of the visual scene there are no reliable excitations anymore.

The auditory story went "in 'reality' I see the coconut all the time at its place, but I don't hear anything about it". The analogous story which is of interest here is that on my phenomenal level of consciousness appears "in 'reality' I see the coconut all the time at its place, but my neurons don't signal anything about it". The special point is that the brief initial excitations are used for generating a longer-lasting phenomenal impression. However, the later parts of the latter cannot become causally effective because no neuronal excitations correspond to it. Thus, a phenomenal content is something similar to a time integral over the initial excitation: if nothing happens any more after that excitation, the integral value simply remains unchanged forever. In some sense, it expresses what could be extracted from memory. But in a compulsive, inescapable way I have to understand this integral value as the "visual reality": the coconut lying quietly on the soil appears as a temporally absolutely identical part of the visual scene in front of me, together with all the remainder of the scene which has the same origin.

However, if I want to perform a localisation action, such as e.g. to grasp the coconut, then I can either retrieve the memory contents and obtain a neuronal excitation from it which in turn I can use for taking the nut. I have to apply "attention" without looking at the coconut. Or I use the same memory contents to (re-)direct my gaze to the locus of the nut, and upon applying "attention" I obtain new visual excitations which I use for taking the nut. Everybody knows that the former maneuver is much less precise than the latter, and yet, it is surprising that the phenomenal impression of the nut is identical irrespective of whether I have gathered new visual excitations or not. This is true even if the fresh view reveals new details which I did not note before.

All this is only a description but not an explanation for the events occurring on the phenomenal level. One has also to bear in mind that each verb which one selects for describing the nature of the relationship between the neuronal and the phenomenal level can be incorrect, e.g. in the above phrase "...brief ... excitations are used for generating a ... phenomenal impression" the verb "generate" can be false, but also "to cause", "to accompany", "to be", etc., are no better.

In the next letters I will have to make a number or remarks to this story. I only mention one point here: There are no clear signals on my phenomenal level about the instant when a (constant) part of a scene has been incorporated into a scene. Usually one is not willing to consider the first view of a previously unknown room as a true begin of the visible objects. Possibly some parts of the above integral have already be formed much earlier, based on memory contents and generalisations (a hinge of a cubicle door is not a hinge of a cubicle door only since I first saw the actual one, even if it looks different from other such hinges seen earlier; and in fact i did not even look at them in the present case). This in turn may have the consequence that a scientist is unable to compute the integral from neuronal data because he/she does not know the (possibly very remote) time of onset which he/she has missed anyhow. There are bad prospects for a "neural correlate of consciousness" which, rather, rests on the idea that phenomenal contents of consciousness are essentially linked only to retrievals of memory or sensory signals that take place neuronally in the present.



zur 9/10. Woche 2010

Aspekte der Zeit 2; Beobachtung Aspects of time 2; observation


Man soll nicht versuchen, die phänomenalen Gehalte der bewussten Wahrnehmung zu erklären durch neuronale Prozesse, während man zugleich der Ansicht ist, dass diese phänomenalen Gehalte sich auf einem wissenschaftlich unzugänglichen Niveau befinden. Solche Betrachtungen unterlaufen einem vor allem als Greis, im Rückblick auf ein streng naturwissenschaftlich ausgerichtetes Leben ("rotes Licht hat eine bestimmte Wellenlänge"), wobei die "scientific correctness" erfordert, dass man daran anschließt, dass nur "ich selber weiss, wie ich das Sehen von Rot empfinde". Hingegen gilt als Allgemeingut, wie mir "Welle" und "Länge" innerlich erscheinen.

Schlimmer sind aber die diensttuenden Neurowissenschaftler. Angenommen, diese würden mal absichtlich alles ignorieren, was sie auf ihrem visuellen phänomenalen Niveau vorfinden, wären sie dann wirklich imstande, auf der Grundlage aller erarbeiteten neurowissenschaftlichen Kenntnisse über das visuelle System des Gehirns auch nur ansatzweise zu erahnen, wie die phänomenale visuelle Welt aussieht? Die Traditionsdebatte über Farben läßt das Allerunverständlichste ja gar nicht erkennen, nämlich dass ich 16 Stunden am Tag lückenlos immer ein völlig gefülltes Gesichtsfeld wahrnehme, und es auch dort keine Löcher im Gesichtsfeld gibt, wo ich absolut keine Aufmerksamkeit hinwende, und statische Szenen auch dann weiterhin als absolut stabil, unverändert und vor allem löcherfrei wahrgenommen werden, wenn jemand, von mir unbemerkt, einen großen Gegenstand entfernt hat.

Wenn man nochmal liest, was in den Hirnbriefen 8, 9, 52(2009) und 7/8(2010) steht, dann merkt man, dass das Sehen neuronal gesehen eigentlich eher wie das Hören funktioniert, nämlich sequentiell, wobei nur Änderungen gemeldet werden. Die zwei Tatsachen, dass visuelle Neurone auch auf unveränderliche Lichtreize reagieren können, und dass auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins dauerhafte Eindrücke einer völlig statischen Umwelt erscheinen, verhindern auch heute noch bei den meisten Gelehrten diese Einsicht. Da hilft auch die gegenteilige, aber verdrängte Einsicht wenig, dass das Nervensystem völlig überfordert wäre mit der ständigen neuronalen Echtzeit-Wiedergabe aller Details des Bücherregals vor mir, in dem sich nichts ändert, während ich obendrein noch dreimal pro Sekunde die Blickrichtung ändere, wohlgemerkt mit dem erwünschten neuronalen Ergebnis, dass sich nichts ändert. Nur gewöhnliche Ingenieure, die keine besondere Kenntnis vom Gehirn haben, empfinden die genannte Ansicht als absolut unsinnig.

Allerdings kommt manchen Hirnforschern dabei doch das Grausen, zumal ja noch keiner von ihnen jemals eine stundenlang konstante Erregung irgendeines visuellen Neurons beobachtet hat: Man bringt ins Gespräch, dass das, was ich da wahrnehme, vielleicht aus einem Gedächtnis stamme. Aber ein Gedächtnisinhalt müßte ja abgerufen werden, und die Frage ist, wann denn das geschehen solle. Ruft man ein solches Gedächtnis ständig ab, sozusagen in jeder Millisekunde erneut, dann wäre erstens das Nervensystem ebenfalls erheblich belastet, und zweitens wären die Ergebnisse, wie alle neuronalen Operationen, verrauscht, so dass bestenfalls das Bücherregal über die Zeit hinweg als ähnlich, nicht aber als identisch erschiene. Erfolgt der Abruf hingegen nur hin und wieder, dann gibt es Lücken; die neuronalen Erregungen wären deutlich variabel. Da würde es helfen, wenn eine kurzzeitige Erregung, beispielsweise im Moment eines solchen Abrufs, eine länger gültige Konstanz der Szene bedeute. Nun ist aber eine solche Bedeutungszuweisung im Rahmen der Naturwissenschaft unzulässig: Eine Zeigerstellung eines Ampèremeters bedeutet nicht eine Stromstärke für das Ampèremeter, sondern nur für einen völlig getrennten Beobachter. Ebenso bedeuten Erregungen in einem untersuchten Gehirn überhaupt nichts für dieses Gehirn, also auch nicht eine längere Konstanz. Sie mögen jedoch diese Bedeutung für den beobachtenden Wissenschaftler haben. Dieser hat in der klassischen Wissenschaft überhaupt keine kausal wirksame Verbindung mit der beobachteten Szene, und er ist auch kein Teil der wissenschaftlichen Inhalte, indem er etwa in Formeln aufträte.

Hier sieht man, wo die argumentatorische Rettung liegt: Man muss einen mit der zu beobachtenden Szene (hier also dem Gehirn) irgendwie zusammenhängenden aber doch kausal unverbundenen Beobachter annehmen. Für diesen kann dann eine geeignet gestaltete kurzzeitige Erregung die Bedeutung einer viel länger gültigen Konstanz haben, und noch viele weitere Bedeutungen obendrein. Na ja, so ähnlich fühlen sich die phänomenalen Gehalte des Bewusstseins tatsächlich an.

Das sieht sehr nach dem Männchen im Gehirn aus, das da die neuronalen Erregungen anschaut, über das schon viel geschimpft worden ist. Für Erklärungen sei es nicht dienlich, weil man dann erneut ein Männchen brauche, das wiederum des ersteren Hirnerregungen anschaut. In der Tat ist dieses als durchgängig naturwissenschaftliche Erklärungskette unbrauchbar. Man hat dabei aber das obengenannte Herausfallen des Beobachters aus der gewöhnlichen klassischen Wissenschaft übersehen.

Das Bewusstsein spielt tatsächlich eher eine Rolle wie ein klassischer Beobachter eines naturwissenschaftlichen Geschehens, im Gegensatz etwa zu einem Modell von irgendwas, das ja auch wieder angeschaut werden müsste. Deshalb ist es keine Eigenschaft des Gehirns. Was da für Beobachtungen gemacht werden und welche Bedeutungen sie bekommen, vor allem im zeitlichen Bereich, wird in den nächsten Hirnbriefen erörtert.

Aspects of time 2: observation
One shall not attempt to explain the phenomenal contents of consciousness by neuronal processes while being convinced that these contents are located on a scientifically inaccessible level. This type of consideration is often done by old people looking back onto a life full of scientific rigor ("red light has a certain wavelength"). They prefer to stay within a long-standing line of thought which is "only I myself can know how I experience the seeing of red" while "wave" and "length" are traditionally experienced alike by everyone.

Scientists on duty are even worse. Suppose they deliberately ignored all impressions appearing on their visual phenomenal level. Would they be able to at least vaguely guess the appearance of the phenomenal visual world, based on their neuroscientific knowledge? The traditional colour qualia debate conceals what is utmost incomprehensible: I continuously perceive a full visual field during 16 hours each day, exempt of holes even where I pay no attention. Even when someone removes a large object from a static scene, and I do not pay attention to this action, I can continue to perceive the scene as hole-free and absolutely stable.

Reading again my letters 8, 9, 52(2009), and 7/8(2010) one notes that neuronal seeing is much more similar to hearing. In particular, it is sequential, and only changes are signalled. Two facts impede that this idea takes root in most scholars: Firstly, visual neurones can also react to time-constant stimuli, and secondly, large amounts of temporally static impressions appear on the phenomenal level of consciousness. The opposing but repressed view does not help which is that the capacity of the nervous system would be largely exceeded by a continuous real-time reproduction of all details of the book shelf in front of me. There is no change in that book shelf for many hours, but I move my gaze direction 3 times per second. The idea is that at some level of the nervous system there must be a time-constant neuronal outcome. Engineers knowing nothing special about the brain would never believe this.

To be sure there are neuroscientists who feel horror with this idea, all the more so as no one among them has ever seen an excitation of a visual neuron remaining constant for hours. The idea comes up that my perception might originate in some memory. However, a memory contents must be read out, and the question is at which instant this should happen. If the readout was quasi continuous, so to speak, every millisescond anew, then, firstly, the processing demand would still be very high, and secondly the result would be noisy, as everything in the nervous system: the book shelf would not look identical but at best very similar as time progresses. On the other hand, if the readout was discontinuous, then one would have gaps, and the neuronal excitations were clearly variable. In the latter case it would help if one could say that a brief excitation signifies a longer-lasting constancy of the scene. However, attributions of significances are not admissible within natural science: the position of the pointer of an ampèremeter does not signify a certain current to the ampèremeter. It may, however, signify a current to an observing scientist. Similarly, excitations observed within a brain do neither signify a constancy nor anything else to that brain. Possibly they have such a significance for the observing scientist. By principle of classical science, he/she has no causally effective connection to the observed scene. Nor is the observer a part of the scientific content, e.g. by appearing explicity in scientific formulae.

Here becomes apparent where the arguments for a salvation can be found: One has to assume an observer which is somehow linked to the brain but yet causally disconnected from it. A suitably adjusted brief excitation can signify a much longer lasting constancy, and many things else in addtion, to such an observer. Indeed the phenomenal contents of consciousness produce such a feeling.

This in turn looks very much like the much-criticized homunculus in the brain who looks at the neuronal excitations, and who would require another such homuculus to look at the neuronal excitations of the latter. Indeed this chain of arguments must be rejected if it remains entirely within the domain of scientific contents. However, for the rejection it has been overlooked that the observer is not a part of the contents of classical science.

Indeed consciousness plays a role rather like an observer, in contrast, for instance, to a model of something which in turn would again have to be observed. Therefore, consciousness is not a property of the brain. The nature of the observations, and the significances which they have, in particular in the temporal domain, will be discussed in the next letters.

zur 7/8. Woche 2010

Aspekte der Zeit 1; Hören Aspects of time 1; hearing

Es geht darum, sich dem Zeitbegriff anzunähern. Dabei sind bislang unterschiedliche Aspekte aufgetaucht, die nicht von vornherein sogleich zusammenpassen. Diese seien hier vorerst nur benannt:
1.: Unterbrechung von Prozeduren; Hören; s.u.
2.: Kurzzeitige neuronale Erregungen können mit langanhaltenden Wahrnehmungen auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins zusammenhängen.
3.: Eine gegenwärtige neuronale Erregung kann etwas Vergangenes bedeuten, oder: Eine neuronale Erregung bedeutet eine andere neuronale Erregung, und der Unterschied ist die Zeit.

Der erste Aspekt ist der im vorigen Hirnbrief genannte: Die Grundelemente des Funktionierens des Gehirns sind
Prozeduren wie z.B. "mit dem Löffel essen", und nicht etwa Gegenstände, wie z.B. ein Löffel. Man kann davon ausgehen, dass es ein Vorteil ist, wenn man imstande ist, zunehmend langdauernde Prozeduren zu entwickeln. Da die Wahrscheinlichkeit damit immer größer wird, dass diese dann unterbrochen werden durch eine Vielfalt von anderen Vorgängen, die sich nicht alle als Teil der jeweiligen Prozedur einbauen lassen, muss man ein Verfahren entwickeln, wie man eine Prozedur nach einer Unterbrechung fortsetzen kann.

Es gibt schon ein solches Verfahren, nämlich dasjenige, mit dem ein Vogel den unterbrochenen Nestbau fortsetzt, indem er den momentanen unfertigen Zustand sensorisch erkennt (sich also nicht etwa merkt), und damit die Fortsetzung der Tätigkeit anwerfen kann. Dabei müssen die halbfertigen Dinge während der Unterbrechung unverändert bleiben.

Kann es denn Fälle geben, wo dies nicht zutrifft? An sich muss ja das Element, das ich fortzusetzen wünsche, erhalten bleiben während der Unterbrechung, sonst ist es einfach keine Aktion, die die Bezeichnung "Fortsetzung" verdient, oder zumindest, sobald ich die Fortsetzung starten will, muss es irgendwie wieder in diesen Zustand geraten.

Wohlgemerkt bezieht sich "Unterbrechung" auf eine Prozedur, und nicht auf ein Ensemble von Gegenständen. Eine Prozedur könnte sein, dass ich den Wunsch habe, als Muskeltraining ein großes Gewicht über den Boden zu zerren, bis ich eine bestimmtes Ermüdungssignal verspüre. Nach einer Unterbrechung kann ich die Prozedur an einem ganz anderen Gewicht, an einem anderen Ort, fortsetzen. Ich darf nicht in stereotyper Weise einfach alles, was vor der Unterbrechung sensorisch erfassbar war, für die Fortsetzung wieder hernehmen, sondern ich muss die jeweils relevanten Teilumstände sensorisch erkennen, in diesem Beispiel die Fälle, bei denen große Gewichte Reibung am Boden produzieren.

Oder angenommen, ich sei ein Lebewesen von einer gedachten Art ohne jeden Gesichtssinn, also nicht wie ein von Geburt blinder Mensch, der ja doch die Anlagen eines sehenden Menschen hat. Ich höre eine Kokosnuss vom Baum fallen: Erst ein Rascheln, dann ein Plumpsen. Mit meiner sehr empfindlichen Schall-Ortungsprozedur berechne ich meine Marschrichtung und die Entfernung und finde so die Kokosnuss. Wenn ich nun aber beim Losmarschieren unterbrochen werde, dann steht mir die Schallquelle, oder auch die Richtung der schon eingeschlagenen Schritte, später nicht mehr zur Verfügung. Hier hilft es, sich die für die Ortung wichtigen Signale zu merken, d.h. sie abzuspeichern und später wieder abzurufen.

"In Wirklichkeit" liegt die Kokosnuss die ganze Zeit an ihrem Ort, nur höre ich nichts von ihr. Was heißt aber hier "Wirklichkeit"? Ich müsste mir nichts merken, wenn ich die Nuss sehen könnte.

Hier sieht man, wie das, was der Mensch als Wirklichkeit auffasst, entstanden ist: Das Sehen funktioniert nämlich neuronal gesehen eigentlich eher wie das Hören. Im nächsten Hirnbrief, wenn gedanklich nichts dazwischenkommt, wird das näher ausgeführt, auch wenn vieles schon in früheren Hirnbriefen steht.

Aspects of time 1; hearing
The aim is to approach the concept of time. During this attempt several aspects have emerged which at first sight do not easily fit to each other. They are:
1: Interruption of procedures; hearing; see below;
2: Brief neuronal excitations can be related to long-lasting perceptions on the phenomenal level of consciousness.
3: A present neuronal excitation can signify a past event, or: A neuronal excitation signifies another neuronal excitation, and the difference is time.

The first aspect is the one treated in the previous letter: The basic elements of brain function are procedures such as "to eat with a spoon", and not objects such as a spoon. One can accept that it is an advantage to develop increasingly long-lasting procedures. Thereby the probability will increase that the latter will be interrupted by a host of other processes that cannot each be incorporated into the procedures. Therefore, a method must be developed that allows to continue a procedure after an interruption.

One such method already exists, namely the one which allows a bird to continue the building of its nest. The bird has to identify by its senses the unfinished state of affairs but it need not memorize it. With the data from the identification it can continue its activity. However, during the interruption the things must not change.

Are there cases where this is not true? In principle the element which I want to continue must remain constant during the interruption because otherwise the term "continuation" were not justified.

Note that "interruption" refers to a procedure, and not to an ensemble of objects. A procedure might be that I desire, for training my muscles, to pull a huge weight over the soil until I feel a certain signal of tiredness. If that procedure is interrupted, I could continue it with another huge block of material, at another place. Thus, I must not, in a stereotyped way, use all available sensory impressions for starting the continuation. Rather, I must only identify the relevant partial circumstances, i.e., in this example, the cases in which large bodies produce friction on the soil.

Or suppose I am a living being of a fictive species devoid of a sense of vision (which unlike a man being blind from birth has no genetic prerequisites for seeing). I hear a coconut falling down from a tree: First a rustle then a muffled plump. Using my very accurate sonar localizing procedure I compute the direction of my walking, and the distance. In this way, I find the coconut. However, if it happens that I am interrupted while I start my walk, then the source of the sound, and also the direction of my first steps, will later no longer be available. In this case, a memorizing of the signals relevant for the localisation is useful.

In "reality" the coconut lies all the time at its place. The problem is only that I do not get auditory signals from it. What does "reality" mean here? I would not have to memorise anything if I could see the coconut.

Here one can see how has arisen what humans take to be "reality": Considering the neuronal level, the point is that seeing operates rather like hearing. This will be treated in more detail in the next letter (if there are no interruptions of thought) although much of what will be said can already be found in earlier letters.

zur 5/6. Woche 2010

Neuronale Sicht  Neuronal view

Im vorigen Hirnbrief Nr 3/4 (2010) wollte ich mich dem Zeitbegriff annähern. Die Vorgehensweise soll nicht die weitgehend übliche sein, nämlich zu versuchen, Vorgänge auf dem phänomenalen Niveau zu erklären durch zugrundeliegende neuronale Prozesse. Vielmehr sollen rein neuronale Vorgänge wissenschaftlich analysiert werden, wobei sie wohlgemerkt nichts bedeuten dürfen (dennoch funktioniert alles aufs Beste) und dann soll versucht werden, aus bemerkenswerten Besonderheiten einen Ursprung des Zeitkonzepts wenigstens zu erahnen.
 
Rein neuronal gesehen ist sowohl die Einspeicherung als auch der Abruf eines Gedächtnisvorganges immer prozedural, auch wenn die Zweckbestimmung vielleicht eher episodisch aussieht. Es kann neuronale Speicherprozesse geben, die nach Eingabe eines neuronalen Zusatzsignals ein früher einmalig eingespeichertes Muster mehr oder weniger unverfälscht reproduzieren. Dennoch ist auch dieses kein "neuronales episodisches Gedächtnis", sondern ein prozedurales, das, wie immer, ein Signal (hier das "Zusatzsignal") erkennt und zugleich umwandelt in das zu reproduzierende Muster, wobei die Speicherspuren einwirken.

Keine neuronale Erregung, auch nicht ein abgerufener Gedächtnisinhalt, bedeutet etwas; vor allem nicht "etwas Vergangenes".  Wichtig ist nur, dass der Speicherinhalt jetzt, beim Abruf, vorhanden, und in regelhafter Weise wirksam ist. Es entsteht auch nicht einfach deshalb die Bedeutung "gestern", weil vielleicht in irgendwie kodierter Form ein Kalenderdatum mit abgespeichert wurde. Auch dieses ist ein abrufbarer Speicherinhalt, der nichts bedeutet.

Die neurophysiologischen Entitäten in einem Gehirn sind Prozeduren, die einen Nutzen haben, und deren Kennzeichen ist, dass es jeweils ein zugehöriges Ensemble von Kontakten zwischen Nervenzellen gibt, wodurch dafür gesorgt ist, dass die Prozedur durchlaufen werden kann. Eine Prozedur kann angeworfen werden durch Sinnessignale ("Erkennung") oder durch Ausgangssignale von anderen Prozeduren. Wird eine Prozedur unterbrochen, kann der Nutzen nicht mehr ohne weiteres erreicht werden. Erfindet man eine neuronale Hilfsmaßnahme, die es erlaubt, eine unterbrochene Prozedur später fortzusetzen, dann ist die Prozedur an sich unverändert, aber die Dauer der Unterbrechung bringt einen "prozedurfremden" Unterschied mit sich, der, wenn man nicht weiß, was "Zeit" ist, zusätzliche Bedingungen für das Erreichen des Ziels zur Folge hat. Wenn man sehr oft einen Säugling wäscht, wickelt und ankleidet, dann kann man die Abfolge der Aktionen rein prozedural ohne Einsatz des Bewusstseins abwickeln (was man sich so vorstellen kann, dass man währenddessen im Prinzip ununterbrochen eine schwere Kopfrechenaufgabe bearbeiten könnte. Eigentlich soll man sich die Säuglingsprozedur aber hier jetzt als eine Abfolge rein neuronaler Vorgänge vorstellen). Soll man nun bei einem schon gewaschenen Säugling die restlichen Tätigkeiten erledigen, dann muß man irgendwie erfahren, dass er bereits gewaschen worden ist, damit man sich in die Mitte der Prozedur einklinken kann. Diese zusätzliche Information kommt in einer ganz anderen Weise herein als wenn sie sich einfach aus dem vorangegangen prozeduralen Schritt entwickelte.

Das entscheidende Entwicklungsschritt des Menschen ist die Erfindung eines allgemeinen Verfahrens für den Umgang mit Unterbrechungen von Prozeduren (siehe Hirnbriefe 42/43, 44, 2009). Im Wesentlichen wird eine Art neuronale "Blitzlichtaufnahme" der Situation im Moment der Unterbrechung gemacht, die gespeichert und später für den Zweck des Fortsetzungsstarts wieder ausgelesen wird. (Auch dieses ist eine Prozedur). Dadurch wurde überhaupt erst möglich, dass sehr langdauernde Prozeduren abwickelbar wurden; zwangsläufig müssen sie zeitlich ineinander verschachtelt werden, so dass immer nur eine läuft, und alle anderen sich in einer Unterbrechungspause befinden. Es kam aber dabei auch zum Vorschein, dass Prozeduren in Komponenten zerfallen, deren Kennzeichen ein unterschiedliches Verhalten bei Unterbrechungen ist: Der größte Teil der prozedural relevanten Eigenschaften des Säuglings bleibt erhalten, wohingegen die Eigenschaft "gewaschen" abhängt vom Moment der Unterbrechung der Gesamtprozedur. Anders ausgedrückt: Stellt man sich eine Prozedur als eine Abfolge von Filtern vor, die von einem Ensemble von Erregungen durchlaufen wird, dann werden im "Normal"fall die jeweils nächsten Filter unmittelbar nach den vorigen durchlaufen (wobei "unmittelbar" durchaus auch lange Verzögerungen enthalten kann, die aber zur Prozedur gehören). Wendet man den nächsten an die Reihe kommenden Filter jedoch sozusagen aus heiterem Himmel eine Stunde später als normal an, dann wird sich herausstellen, dass er nur noch einen Teil des Ensembles durchlässt ("erkennt").

Als Mensch mit Bewusstsein wundere ich mich darüber nicht: die Welt verändert sich halt während der Dauer der Unterbrechung einer Tätigkeit. Aus neuronaler Sicht, bei der es keine Bedeutungen gibt, entwertet eine Unterbrechung zunächst die Prozedur. Es gibt keine "Welt", es gibt nur Abwicklungserfolge. Erhöht man die Erfolgsrate durch ein Unterbrechungsmanagement, dann "erfährt" das System bei dieser Gelegenheit Neuigkeiten über die innere Struktur der prozedural verwendeten Daten, die es dann in differenzierter Weise anderweitig nutzen kann. Phänomenale Bewusstseinsinhalte stammen weitgehend aus diesem neuen Bereich; es ist kein Wunder, dass auch der Zeitbegriff dabei ist.

Um dieses weiter zu klären, werde ich noch viele Texte schreiben müssen, und doch wird Klarheit dann vielleicht immer noch nicht erreicht sein. Weitere Ruheständler sollten mitarbeiten (und nicht nur schon vorhandene Ansichten rauslassen).


Neuronal viewpoint
In the previous letter #3/4 (2010) I announced to approach the concept of time. The intended method is not the common one, namely to attempt an explanation of processes found on the phenomenal level by neuronal processes. Rather, the intention is to analyse only neuronal processes in a scientific way (which implies that they signify nothing, and yet everything functions perfectly), and then I will try to guess an origin of time by some peculiarities found in that analysis.

Under a purely neuronal perspective the storage and also the retrieval of memory is always procedural. This is true even if the purpose rather reminds an episodic memory. There are storage processes that can approximaetely reproduce (upon input of a supplementary signal) a solitary event stored earlier. Yet, this is never a "neuronal episodic memory" but remains a procedural one which regularly recognizes an incoming signal (here the "supplementary signal") and which transforms it into the pattern to be reproduced, thereby being influenced by the memory traces.

No neuronal excitation, be it of sensory or of memory origin, signifies anything, and in particular, it does not signify a past event. For the neuronal system it is only important that the memory contents exists at the instant of retrieval, and that it influences the running processes in an adequate way. By no means the significance "yesterday" can be generated by some neurally coded calendar date. It would remain a retrievable memory contents which signifies nothing.

The neuronal entities in the brain are procedures that have a benefit, and that are specified by an ensemble of synaptic strengths so that the procedure can run. A procedure can be triggered by sensory signals ("recognition") or by output signals of a preceding procedure. If a procedure is interrupted, the benefit cannot be reached in a straightforward way. If one invents an auxiliary measure which allows to continue an interrupted procedure later, then, in principle, the procedure as such is not altered. However, the interruption period brings about a difference which is foreign to the procedural contents. If one does not know what "time" is, supplementary conditions for reaching the goal are generated. If one is habituated to wash, to swaddle and to dress a baby then it is theoretically possible to do this without consciousness. One may imagine this as if one did a difficult mental calculation all the time during these actions. However, here one should view the whole baby action as a sequence of purely neuronal events. Now if there is a baby that has already been washed by someone else, and one has to achieve the two remaining actions, then it is necessary that one learns somehow that the baby has already been washed. This additional information enters in a very different way as if it was just the neuronal outcome of the preceding procedural step.

The decisive developmental step towards humans is the invention of a general method to cope with interruptions of procedures (see letters 42/43, and 44,2009). Essentially a kind of neuronal "flash picture" of the situation at the instant of the interruption is made, and stored, so that it can read out later for starting the continuation later. (Also this is a procedure.) It is only by this feature that very long-lasting procedures can be handled. Inevitably they have to be interleaved among each other so that at any moment only one procedure is running, and all others are at rest in an interruption pause. At that occasion it also became apparent that procedures contain internal components whose characteristic is a different behaviour with respect to interruptions: the largest fraction of properties of the baby, as they are relevant for the procedure mentioned, remain unaltered except (among others) the property "washed" that depends on the instant of interruption of the whole procedure. Expressed in other terms, if one imagines the procedure as a succession of filters through which the ensemble of excitations passes, in the "normal" case each filter is passed immediately after the preceding one (where "immediately" can be a rather long delay which, however, is a part of the procedure). However, if the next filter is applied to the stream of excitations one hour later than normal, then it will turn out that only a fraction of the stream can pass (is recognized).

Being a conscious human I am not astonished about this: I am familiar with the fact that the world changes during a period of interruption of an action. From a neuronal viewpoint, where no significances exist, at first sight an interruption invalidates a procedure. There is no world; there are only successes of procedural handlings. At the occasion of increasing the rate of success by an effective interruption management, the neuronal system inevitably has to "learn" something about the inner structure of the data used in a procedure. This "knowledge" can then be used in a different contexts. The phenomenal contents of consciousness largely originate from this new field; it is not surprising that also the concept of time is among them.

For a further clarification I will have to write much further text. Yet, clarity will not necessarily be reached. Further retired persons are welcome to collaborate (and not only to release already existing viewpoints).

 zur 3/4. Woche 2010

Speichernutzung  Use of memory


Im Hirnbrief 52(2009) habe ich über das Sehen und die Zip-Datenkompression und -speicherung geschrieben. Eigentlich wollte ich mich nun damit befassen, wie in diesem Zusammenhang mit dem Zeitbegriff umgegangen wird. Da stiegen aber zunächst dichte Nebelschwaden auf, allein schon, weil man zuvor betrachten muss, wie man gespeicherte Daten nutzt. Man hat ja die Vorstellung, wenn man irgendwelche Daten im Gehirn oder auch technisch speichert, dass man aus ihnen später Schlüsse ziehen kann, die man im Originalmoment zunächst nicht zieht, und die sich in der Regel auf noch weiter in der Zukunft liegende Zeiten beziehen: Ich höre jemanden mit einem leichten Klumpfuß-Schritt im Korridor vorbeigehen; jeweils der eine Schritt klingt hart, der mit dem anderen Fuß aber eher dumpf. Mir fällt das auf. Am nächsten Tag sagt mir jemand, dass der mir bis dahin unbekannte Herr A., der nur selten kommt, am Vortage im Hause gewesen sei. Ich habe keinen Anlass, die zwei Sachverhalte zu verknüpfen. Zwei Wochen später höre ich erneut diese Schrittfolge. Jetzt stelle ich einen Zusammenhang her: "Aha, vermutlich Herr A.". Dieses ist eigentlich eine Aussage über ein mögliches zukünftiges Ereignis, nämlich ihm zu begegnen. Hätten die zwei vierzehn Tage zurückliegenden Sachverhalte (ungefähr) gleichzeitig stattgefunden, dann hätte ich den Zusammenhang vielleicht sofort hergestellt. So hingegen konnte ich zur genannten Aussage nur kommen, indem ich beide abgespeichert habe, und dann einer von beiden, nämlich die auditive Schrittfolge, erneut auftrat, und ich eine Quasi-Gleichzeitigkeit mit "Aha, Herr A." herstellte, indem ich letzteres sogleich aus dem Gedächtnis abrief. Im Prinzip hätte ich wohl auch, ohne die tatsächlich zu hörende Schrittfolge, irgendwie alle beide Sachverhalte aus Speichern abrufen können. Wie kann man so etwas organisieren?

Neuronal gesehen gibt es das prozedurale Gedächtnis, welches man sich als eine Art Filter von Sinnessignalen vorstellen kann: Die Erkennung einer bestimmten (multi-)sensorischen Szene besteht in der Auslösung einer passenden (erlernten oder ererbten) neuronalen Verarbeitung. Dieser Gedächtnistyp ist zumindest im Prinzip vollständig verständlich im Rahmen klassischer Neurowissenschaften; ein Bewusstwerden tritt nicht auf; man weiß nicht, und kann sich nicht daran erinnern, wie man beim Fahrradfahren aus verschiedenen Sinneseinströmen (vom Sattel, vom Lenker, von den Pedalen, vom Gleichgewichtssinn) eine bestimmte Lenkerdrehung berechnet hat. Vor allem kann man sich mit Hilfe dieses Gedächtnisses an keine individuellen Vorgänge in der Vergangenheit erinnern, wie z.B., dass man als Kind zunächst die Lenkerdrehungen nicht berechnen konnte. Neuronal gibt es keine Vergangenheit als solche, sondern nur gegenwärtige neuronale Vorgänge, die in einer völlig unzugänglichen Weise abhängen von Lernvorgängen, die zudem kumulativ sind. In keinem Moment "weiß das System", dass es, bevor ein bestimmter Lernvorgang stattgefunden hatte, anders auf denselben sensorischen Einstrom reagiert hatte. Es "kennt" nicht dieses "zuvor", und erst recht nicht, dass dieser Begriff sich auf einen Moment auf einer Zeitskala bezieht.

Ein solches Gedächtnis kann, je nach Parameter-Einstellungen, durchaus auch einmalige Vorgänge einspeichern, und diese ebenso nach Filter-Art wiedererkennen. Auch läßt es sich so einrichten, dass ein einlaufendes Erregungsmuster X, gepaart mit einem weiteren Muster Y, gespeichert wird, und später, wenn Muster Y allein eingegeben wird, Muster X mehr oder weniger in Originalform reproduziert wird. Dabei könnte Muster Y aus einem "Überraschungsdetektor" stammen, der generell z.B. eine auditive Schritt-Erkennung und vieles andere enthält, und der immer dann eine Meldung abgibt, wenn nach anfänglich gut passender Erkennung dann plötzlich ein nicht passender Datenabschnitt kommt, und der dann, wenn vielleicht noch andere Kriterien erfüllt sind, die Anlage eines neuen (Unter-)Filters veranlasst. (Dieses ist das Problem der Abspeicherung/Erfolgsbelohnung der vorderen Glieder einer unvollendeten Langzeit-Handlungskette, das noch zu besprechen ist.)

Mit all dem hat man aber noch keine Zeit. Vielmehr finden alle genannten Vorgänge in der jeweiligen Gegenwart statt. Naiverweise würde man sagen wollen, dass das früher eigespeicherte, jetzt original-ähnlich reproduzierte Muster X ein vergangenes Ereignis bedeute. Aber wie schon gesagt, ist "A bedeutet B" generell keine naturwissenschaftliche Beziehung, die zwischen beobachteten Dingen gelten kann. Vielmehr ist diese subjektiv, gilt nur als "Bedeutung für mich", und setzt mein Bewusstsein voraus. Es ist jedoch vielleicht eine der ursprünglichsten Arten von Bedeutungsbeziehung, denn sie könnte "Erregungsmuster A bedeutet Erregungsmuster B" (*) lauten, wobei nur ein Zeitunterschied besteht, wohingegen "Erregungsmuster A bedeutet einen Baum" wohl noch wesentlich undurchschaubarer ist. Nicht vergessen werden sollte allerdings (siehe Hirnbrief 42/43, 2009), dass der wirkliche Ursprung derartiger Bedeutungsbeziehungen zwar ebenfalls vom Typ (*) ist, aber statt des Zeitunterschiedes stand da bei den Affen der Unterschied "meine/deine Hand". Von dort holt man sich die Idee, dass man die Motorik besonders zu beachten haben wird. Aber darüberhinaus ist mir noch nicht klar, wie die Geschichte weitergeht.


Use of memory
In letter #52(2009) I have written about seeing and the Zip method of data compression. My intention was only to consider the concept of time in that context. However, that topic turned out to be nebulous and be it only that one first has to determine how one makes use of memory. One imagines that the purpose of storing data in the brain, or in a technical device, is to be able, at a later time, to draw conclusions which one does not want to draw immediately. These conclusions may refer to times lying further in the future: I hear someone slightly club-footed walking in the corridor: one step sounds hard and brisk, the other rather dull. This strikes me. On the next day someone tells me that on the previous day Mr. A. has been in the office building. I did not know him so far, and it was said that he is rarely in the house. There is no reason for me to connect the two facts. Two weeks later again I hear this rhythm of steps. It is now that I establish a connection: "aha, supposedly Mr. A.". This is a statement about an increased probability to encounter him at some future moment. If (two weeks ago) the two informations had come simultaneously perhaps I would have established the link immediately. This not being the case the only possibility was to put both informations each separately into some memory. Then, at the instant of the second auditory occurrence of the step rhythm, that rhythm was recognized, and I immediately retrieved the other memory contents "aha, Mr. A.". As an alternative, I also might have retrieved both informations from their memories, without the actual auditory input. - How can this be organized?

On the neuronal level there is the mechanism of "procedural memory" which can be imagined as a kind of filter of incoming sensory signals. The recognition of a given (multi-)sensory scene consists of the release of an adequate (learned or inherited) neuronal processing. This type of memory is at least in principle completely understandable within classical neuroscience: there is no consciousness. Executing the procedure of bicycle riding one retrieves memory contents allowing the adequate computation of the rotation angle of the handle bar. However, one does not consciously know how one has made use of the multisensory signals (from the saddle, the pedals, the handle bar, and the sense of equilibrium). This memory does not allow to recall an individual event in the past; one cannot retrieve that at some time in childhood one was not able to ride a bicycle. This means that neuronally there is no "past as such". There are only present neuronal processes which depend, in an impenetrable way, of the past (and in addition, in a cumulative way). The neuronal system "does not know" that it would have reacted differently to a given sensory input at some earlier time before a certain neuronal learning process had taken place. It "ignores" this "earlier", and all the more, it generally does not know that there is a time axis to which references have to be made.

Depending on parameter adjustments, such a procedural memory can well memorise also a solitary event, and reidentify it in the "filter way". One also can arrange matters so that an incoming excitation pattern X, paired with another pattern Y, is stored, and later, when pattern Y alone is coming in, pattern X is reproduced more or less in its original form. Pattern Y could be generated by a "surprise detector" which contains, e.g., an auditory recognition mechanism of steps, and of many other processes, and which always gives off a signal when after some initial recognition steps a deviating section of signals comes in. It may then perhaps cause the establishment of a new sub-memory.

With all this, one has not yet a time. Rather, all processes mentioned occur at the corresponding "present". Naively one would tend to say that the pattern X (memorised earlier, and now approximately reproduced) signifies a past event. However, as stated earlier, "A signifies B" is generally no scientific relationship that can be valid among observed things. Rather, it is subjective, it is a "significance for me", and it presupposes my consciousness. Yet, perhaps it is one of the "easier", and the more fundamental relationships involving significance because it only says "excitation pattern A signifies excitation pattern B"(*), with the difference somehow being "time". In contrast, "excitation pattern A signifies a tree" seems still more intractable. I also remind (see letter #42/43, 2009) that the true origin of relationships of the "simpler" type (*) is not "time" but, in monkeys, the difference of "my/your hand". There one may fetch the idea that also for the case of "time", one has to be concerned with motor signals. Beyond that, it is not clear how the story will continue. 



zur 1/2. Woche 2010

Volks-Hirnforschung Folk brain research


In der wirklichen Volksvorstellung vom Gehirn gibt es eigentlich gar kein Gehirn. Vielmehr spielen z.B. das Herz, die Augen und andere Körperteile wichtige Rollen. Es gibt eine Welt mit absolut existierenden Personen und Umständen, sowie die Sprache, deren Inhalte, was ihren Wahrheitsgehalt betrifft, beständig gerungen wird. Weiterhin gibt es, für mich absolut unanzweifelbar, mein intern empfundenes "Ich", das mit meinen Gedanken, Gemütsbewegungen und Erinnerungen zusammenhängt. Ich fasse zB meinen Zorn als kausal verursacht durch das Verhalten von Mitmenschen auf, und meine Handbewegung als kausal verursacht durch meinen zugehörigen Beschluss. Es gibt Vorstellungen wie "Das Hören ist ein Vorgang, bei dem etwas durch die Ohren in den Kopf hineingeht", wohingegen "beim Sehen etwas durch die Augen aus dem Kopf herauskommt" (nämlich der Blick). Man kann auch verrückt oder teilweise unfähig sein, ohne dass ein Gehirn als Erklärung dafür benötigt wird. Vorgänge in einem geheimnisvollen Unterbewusstsein verursachen Handlungen oder Gedanken, die "eigentlich" so nicht zu erwarten wären. Manche Vorgänge können "mir bewusst sein", andere nicht. Mehr im Detail gesehen, gibt es Vorstellungen wie "ich bin mir sehr sicher, dass ich einen bestimmten Vorgang gesehen habe". Dabei wird durchaus anerkannt, dass die Inhalte einer solchen Beobachtung/Erinnerung anzweifelbar sein könnten. Hingegen die genannte (jedoch ebenfalls erinnerte) Sicherheitsempfindung selbst wird als absolut unanzweifelbar aufgefasst. Ein Bericht "Vor 8 Tagen habe ich geträumt, dass 3 Tage später mein Hund überfahren wird" wird als Beweis für die Vorhersageleistung von Trauminhalten angesehen, wenn tatsächlich der Hund vor 5 Tagen überfahren wurde. Die Tatsache, dass erst UUUUnach dem bedauernswerten Vorfall darüber berichtet wurde, löst keinen Zweifel an dessen Wahrheitsgehalt aus. Zahlreiche politische, religiöse, naturwissenschaftliche und natürlich auch private Leitideen sind auf dieser Grundlage entstanden und entstehen immer noch.

Auf einer höheren Stufe findet man Spuren von Schul- und sogar Universitätsbildung, jedoch durchsetzt mit Gedankengut aus der Volkshirnforschung: Es kommen Nervenzellen, ein Gehirn und Vorstellungen von Naturwissenschaft vor. Es gibt nun, physikalisch untermauert, Sehen, Hören, Tasten als Vorgänge, die Signale ins Gehirn hineinbringen, und, weniger deutlich, Muskelbewegungen, die Signale aus dem Gehirn herausführen. Denken, im Verein mit Gedächtnis und Erinnerung, bekommt nun "neuronale Verarbeitung" zur Grundlage. Dazu gehören sicherlich auch Gemütsbewegungen, aber es wird nicht überzeugend erkennbar, warum diese von ersteren abgegrenzt werden sollten, was in der eigenen Innensicht als Sachverhalt deutlich ist. Steuernde Substanzen werden genannt, aber solche sind letztendlich für alle neuronalen Wechselwirkungen verantwortlich. Die Ansichten der Neurowissenschaftler über "Wahrnehmung", in den allermeisten Fällen eine verarbeitungsmäßige Sackgasse, die bestenfalls Gedächtnisspuren hinterläßt, sind chaotisch oder nebulös. Hier dominiert weiterhin die Vorstellungswelt der Volks-Hirnforschung. Eigentlich ist "Wahrnehmung" eine introspektive Kategorie des Bewusstseins, bei der aber immer wieder versucht wird, gedanklich mehr oder weniger triviale Verknüpfungen mit Befunden der Neurowissenschaft herzustellen (siehe hier die Hirnbriefe 8 und 52;2009, sowie später Hirnbrief 9/10;2010). Diese kann aber nur "neuronale Verarbeitung" anführen, die immer auch, in unterschiedlichem Ausmaß, eine Plastizität oder Gedächtnisbildung einschließt, und die schließlich entweder zu einem motorischen Signal oder aber zu einer Art neuronaler Signalversickerung führt. Eine "Station", auf der "wahrgenommen wird", ist nicht konzipierbar. Überhaupt wird zumeist versucht, das neuronale Geschehen nicht etwa mit biologischen Leistungen des Organismus, sondern mit phänomenalen Inhalten des Bewusstseins in Verbindung zu bringen, von der Art "weil die Neurone vom Typ X diejenigen vom Typ Y beeinflussen, nehme ich U statt Z wahr, worüber ich dann berichte".

Über die neuronale Natur der letztgeschriebenen 4 Wörter erfährt man nichts. Die Sprache steht als völlig getrennte Kategorie neben allem. Die Verknüpfung zu außersprachlichen Bereichen der Neurowissenschaft residiert ebenfalls weiterhin auf der untersten Volkshirnforschungsstufe. Stattdessen hat sich eine Art Extra-Hirnforschung für den Sprachbereich allein entwickelt. Dort schießt der Umgang mit dem Begriff "Bedeutung", den es in der Naturwissenschaft nicht gibt, völlig ins Kraut, so dass die arme Studentin nicht sieht, wo hier eigentlich die Grenze zur Naturwissenschaft verläuft.

Den typischen Volks-Hirnforschern ist nicht klar, in welchem Ausmaß sie von der Erscheinung "Bewusstsein" abhängen. Beispielsweise fasst man das episodische und das prozedurale Gedächtnis einfach als 2 organisatorisch unterschiedliche neuronale Gedächtnistypen auf, ohne zu bedenken, dass nur das letztere (zumindest im Prinzip) naturwissenschaftlich UUUUvollständig verständlich ist, und sogar auch in anderen Organen als dem Gehirn vorkommen könnte. Hingegen ist der phänomenale Inhalt einer episodischen "Erinnerung" wissenschaftlich nicht nachweisbar, sondern "scheint" subjektiv im eigenen Inneren "auf".

Der König in diesem Getümmel ist der "freie Wille", der indirekt auch mit dem Begriff der "Schuld" zusammenhängt. Hier kann der mehr naturwissenschaftlich Orientierte gleich das ganze Bewusstsein, mitsamt seiner "Freiheit" verheißenden Ausgeburt, als irrelevante "innere" Erscheinung ansehen, mit der man sich nicht beschäftigen sollte. Unverhohlen wird an Universitäten versucht, dieser Volks-Hirnforschung Eingang zu verschaffen, zumindest für die Studenten ("moderne" Hirnforschung): man hält sie an, die meisten Arbeitstunden abzuleisten in Gebieten, wo man glaubt, ganz ohne das Bewusstsein zurechtzukommen; dazu gehören Untersuchungen auf zellulärem und subzellulärem Niveau sowie Computersimulationen neuronaler Netzwerke.

Zwar wird vom Bewusstsein geredet, aber dieses wird nicht wirklich erforscht, weil man ja meint, neurowissenschaftliche Forschungen würden letztlich dieses Phänomen mit erfassen. Noch nicht einmal das Elementarste wird betrieben, nämlich vorerst ohne jedes Verständnis, die reine Feststellung der inneren Ordnung der phänomenalen Gehalte des Bewusstseins. Aber Begriffe wie "menschliches Bewusstsein" geistern herum, als ob dieses bei anderen Menschen als mir selbst ebenfalls feststellbar wäre, obwohl man damit der ebenfalls behaupteten Subjektivität widerspricht. "Für den anderen" sei das sehr wohl feststellbar, so heißt es in nebulöser Weise. Auf ähnlicher "Grundlage" wird Tieren ein vielleicht minderes Bewusstsein unterstellt. Stellte man von mir Molekül für Molekül eine exakte Kopie her, dann müsse diese, so sagt der Volkshirnforscher, ebenfalls ein Bewusstsein haben, wenn ich eines habe. Nur wird dabei gern mal vergessen, dass ich halt diese Kopie UUUUsein müßte, und dass Bewusstsein keine "Eigenschaft" ist.

Volkshirnforscher pflegen zu äußern, dass die Hirnaktivität etwas "bedeute" oder "repräsentiere", womit versucht wird, dem Bewusstsein in wissenschaftlich unzulässiger Weise durch die Hintertür doch wieder Zugang zur Neurowissenschaft zu verhelfen. Dennoch sei alles letztlich auf neurophysiologische Vorgänge zurückführbar. Der "freie Wille" muß deshalb ganz allein verscheucht werden. Zuzugeben, dass man eigentlich gar nichts von den phänomenalen Gehalten des Bewusstseins versteht, und nicht nur vom "Freien Willen", der dorthin gehört, fällt besonders schwer.

Es gibt aber doch noch eine als besonders hochstehend angesehene Stufe der Hirnforschung, auf der jedoch nur wenige Gelehrte arbeiten: Dort befasst man sich mit dem "neuralen Korrelat des Bewusstseins". Es gibt dafür sogar schon eine Abkürzung mit 3 Buchstaben. Aber noch bevor man überhaupt ein Verständnis entwickelt hat, herrscht dort bereits die Festlegung vor, dass die phänomenalen Gehalte des Bewusstseins mehr oder weniger synchron mit zugehörigen neuronalen Prozessen zeitlich voranzuschreiten hätten. Na denn mal gute Nacht; was will man dazu noch sagen.

Folk brain research
In people's view of brain-related processes a true brain does not appear. Rather, the heart, the eyes, and other body parts play important roles. There is a world with absolutely existing persons and events, and there is speech whose veridicality is always disputed. Furthermore there is my internally experienced "I" on whose existence I have no doubt. It is related to my thoughts, to my emotions and to my remindings. I understand my anger as causally elicited by the behaviour of other persons, and my manipulations as causally elicited by my corresponding decision. There are ideas such as "Hearing is a process where something UUUUenters my head" but "Seeing is a process where something comes out of my head" (namely the gaze). One can be mad, or partially disabled without a need of invoking a brain. Processes in a mysterious "subconsciousness" cause unexpected actions or thoughts. One can be conscious of some events, and not of others. A closer look reveals conceptions such as "I am certain of having seen a given event". By this one recognises that the contents of such an observation/recall can be doubtful. A report "Eight days ago I dreamt that 3 days later my dog will be run over by a car" is taken as a proof of the predictive power of dreams if the dog indeed 5 days ago was the victim of such a regrettable event. The fact that the report was given UUUUafter the event does not elicit doubts about its veridicality. Numerous political, religious, scientific and private guiding ideas have been generated on this basis, and continue to do so until today.

On a higher level one finds traces of school and university erudition which continues, however, to be interspersed with large amounts of folk knowledge about the brain. Underpinned by physics, there are seeing, hearing and touch which bring signals into the brain, and, somewhat less distinct, muscular movements which carry signals out of the brain. "Neuronal processing" now becomes the basis for seeing, thinking, memorisation and recall. Emotions also belong to this family but they are kept apart without a clear reason. Indeed, introspectively, they appear as a distinct category. Sometimes, intracerebral substances governing emotions are mentioned but finally this applies to any neuronal interaction. The views of neuroscientists about "perception", which in most cases is a "dead end, of processing", leaving at best some memory trace, are chaotic and nebulous. Here the folk views continue to dominate. In reality "perception" is an introspective subjective category of consciousness. Yet, over and over again there are attempts to establish more or less trivial links to findings of neuroscience (see letters 8 and 52;2009, and later letter 9/10;2010). However, neuroscience can only invoke "neuronal processing" that invariably also includes some plasticity, or memory formation, and that finally leads either to a motor signal or to a kind of "processing sink". A "station" where "perception" takes place is not conceivable by principle. Quite generally, often attempts are made to connect neuronal events to phenomenal contents of consciousness, instead of linking them to biological accomplishments of the organism. The type of reasoning is "I  perceive U instead of Z because neurons of type X exert an influence on neurons of type Y", and then I report on it.

Usually there is no concern about the last-written 5 words; language appears as a completely separate category. Its links to neuroscientific domains beyond language reside on the level of folk brain research. Instead, a quasi-extra brain research has evolved for language alone, in which the scientifically non-existing term "significance" goes totally astray so that poor student cannot see where the boundary to science is located.

It is not clear to the typical folk brain researcher to what extent he or she depends on the phenomenon of consciousness. For instance the two memory types "episodic" and "procedural" are taken as two types of memory that just differ by their organisation. Usually there is no mention of the fact that only the procedural type can be understood scientifically, and could even occur in other organs than the brain, whereas the phenomenal contents of an episodic recall cannot be demonstrated scientifically but appears only subjectively.

The king within this turmoil is the "free will" which indirectly is connected to "guilt". Here the more "scientifically" oriented scientist can get rid of the entire domain of consciousness, together with its offspring promising freedom, and discard it as irrelevant internal phenomenon which is not worth to be studied. Boldly the universities attempt to expose students to more and more elements of folk brain research ("modern" brain research): most working hours have to be dedicated to domains in which consciousness is considered to be superfluous: these are studies of cellular and subcellular processes, and computer simulations of neuronal networks.

Although one talks about consciousness it is not really investigated because the belief is that neuroscientific research will finally also encompass consciousness. Not even the most basic effort is done, namely to collect the phenomena appearing on the phenomenal level of consciousness, and to attempt to find internal structures within this domain (all this, to begin with, without any true understanding). Instead, terms such as "human consciousness" rove around, as if consciousness could also be supposed to exist in other individuals than myself, although this is a contradiction to subjectivity which is also assumed to be true. One can hear in a nebulous way "another individual can very well state that he/she is conscious". Similarly, animals are supposed to have a certain (perhaps lesser) consciousness. If a copy is made, molecule by molecule, of my whole body and brain, then the folk brain researcher assumes that this copy must also have a consciousness. Traditionally he/she forgets that I would have to UUUUbe that copy, and that consciousness is not a "property".

Usually the folk brain researcher pretends that the physiological brain activity "signifies" or "represents" something. Thereby it is tried to reintroduce consciousness into brain research by a loophole: everything should be reducable to neurophysiological processes. The advantage is that only the "free will" alone remains to be banished from science. Generally it is hard to admit that not only the free will, but nearly nothing is understood of the rules governing the phenomenal contents of consciousness.

Yet, there is a more recent "high-level" branch of neuroscience where only few scholars work: One is concerned with the "neural correlate of consciousness". There is even an abbreviation for this, with 3 capital letters. But even before a first scetch of understanding has evolved, there is already the decision that the phenomenal contents must more or less synchronously progress with corresponding neural processes on the time axis. Nothing else remains to be said than "good night"