Jürgen Krüger
Hirnforschung

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Archiv Hirnbriefe 2011

31. Bedeutung, Qualia und phänomenales Niveau (letzter Brief des Jahres 2011)

30. Zwei Umwege von neuronal nach phänomenal

29. Sprachliche Bedeutungsübertragung?

27/28. Muttersprache und Bedeutung

25/26. Sprache: naturwissenschaftlicher Teil A

23/24. Subjektivität und Objektivität

21/22. Prozeduren-Hintergrund 2 Procedures: Background 2

19/20. Prozeduren-Hintergrund Procedures: Background

17/18. Wissenschaft und Philosophie Science and philosophy

15/16. Unterbrechung 2  Interruption 2

13/14. Multielektrode und Bewusstsein Multielectrode and consciousness

11/12. Unterbrechung Interruption

9/10. Vergleich neurona/phänomenal: (2) Motorik. Comparison neuronal/phenomenal: (1) motor

7/8. Vergleich neurona/phänomenal: (1) Sensorik. Comparison neuronal/phenomenal: (1) sensory

5/6. Sprache und Subjektivität. Language and subjectivity

3/4. Neuro-Nichts  Neuro-Nothing

1/2. Überblick  Overview

Nr  31 2011

Bedeutung, Qualia und phänomenales Niveau

Eigentlich bemühe ich mich weiterhin um die Rolle der Sprache im Zusammenhang mit dem Bewusstsein, und lange, allerdings teilweise unbefriedigende Texte sind inzwischen entstanden, aber niemand bekommt sie vorerst in diesem Zustand zu lesen.

In einer kürzlichen Diskussion kam zum Vorschein, dass viele Gelehrte, was das Bewusstsein betrifft, nur die Frage "wie ich rot empfinde" (und natürlich nicht nur Farben) als wissenschaftlich unzugänglich auffassen(*). Die möglicherweise individuell unterschiedliche Art und Weise, wie ich Farben, andere Eindrücke aller Art, oder Gemütsbewegungen empfinde, wird im Begriff "Quale" (Plural "Qualia") zusammengefasst. Diese Qualia seien also subjektiv. Die Erscheinung "Bewusstsein" als Ganzes hingegen wird als objektiv aufgefasst, wobei allerdings auch alltags- oder medizinersprachliche Begriffe wie "das Bewusstsein verlieren" oder dessen Gegenteil da mit hineingerührt werden. Letztere Begriffe beziehen sich auf Verhaltensbeobachtungen und sind damit in der Naturwissenschaft verankerbar. Auf diese naive Weise hat natürlich jede Heuschrecke ein Bewusstsein; dann sei es halt nur ein kleines, schwaches, oder wenig ausgeprägtes Bewusstsein.

Der genannten Ansicht ist folgendes entgegenzuhalten: Allein die Tatsache, dass es überhaupt ein phänomenales Niveau gibt, auf dem etwas "aufscheint"(**), ist subjektiv und naturwissenschaftlich unverständlich. Niemand kann das beweisen; eine wissenschaftliche Untersuchung würde nur physiologische Prozesse aller Art hervorbringen. Niemand kann beweisen, dass ich etwas wahrnehme, und nicht nur, wie ich es wahrnehme. Im Fall visueller Wahrnehmung kann man naturwissenschaftlich nur beweisen, dass ich (und andere Individuen) irgendwie sinnvoll mit visuellen physiologischen Prozessen umgehe.

Vielen Gelehrte überspringen gedanklich den Punkt (**), weil sie ihn als unwesentlich ansehen, oder vielleicht fassen sie ihn auf als eingeschlossen in (*). Dabei übersehen sie jedoch den einzig wesentlichen Punkt, auf den allein sich die Existenz meiner Hirnbriefe gründet, nämlich dass die innere Struktur all dessen, was "aufscheint", sich grundsätzlich unterscheidet von der inneren Struktur all dessen, was man mit neuronalen und physikalischen Prozessen verbinden kann.

Der am leichtesten erfassbare Unterschied ist das Auftreten von phänomenaler "Identität" auf der Zeitachse im Gegensatz zu (bestenfalls großer) Ähnlichkeit im physiologischen Bereich, sprachlich erfasst durch den Unterschied zwischen "dasselbe" und "das gleiche". Was dem (formal, naturwissenschaftlich unverstanden) zugrundeliegen kann, habe ich im Hirnbrief 52 (2009) dargelegt. Dabei ist nicht der Aspekt "Datenkompression" die Hauptsache, obwohl auch diese ein nützlicher Faktor sein könnte, sondern wie das geschieht. Da wird ja versucht, Vorgänge auf der Zeitachse umzusetzen in phänomenale Prototypen, die es dann natürlich nur jeweils einmal gibt, die aber mehrfach verwendet werden. Damit können sie dann aber im allgemeinen nicht an der richtigen Stelle auf der Zeitachse liegen. Die ganze Reichhaltigkeit der Welt wird also aus dem kontinuierlichen neuronalen Verarbeitungsstrom in zeitkonstante phänomenale Prototypen verfrachtet, und es bleibt ein mageres Gerippe von reinen Zeitangaben, das allein die zeitlichen Verhältnisse wiedergibt. Es ist ein minderer Punkt, dass diese Prototypen in jedem Individuum irgendwie verschieden aussehen könnten. Viel wesentlicher ist, dass der ganzen Qualia-Geschichte dieses Prototyp-Verfahren übergestülpt wird, mit ganz wesentlichen Folgen für den Umgang mit der Zeit. Auf dem phänomenalen Niveau muss sozusagen jedes Mal extra dazugesagt werden, zu welcher "expliziten" Zeit ein Prototyp Gültigkeit hat, wohingegen auf dem neuronalen Niveau immer das gilt, was momentan gerade "in Echtzeit" brodelt (und sei es ein Gedächtnisabruf). Da muss sozusagen nichts hinzugesagt werden.

Nun kommen ja die Physiker neuerdings so allmählich auf die Idee, dass der Zeitbegriff überhaupt erst erforderlich wird, sobald ein komplexes System nicht mehr vollständig abgeschlossen ist, sondern sich in Kontakt befindet mit irgendeinem weiteren System. Da könnten sich die Vorstellungen vom Neurokosmos (Hirnbriefe 21 und 32;2009, 43/44; 2010) vielleicht eingliedern lassen, zumal ja ohnehin manche Physiker das Gefühl haben, dass "die Zeit aus dem Gehirn kommt", womit sie aber eher den "Geist" oder vielmehr das phänomenale Niveau meinen. Na ja, sofort fertig ist man dann aber noch nicht mit dem Bewusstsein. Aber sicherlich ist das Auftreten von "Zeit" irgendwie verknüpft mit dem Auftreten des Bewusstseins.

Nr  30 2011

Zwei Umwege von neuronal nach phänomenal
Die heranrückenden Schwierigkeiten, nämlich die Rolle der Sprache bei der Unterscheidung von subjektiven und objektiven Sachverhalten zu klären, gehe ich vorerst von einer anderen Seite an, indem ich den Unterschied betrachte zwischen zwei nachfolgend genannten Fällen. In beiden schaue ich bewusst einen Apfel an.

Fall N (=Normalfall): In mir enststeht eine bestimmte neuronale Aktivität und (ungefähr) zugleich scheint der phänomenale Gehalt "Apfel" in mir auf.

Fall S: Es ist prinzipiell denkbar, und verletzt keine naturwissenschaftlichen Prinzipien, wenn ich als Neurowissenschaftler mit komplizierten Verfahren meine eigene neuronale Aktivität im ganzen Gehirn komplett beobachte. Währenddessen nehme ich diesen Apfel wahr. Ich möchte die auf diesem wissenschaftlichen Wege in mir entstehenden phänomenalen Gehalte mit denen aus Fall N vergleichen.

Das geht jedoch nicht, weil ich dann ja mein Gehirn nicht beim Beobachten des Apfels untersuche, sondern beim Durchführen einer wissenschaftlichen Untersuchung. Also richte ich eine gewaltige automatisch laufende Speichermaschinerie ein, mit der ich meine gesamte Hirnaktivität auch im Zeitverlauf registriere, und ebenfalls die Außenwelt mit dem Apfel, während ich den Apfel bewusst anschaue. Anschließend analysiere ich die registrierten Daten in genau derselben Weise wie wenn ich Daten von einer anderen Person instantan untersuchte. Sowohl bei meinen eigenen gespeicherten Daten als auch den Echtzeitdaten von einer anderen Person werde ich wohl eine Erregungsverteilung finden, bei der ich sagen würde: hier ist die dem Apfel entsprechende Erregung. Verschiedene Absicherungsmaßnahmen wären, dies mehrfach durchzuführen, zum Vergleich auch andere Gegenstände anzuschauen, oder während der Apfel im Gesichtsfeld bleibt, meine Aufmerksamkeit abzuwenden.

Schließlich wäre denkbar, dass ich die Erkennung des (gespeicherten) neuronalen Musters "Apfel" mitsamt dem Zusammenhang zu einem tatsächlichen Apfel erlerne, so dass, ähnlich wie beim Eintreffen der gesprochenen Schallfolge "Apfel", bei mir (der in diesem Moment die Rolle des muster-inspizierenden Wissenschaftlers spielt) die phänomenale Vorstellung eines Apfels aufscheint.

Was es dazu zu sagen gibt, teilt sich auf in zwei Teile.

Erstens zeigt der Fall S, dass es gar keinen Weg gibt, die eigene allgemeine Hirntätigkeit im Moment des Entstehens wissenschaftlich selbst zu erfassen, weil sich das Untersuchungswerkzeug "Gehirn" immer nur im Zustand dieser Werkzeugtätigkeit befände.

Entweder muss ich also Daten (über einen Speichervorgang) aus einem vergangenen Zeitabschnitt (dann aber meine eigenen; Fall S1), oder aber aus dem Gehirn einer anderen Person (dann aber instantan; Fall S2) nehmen, um das gewünschte Manöver mehr recht als schlecht überhaupt durchzuführen. Es kommt mir hier auf die Idee an, dass vielleicht der Normalfall N aus den Fällen S entstünde, wenn es möglich wäre, sowohl die Speicherverzögerung zu Null zu machen, als auch die andere Person in gewisser Weise physisch in mich zu überführen. Das grundsätzliche Unverständnis des Bewusstseins hinge dann zusammen mit der Unmöglichkeit, diese Manöver durchzuführen. Trotz der Verwegenheit dieses Gedankens ist es bemerkenswert, dass ein doppeltes Zusammenschieben erforderlich ist, nämlich ein zeitliches und ein quasi-räumliches ich-du-mäßiges. Dessen (nicht erreichbares) Ergebnis ist ein einziger Fall, während es für die ursprünglichen Fälle S sowohl eine Vielzahl von Speicherverzögerungen gäbe, als auch eine Vielzahl unterschiedlicher Personen, die alle untersucht werden könnten. Im zusammengeschobenen Fall N habe ich sozusagen keinerlei Wahl, welche phänomenalen Gehalte denn nun in einem bestimmten Moment aufscheinen.

Zweitens: Im Fall N scheint der phänomenale Gehalt "Apfel" ohne erkennbaren Umweg direkt auf. Im Fall S2 werden die zu untersuchenden neuronalen Erregungen in einer anderen apfelbetrachtenden Person registriert und als neuronale Erregungen von mir wahrgenommen. Sie existieren somit als phänomenale Gehalte in meinem Bewusstsein. Eine solche Etappe kommt im Fall N nicht vor. Für die Herstellung des Zusammenhangs muss ich den Apfel natürlich auch selbst wahrnehmen; es kommen dann weitere Manöver hinzu, deren neuronale/phänomenale Natur unklar ist.

Der Fall S1 ist noch komplizierter: Die zu untersuchenden neuronalen Erregungen finden zur Zeit t1 statt und werden in diesem Moment gespeichert. Später, zur Zeit t2, werden die neuronalen Erregungen aus dem Speicher von mir ausgelesen, wobei sie wie bei S2 als neuronale Erregungen von mir wahrgenommen werden. Den Apfel habe ich hingegen zur Zeit t1 wahrgenommen; ich kann ihn in meinem Nervensystem abspeichern und mich zur Zeit t2 an ihn erinnern in Form eines neuen phänomenalen Gehalts, oder ich kann ihn aufbewahren (oder sein Aussehen technisch speichern) und zu t2 erneut wahrnehmen. Die weiteren Manöver sind ähnlich unklar und kompliziert wie bei S2.

Der Fall S2 ist eher mit sprachlicher Übertragung verwandt. Auch ist bemerkenswert, dass bei S2 das Betrachten desselben Apfels durch mich und durch eine andere Person der zeitlichen Dauerhaftigkeit des Apfels bei S1 entspricht, die das Betrachten desselben Apfels zu zwei Zeitpunkten ermöglicht.

Von hier aus nehme ich erneut Anlauf, um der Rolle der Sprache näherzukommen. Hilfe von den zahlreichen Sprachforschern kann ich kaum erwarten, weil diese sich nicht darüber wundern, dass Luftdruckwellen etwas bedeuten.


 

Nr  29 2011

Sprachliche Bedeutungsübertragung?

Stets wollte ich alle zwei Wochen einen Hirnbrief schreiben. Je weiter ich jedoch in das Dickicht des Bewusstseins vordringe, (wobei es fraglich ist, ob es wirklich ein "vor..." ist,) desto länger werden die nicht sinnvoll unterteilbaren Texte, und ich gelange zunehmend an die Punkte, an denen vielleicht auch schon viele andere hängengeblieben sind. Deswegen kann ich keine regelmäßigen Abstände zwischen den Briefen mehr einhalten.

Weiterhin habe ich große Schwierigkeiten vor allem mit der Rolle der menschlichen Sprache im Zusammenhang mit dem Bewusstsein. Dieser Punkt scheint den meisten Gelehrten wenig Probleme zu bereiten: Fragt man Vortragende, in deren Rede auf sprachlich mitgeteilte Bewusstseinsinhalte anderer Personen zurückgegriffen wird, dann bekommt man die Antwort "damit können wir uns jetzt nicht befassen", oder wenn ich anführe (und darauf beharre ich), dass "Bedeutung" generell kein naturwissenschaftliches Konzept sei, dann bekome ich so obenhin zu hören "Warum nicht? Das gleiche nimmt man gerne für die Bedeutung von Bildern an." (..."gerne"...!!!).

Es ist aber wichtig, die Rolle der Sprache zu klären, weil als "objektiv" diejenigen Sinneseindrücke gelten, die per sprachlicher Mitteilung von anderen Personen mit meinen Auffassungen übereinstimmen. Neben dem Hirnbrief 5/6 (2011), der auch schon nichts voranbrachte, habe ich mittlerweise viele Seiten Text zum Thema Sprache erzeugt, die aber alle nicht in Form von Hirnbriefen kommunizierbar sind. Jetzt fange ich mal von hinten, bei der Sicht der meisten Gelehrten, an:

Deren Vorstellungen liegen vor allem zwei Annahmen zugrunde, nämlich 1. dass "Bedeutungen" mit neuronalen Prozessen zusammenhängen, so dass sie in jedem geeignet ausgestatteten Gehirn erscheinen können, und 2. dass Bedeutungen im Wesentlichen gleichzeitig mit zugehöriger neuronaler Aktivität auftreten. Man könnte somit für ein bestimmtes Gehirn eine Art Wörterbuch herstellen, in dem links Erregungsverteilungen und rechts zugehörige Bedeutungen eingetragen sind. Die Erregungsverteilungen zu einer bestimmten Bedeutung sind in jedem Gehirn verschieden, aber sie können durch einen Lernvorgang so verschaltet werden, dass dieselbe Bedeutung, unabhängig vom sendenden Gehirn, mit derselben über den Kehlkopf ausgesandten physikalischen Luftdruckwellenfolge einhergeht (abgesehen von Standard-Umrechnungen wie Frauen-/Männerstimme, Lautstärkekorrekturen und zahlreichen sprachlichen Feinheiten). Lediglich wie sich die Bedeutungen für ein jedes Individuum "anfühlen" ("Qualia"), bleibt individuell unterschiedlich und somit subjektiv. Ähnliches gilt für das Empfängergehirn: Die empfangene Luftdruckwelle hat in jedem Gehirn dieselbe Bedeutung, aber unterschiedliche Erregungsprozesse zur Folge. Diese Unterschiede sind jedoch Folgen unterschiedlicher Lern-Vorgeschichte und neurophysiologisch im Prinzip vollständig verständlich. Dass für das Empfängerindividuum vielleicht auch noch die Bedeutungen "sich anders anfühlen", kann davon unabhängig sein.

In dieser Geschichte fehlt jedoch, dass nur ich aus meiner Innenperspektive überhaupt etwas von diesen Bedeutungen weiß. Ein Wissenschaftler, der Gehirne untersucht, würde von ihnen nichts bemerken. Er würde nur ein geordnetes Weiterverarbeiten von neuronalen Vorgängen aller Art feststellen. Auch das Beobachten von menschlichem Verhalten hilft da grundsätzlich nicht. Und dass andere Individuen ebenfalls in ihrer Innenperspektive das Aufscheinen von Bedeutungen erleben, erfahre ich angeblich über die Sprache. Diese ist jedoch auch nur ein naturwissenschaftlich im Prinzip verständliches menschliches Verhalten, bei dem eine neurowissenschaftliche Untersuchung keinerlei Hinweise auf "Bedeutungen" liefern kann, aber das, wenn ich es über mein Gehör "beobachte", bei mir eine unmittelbar erlebte Bedeutung gewinnt.

Die obige Annahme 1 steht dazu im Widerspruch. Sie fußt auf der Tatsache, dass menschliche Gehirne mitsamt den zugehörigen Körpern, naturwissenschaftlich feststellbar, einander sehr ähnlich sind (soweit ist das richtig), und darauf aufbauend, auf der Idee, dass die Bedeutungen mit bestimmten neurophysiologischen und -anatomischen Umständen so verbunden sind, dass man sie als Eigenschaften dieser Umstände auffassen kann, die dann natürlich in jedem geeignet ausgestatteten Gehirn vorhanden sind.

Da nun aber "Bedeutungen" keine Elemente der Naturwissenschaft sind, kann man diesen letzten Schluß nicht ziehen. Vielmehr bleibt nur, was ich als Faktum unmittelbar erlebe, nämlich dass in mir derartige Bedeutungen aufscheinen. Dass dies so sei, erkennen wohl alle Gelehrten und auch ich an. Nur, so meinen sie (ich aber nicht), soll die Sprache es ermöglichen, dieser auf mich beschränkten Situation abzuhelfen im Sinne obiger Annahmen: Ein anderer Mensch könne mir ja einfach sagen, dass er ebenso diesen vor uns beiden liegenden Apfel wahrnimmt wie ich. Nach Ansicht der meisten Gelehrten wäre damit gezeigt, oder zumindest läge es nahe, dass ein anderer Mensch ebenso "Bedeutungen" erlebt. Auf diese Weise gelänge man zu der Auffassung, dass der andere Mensch ein ebensolches Bewusstsein hat wie ich. Daran anknüpfend, kann der Apfel als "objektive" Entität gelten, weil er von jedem Menschen unter geeigneten Umständen als vorhanden erkannt werden kann, und sogar kann er als existierend angenommen werden ganz unabhängig von der Existenz von Menschen überhaupt. Es sei nochmals betont, dass reine Verhaltensbeobachtungen (visuell gesteuert vermeidet man normalerweise, an Türrahmen zu stoßen, was von einem Wissenschaftler beobachtet werden kann) derartige Schlussfolgerungen grundsätzlich nicht erlauben, weil die Erzeugung eines jeden Verhaltens (auch sprachlicher Luftdruckwellen) im Prinzip - wenn auch zumeist nicht in der Praxis - naturwissenschaftlich verständlich ist, d.h. dafür ist es nicht erforderlich, anzunehmen, dass physiologische Prozesse für das Individuum selbst etwas bedeuten.

Soweit mal die hoffentlich zutreffend wiedergegebene Ansicht der meisten Gelehrten. Aber auch diese bedarf noch weiterer Klärungen, nämlich inwieweit die bei einer Wahrnehmung phänomenal aufscheinende Bedeutung "Apfel" von derselben Natur ist wie wenn ich jemanden "Apfel" sagen höre. Und schließlich muss man überlegen, auf welchen Füßen denn die der Naturwissenschaft zugrundeliegende Idee der Objektivität denn nun ruht.



zur 27/28. Woche 2011

Muttersprache und Bedeutung

Eigentlich wollte ich, beginnend mit dem Hirnbrief 3/4 (2011) irgendwie erkennbar werden lassen, dass das neurophysiologisch bei Affen und Menschen feststellbare visuelle Subsystem ("Was"-System) eher ein Kandidat ist, etwas mit dem Bewusstsein zu tun zu haben als das "Wie"-System. Vielleicht ist die Benennung "Was" voreilig vergeben worden, denn mit "was" fragt man nach Gegenständen, und das Konzept des Gegenstandes ist so ohne weiteres auf einem rein neurophysiologischen Niveau nicht feststellbar, im Gegensatz zu "wie", womit man nach dem naturwissenschaftlich verständlichen Funktionieren eines Geräts oder eines Organs fragt.

Von dort aus kommt man zum Problem der Unterscheidung von subjektiven und objektiven phänomenalen Vorgängen, dann zum Beitrag der Sprache hierzu.

Ein "gewöhnlicher" Lernvorgang ist im Prinzip vollständig verständlich im Rahmen klassischer Naturwissenschaft: Sinnessignale gelangen ins Gehirn und erzeugen, zumeist unter Beteiligung sensomotorischer Rückkopplung, einen muskulär erzeugten Verhaltensvorgang, wobei die beteiligten synaptischen Verbindungen um so mehr verfestigt werden, je erfolgreicher der Vorgang war. Im allgemeinen handelt es sich um die z.T. erhebliche Veränderung von bereits vorhandenen schwächeren Verbindungen. Auch können Reaktionen zur Vermeidung unangenehmer Erfahrungen gelernt werden. Zumeist sind mehrere Wiederholungen erforderlich, aber vor allem in Fällen großer Schäden (zB. einer Verbrennung) genügen auch einmalige Vorgänge. Die Annahme, dass die beteiligten neuronalen Prozesse etwas
bedeuten, ist nicht erforderlich, und gehört nicht in den Bereich der Naturwissenschaft.

Auch beim Erlernen der Muttersprache wird neuronal nichts anderes passieren. Eine von einer Person ausgesandte strukturierte Luftdruckwelle kann vom Kleinkind gehört werden, und ein Lernvorgang in der Papageienkopplung kann nach bekannten neurotechnischen Verfahren so eingerichtet werden, dass das Kind die Motorsignale erlernt für die Produktion einer hinreichend ähnlichen Luftdruckabfolge.

Die Arbeitsprinzipien neuronaler Prozeduren enthalten auch die Möglichkeit der Erleichterung oder Erschwerung der Erzeugung bestimmter Erregungsmuster. Wenn ein Tier verletzt wird, können von der verletzten Stelle ausgehende neuronale Signale die Auslösung eines Schreies erleichtern. Der Schrei muss nicht unbedingt ausgestoßen werden, aber er wird wahrscheinlicher. So könnte auch ein hungernder Erwachsener, der ja die Sprache beherrscht, vermehrt bestimmte mit Nahrung zusammenhängende Luftdruckfolgen aussenden, und das ebenfalls hungernde Kleinkind stellt einen neuronalen Zusammenhang zwischen diesen Druckfolgen und der neuronalen Erregungssituation "Hunger" her, so dass es dann ebenfalls diese Druckfolgen im Fall von Hunger aussenden kann. Auch ist denkbar, dass das satte Kind die entsprechenden Schallsignale von einer anderen Person erkennt, und erlernt, Nahrung zu geben.

All dieses ist die normale naturwissenschaftlich begründete Beschreibung des Funktionierens eines Organs. Bedeutungen neuronaler Prozesse kommen nicht vor. Der Begriff "Hunger" wird zwar zur Vereinfachung und Zusammenfassung der Beschreibung der Vorgänge vom beobachtenden Neurowissenschaftler benutzt, aber es gibt keine wissenschaftlichen Prinzipien, nach denen der Begriff von dem betreffenden Gehirn selbst "produziert" wird, oder er sonst irgendwie entsteht. Bereits das Verb "produzieren" ist in diesem Zusammenhang fragwürdig. Für den Betrieb des Organs "Gehirn" ist es nur wichtig, dass alle physiologischen Prozesse auch im Fall von Hunger richtig koordiniert ablaufen.

Der beobachtende Neurowissenschaftler bemerkt jedoch, dass die muttersprachlichen Bedeutungen, die er selbst benutzt, reproduzierbar mit dem Aufbau der sprachlichen Luftdruckwellen zusammenhängen: Wellen, die nach naturwissenschaftlichen Prinzipien (nach einigen Standard-Umrechnungen wie Frauen-/Männerstimme) als ähnlich erkennbar sind, haben für ihn die gleiche Bedeutung, egal von welcher Person sie ausgesendet wurden, wenn man von Feinheiten der voll ausgebildeten Sprache absieht. Das ist hingegen nicht der Fall, wenn er die neuronalen Erregungen in den zugehörigen Sendergehirnen vergleicht; die Luftdruckwelle wird in jedem Sendergehirn von einer anderen neuronalen Erregungsverteilung erzeugt. Dasselbe gilt für die von der gleichen Welle ausgelösten neuronalen Erregungsmuster im Hörbereich.

Dies ist keineswegs eine naturwissenschaftliche Begründung für das Auftreten von Bedeutungen, aber es ist einer der Punkte, die es zusammenzutragen gilt.

Eine Besonderheit der geschilderten Situation ist, dass die Papageienkopplung mit einer genügend großen Auswahl von selbstproduzierten Testlauten komplett eingerichtet werden kann. Das liegt zum einen daran, dass die Luft schon vorhanden ist, und diese beim Sprechen physikalisch nur zu Wellen umgeformt werden muss, und zum anderen liegt der größte Teil der Gesamtstruktur in der zeitlichen Abfolge. Weitere physikalische Paramenter, wie etwa die Luftfeuchtigkeit, spielen weder beim Aussenden noch beim Empfangen von Sprache eine Rolle. Aufgrund dieser Besonderheiten kann über die fertig eingerichtete Papageienkopplung ermittelt werden, wie der eigene Kehlkopf motorisch angesteuert werden muss, um eine nie zuvor gehörte Lautfolge eines fremden Sprechers zu reproduzieren.

Entsprechendes ist keineswegs für jede sensomotorische Rückkopplung gegeben: Wenn ich einen Apfel hochhebe, dann sind im visuellen Teil der Rückkopplungsschleife viele weitere Details wie etwa die Farbe sichtbar, die im motorischen Teil keine Rolle spielen. Es ist deshalb unmöglich, eine Auswahl von Testsituationen für die visuomotorische Handsteuerung bereitzustellen, mit der man dann eine unbekannte visuelle Situation in eine Handsteuerung umsetzen kann, die dann diese visuelle Situation reproduziert. Vor allem entscheidend ist dabei, dass man motorisch keinen Apfel erzeugen
kann, wohingegen die Luft beim Sprechen nicht erzeugt werden muss.

Hier erscheinen nun Aspekte, die weiterverfolgt werden müssen, nämlich erstens dass die Papageienkopplung funktionell als ein rein hirninterner Vorgang erscheint, und demzufolge im Neurokosmos-Konzept (Hirnbriefe 21 und 32;2009, 43/44;2010) untergebracht werden kann, andererseits aber ahnen läßt, wie mit Spontanaktivitäten umgegangen wird, die zu erwarten sind, wenn der Neurokosmos "undicht" wird. Zweitens ahnt man die Entstehung der gedanklichen Schiene (vielleicht hilfreich für den Zusammenhang mit dem "Was"-System), dass ein Apfel (oder ein jeder Gegenstand) doch tunlichst als schon immer vorhanden angenommen werden kann, weil er ja durch den motorischen Teil einer Rückkopplungsschleife nicht erzeugt werden kann. Aber vielleicht könnte der motorische Akt "zum Apfel hingehen"  ihn "neuronal erzeugen". Drittens muss das Spiegelneuron-System der Affen genauer betrachtet werden, weil ja für die leere, unbelastete Hand eine ähnliche Kopplung existiert wie die Papageienkopplung bei der Sprache (siehe Hirnbrief 31;2009).

zur 25/26. Woche 2011

Sprache: naturwissenschaftlicher Teil A

Es ist besonders schwierig, mit der Rolle der Sprache zurechtzukommen. Wie es scheint, brauche ich einen Abgleich mit anderen Individuen mit Hilfe der Sprache, um imstande zu sein, bestimmte Vorgänge, die auf dem phänomenalen Niveau meines Bewusstseins aufscheinen, als "objektiv" aufzufassen. Auf diesen baut dann die Naturwissenschaft auf.

Die unvermeidliche Zirkularität der Argumentation wird jetzt besonders deutlich, weil ich umgekehrt zunächst von der Naturwissenschaft ausgehe, und den in deren Rahmen erfassbaren Teil der Sprache beschreibe, d.h. die Bedeutung des Gesprochenen kommt nicht vor:

Im Gehirn eines Menschen entsteht eine sprechmotorische Erregung (die Schritte davor werden jetzt nicht betrachtet), die eine Schallfolge auslöst. Seit man ein Kind ist, richtet man seine Sprechmotorik aus an dem, was man von seinem Gesprochenen selber hört, so dass man dann im Prinzip aus einer sprechmotorischen Erregungsverteilung neuronal "berechnen" könnte, wie das Gesprochene sich anhört ("Papageienkopplung"). Diese Kopplung wird in jedem Individuum getrennt eingerichtet, und eventuell schon etwas eingeschränkt auf Schallfolgen, die zu Wörtern der Muttersprache gehören, die man von anderen Personen hört.

Da es dem Gehirn vermutlich egal ist, ob eine Verbindung mit Hilfe von Neuronen oder anderswie zustandekommt, kann man die Kopplung zwischen sprechmotorischen Neuronen und denjenigen, die für das Hören von Sprache im selben Gehirn zuständig sind, als eine "scheinneuronale" Verbindung ansehen, die aber in Wirklichkeit über die Sprechmuskeln, die Luft, das Trommelfell und die Hör-Sinneszellen hergestellt wird. Diese Verbindungskette ersetzt damit synaptische Verbindungen, die ja ebensogut direkt innerhalb des Gehirns vorhanden sein könnten. Ein Unterschied mag sein, dass der durch die Außenwelt gehende Teil der Kette nicht die normale neuronale Plastizität aufweist.

Sensomotorische Rückkopplungen gibt es ja in vielerlei Zusammenhängen. An der Sprechrückkopplung ist bemerkenswert, dass sie auf dem Wege durch die Außenwelt praktisch keinerlei Deformationen erfährt, im Gegensatz etwa zu einer visuomotorischen Rückkopplung beim Ansteuern der Handmuskeln, wenn man einen Gegenstand hochhebt. Was man dabei sieht, hängt ja nicht nur von den Motorkommandos ab, sondern auch von den physikalischen Eigenschaften (Größe, Gewicht, Geschwindigkeit) des Gegenstandes. Der Zweck einer sensomotorischen Rückkopplung ist ja normalerweise gerade, aus diesen sehr vielfältigen Deformationen auf Außenwelteigenschaften zu schließen und richtig auf sie zu reagieren. Von derartigen Außenwelteinflüssen ist die Sprechrückkopplung jedoch praktisch frei, bis auf eine allgemeine entfernungsabhängige Abschwächung, die sich "neuro-rechnerisch" gut korrigieren lässt. Man kann auch umgekehrt sagen, dass man per Sprechmotorik nicht in variabler Weise auf die Außenwelt einwirken will, beispielsweise um die Luft zu erwärmen oder zu bewegen.

Das Besondere ist nun, dass auf diese Weise zugleich eine scheinneuronale, zeitlich hochstrukturierte Verbindung zu anderen, eventuell tausenden von Gehirnen hergestellt werden kann, und zwar instantan, ganz im Gegensatz zu echten neuronalen Verbindungen, die immer eine gewisse Zeit brauchen, um sich herauszubilden. Jedoch ist es, im Vergleich zu neuronalen Verbindungen, ein sehr schmaler Kanal. Wie schmal er tatsächlich ist, bemerkt man erst an der geringen Zahl von erforderlichen Bits, wenn man die Sprache mit nur wenig Verlusten in Buchstaben übersetzt. Reichhaltigkeit kann nur über die zeitliche Abfolge übermittelt werden. Aber wie will man denn damit das Fallen eines Apfels vom Baum beschreiben, das weniger als hundert Millisekunden dauert, ohne zugleich zu verlangen, dass ein Vorgang zur Zeit t2 einen Vorgang zur viel früheren Zeit t1 bedeutet? Wollte man die Finger mit derartigen Signalen sequentiell ansteuern, um etwa eine Schleife am Schuh zu binden, dann würde dieser Vorgang, wenn er überhaupt gelingt, sicherlich stundenlang dauern.

Man ahnt schon, dass es Probleme mit dem zeitlichen Verlauf von Vorgängen geben wird, noch bevor überhaupt von "Bedeutung" des Gesprochenen die Rede ist: der schmale Übertragungskanal ist so langsam, dass er mit vielen wichtigen Alltagsvorgängen zeitlich nicht Schritt halten kann. Aber in den Hirnbriefen 17 und 31 (2009) habe ich ja schon angekündigt, dass ein wesentlicher Schritt "vom Affen zum Menschen" der Umgang mit der Zeit ist. Die nächste Frage ist, wie man denn den Vorgang des Erlernens der Muttersprache einordnen soll: Da passieren neuronale Lernvorgänge, aber was ich davon kenne, nämlich die Muttersprache, liegt in Form von "Bedeutungen" auf dem phänomenalen Niveau meines Bewusstseins vor. Naturwissenschaftliche Regeln für das gezielte Erlernen von bestimmten phänomenalen Gehalten sind jedoch nicht bekannt. Mal sehen, wie man damit zurechtkommt.

zur 23/24. Woche 2011

Subjektivität und Objektivität


Auf der Grundlage gewöhnlicher Naturwissenschaft weise ich die Idee zurück, dass das Bewusstsein als Naturerscheinung objektiv feststellbar sei, und nur seine Inhalte seien subjektiv. Vielmehr vertrete ich (auch schon in allen früheren Hirnbriefen) die gedanklich sehr lästige Ansicht, dass das Bewusstsein als Ganzes total subjektiv ist, so dass es nur mein Bewusstsein gibt. An anderen Menschen kann ich nur ihr Verhalten beobachten, wie ich das auch an einer Ratte tun kann. Sprachliche Äußerungen anderer Menschen sind, naturwissenschaftlich gesehen, nur Luftdruckwellen. Sowohl von mir ausgesandte als auch empfangene Sprachsignale haben für mich eine Bedeutung, und mit "Bedeutung haben" meine ich ein Aufscheinen auf dem phänomenalen Niveau meines Bewusstseins. Andere Menschen sind für mich nur naturwissenschaftlich erfassbare Entitäten, die eine physiologische Aktivität in ihren Gehirnen zeigen, sowie ein Verhalten, das auch das Aussenden von Luftdruckwellen umfasst, oder auch Reaktionen auf den Empfang von solchen Wellen. Dass sie ein Bewusstsein haben, d.h. dass es in ihnen zu einem phänomenalen Aufscheinen kommt, kann ich nicht erkennen.

Hingegen wird von den meisten Gelehrten angenommen*, dass man aus dem Inhalt (d.h. der Bedeutung) sprachlicher Mitteilungen anderer Personen, oder aber aus der allgemeinen anatomischen und physiologischen Ähnlichkeit aller Menschen schließen könne, dass andere Menschen ebenfalls ein Bewusstsein hätten.

Daraus ergibt sich das Problem, dass ich auch dann einen Abgleich zwischen meiner Weltsicht und derjenigen von Mitmenschen benötige, wenn ich einen Naturvorgang als objektiv erkennbar auffassen will. Dieser Abgleich kann mir eigentlich nur über die Sprache zufließen. Es sieht also so aus, dass die von mir eingenommene Position zugleich unmöglich machte, Objektivität und Subjektivität einander gegenüberszustellen. Dass ich hier überhaupt einem Leser etwas über das Bewusstsein mitteilen kann, scheint den Standpunkt der meisten Gelehrten zu stützen.

Nun wird jedoch eine jede Argumentation zirkulär, sobald sie  Naturwissenschaft und Bewusstsein gemeinsam umfasst, denn unbewusst kann man keine Naturwissenschaft betreiben. In einer solchen Situation kann man nur versuchen, verschiedene Standpunkte einzunehmen, und dabei Regelhaftigkeiten herauszufinden.

Wohlgemerkt weiß ich im Moment noch nicht, worauf die Argumentation, die ich nun entwickeln will, hinauslaufen wird.

Es handelt sich bei der Unterscheidung zwischen "subjektiv" und "objektiv" nicht um naturwissenschaftliche Beziehungen wie etwa die Beziehungen zwischen elektrischer Ladung, Bewegung und Magnetfeld, sondern es geht um das Fundament der Naturwissenschaft, welches natürlich nicht zugleich ein Teil der Inhalte der Naturwissenschaft sein kann. Alles, was ich mit "Wissen" bezeichne, und damit auch die von der Naturwissenschaft erfassten Inhalte, befindet sich auf dem phänomenalen Niveau meines Bewusstseins (und gemäß der Behauptung * auch auf demjenigen anderer Personen), und nur dort gibt es auch "Bedeutungen". Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass die Unterscheidung "subjektiv/objektiv" sich nicht auf einem neurophysiologischen Niveau finden lässt, wo es grundsätzlich keinerlei Bedeutungen gibt, und somit auch nicht die Bedeutung, dass irgendetwas objektiv oder subjektiv sei.

Mit "Anese" meine ich jemanden, der nur die Fremdsprache "Anesisch" beherrscht, die ich nicht beherrsche. Aber ich kann den Schall des Gesprochenen hören.

Als erstes betrachte ich einen Wissenschaftler, der das Verhalten zweier Anesen und deren Gehirnaktivität bis ins Detail untersucht. Er beherrscht Anesisch nicht. Er will wissen, ob die beiden einen Unterschied zwischen "objektiv" (d.h. von beiden ähnlich aufgefasst) und "subjektiv" machen können. ("Ich" kommt vorerst nicht vor.) Ähnliche Erregungen in beiden Köpfen, wenn beide denselben Apfel anschauen, können nicht dazu dienen, denn die beiden Leute wissen ja nicht, dass ihre Hirnerregungen sich ähneln. Sie könnten durchaus beide, ein jeder für sich, den Apfel als eine irgendwie subjektive Erscheinung auffassen. Dass sich die beiden über den Apfel per Sprache verständigen, oder dass sie beim Erlernen ihrer Sprache Objektivitätskonzepte miterlernt haben, kann der Wissenschaftler nicht feststellen. Aus ähnlichem Verhalten im Zusammenhang mit dem Apfel kann man nur schließen, dass ein jeder für sich ähnlich reagiert, aber nicht, dass der eine vom anderen weiß, dass er den Apfel so auffasst wie er selbst es tut. Schließlich können sich ja auch zwei Bäume ähnlich "verhalten" (d.h. reagieren), wenn Sonnenlicht einfällt. Das heißt noch lange nicht, dass die Bäume "wissen", dass die Reaktion auf Sonnenlicht ein objektives Faktum ist.

Jetzt bin ich einer der zwei Personen, und der andere ist ein Anese, dessen Sprache ich also nicht verstehe. Nun erscheinen auf dem phänomenalen Niveau meines Bewusstseins verschiedene Betrachtungen zum Verhalten des Anesen. Ich kann beobachten, dass er etwas tut, was ich auch täte, und ich kenne die Gründe dafür. All dies reicht aber nicht, um irgendetwas als "objektiv" zu bezeichnen, weil dazu die Losgelöstheit von überhaupt einer jeden Person gehört. Der Apfel, und mit ihm die ganze Welt, soll existieren, egal ob ich oder der andere, oder auch niemand ihn beobachtet.

Nun passiert so etwas Ähnliches ja bereits in mir ganz allein, wenn ich nämlich phänomenal die Dauerhaftigkeit nahezu eines jeden Gegenstandes feststelle, obwohl ich ihn gar nicht ständig sinnesmäßig erfasse, und die Neurone ihn nicht ständig "signalisieren". Phänomenal entsteht in mir die Vorstellung von einer Art "Existenz des Gegenstandes auf der Zeitachse" unabhängig von meinen physiologischen Zuständen, aber dieser Typ von "Existenz" könnte ja immer noch subjektiv sein, d.h. auf den Zusammenhang mit mir angewiesen sein.

Es scheint nun erneut so, als ob der Unterschied "subjektiv/objektiv" sich nur mit Hilfe der Sprache dingfest machen lässt. Dazu muss ich also nochmals einen Anlauf machen, um die Rolle der Sprache zu klären. Das ist ja schon einmal (Hirnbrief 5/6, 2011) schiefgegangen; ich werde es demnächst mal anders probieren.

zur 21/22. Woche 2011

Prozeduren-Hintergrund 2

Weiter geht es über die Aufteilung der neuronalen visuellen Verarbeitung in einen "Wie"- und einen "Was"-Zweig, wobei sich an die Verarbeitungsergebnisse des letzteren dann manchmal eine motorische Aktivität anschließt. Bleibt man wie im letzten Hirnbrief beim Beispiel "Kirschen pflücken", dann wäre immerhin denkbar, dass im Lauf der Entwicklungsgeschichte hin zu den Primaten der sensorische und der motorische Teil der Prozedur "Kirschen pflücken" getrennt werden, d.h. im sensorischen Teil werden Kirschen vorerst nur (rein neuronal) erkannt. Das ergibt nur einen Sinn, wenn die Ergebnisse dieser Erkennung wirklich für viele verschiedene motorische Aktivitäten gebraucht werden, und nicht nur für die eine nächstliegende, nämlich etwas zu tun, um sie essen zu können. Für "Pflücken" gäbe es schon eine allgemeine Prozedur. Das sensorische Kirschen-Erkennungsnetzwerk muss dann mit individuell für die Kombination "Kirschen pflücken" gestalteten Verknüpfungen auf die motorische Prozedur "pflücken" einwirken. All dies ist neurotechnisch machbar nach gegenwärtigem Kenntnisstand der Neurowissenschaft. Vielleicht wäre eine Nadel ein besseres Beispiel als eine Kirsche für ein Objekt, das in sehr vielen Prozeduren vorkommt (Kirschwasser reicht da wohl nicht). Aber vorerst bleiben wir bei der Kirsche.

Das ältere Verfahren enthält keine Trennung; Kirschen werden im Rahmen einer Gesamtprozedur erkannt und gepflückt. Solch ein System ist durchaus leistungs- und auch lernfähig; auch kann es unter entsprechenden Umständen erweitert werden, in der Dämmerung und schließlich auch im Dunkeln Kirschen zu ertasten, sofern man ein geeignetes Greiforgan hat.

Bei den Primaten haben die Neurowissenschaftler den einen sensorischen Zweig voreilig schon mit "Was" bezeichnet, und damit auf den Begriff des Gegenstandes bezogen, obwohl die neuronale Aktivität in diesem Zweig eine deutliche Zeitstruktur im Bereich von Sekundenbruchteilen hat, wohingegen ein richtiger Gegenstand zunächst mal zeitkonstant ist, oder zumindest, wie eine Kirsche, längere Zeit existiert. In dieser Form taucht das Gegenstandskonzept jedenfalls auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins auf. Ich gehe davon aus, dass dem ein Prototyp-Verfahren zugrundeliegt, das zwar naturwissenschaftlich unverständlich bleibt, aber das ähnlich dem ZIP-Datenkompressionsverfahren (siehe Hirnbrief 52;2009) arbeitet. Man sieht da "alte Sachen", d.h. wenn eine bestimmte Kirsche neuronal ungefähr als Kirsche erkannt wird, dann erscheint auf dem phänomenalen Niveau nicht das Ergebnis dieser neuronalen Analyse (das nämlich extrem sparsam gehalten wird), sondern man nimmt einen früher einmal gebildeten Prototyp wahr, der deshalb auch über lange Zeit als konstant erscheinen kann. (Die Prototypgeschichte ist ebenfalls kompliziert, denn man nimmt nicht eine stereotype Kirsche wahr, sondern es gibt Unter-Prototypen für Detailvarianten.) Wohlgemerkt handelt es sich dabei nicht um einen Gedächtnisabruf. Vielmehr ist irgendwie unverständlicherweise der phänomenale Zeitbegriff zusammen mit den sonstigen phänomenalen Gehalten derart organisiert, dass sich die übliche wohlbekannte Art der Gesamtwahrnehmung ergibt, mit einer Vielzahl zeitkonstanter Gegenstände. (Ich hoffe, dass sich dieses Riesenproblem später einmal einer Klärung näherbringen läßt entsprechend dem Neurokosmos-Denkprogramm im Hirnbrief 21;2009. Ein sehr enger Zusammenhang zwischen dem phänomenalen Zeitbegriff und der Subjektivität liegt nahe. Wer da skeptisch ist, sollte auch den Hirnbrief 49/50;2010 lesen. Im Moment passt das freilich alles noch nicht richtig zusammen.) Hierum geht es jetzt jedoch nicht, sondern nur um den kleineren Punkt, dass nämlich der "Was"-Zweig irgendwie mit der bewussten Wahrnehmung von Gegenständen zu tun haben könnte, nicht aber sowohl der alte kombinierte "Wie"-Zweig, als auch die sich an die Tätigkeit des Was-Zweigs anschließende motorische Aktivität.

Was für einen Grund könnte es denn für diesen Punkt geben? Leider stelle ich die Frage (mit kleinen Abwandlungen) ohne befriedigende Antwort schon zum wiederholten Mal. Lassen sich Hinweise finden beim Management von Unterbrechungen von Prozeduren (11/12 und 15/16;2011)? Kann man die Aufteilung der älteren Prozedur "Kirschen pflücken" in einen sensorischen und einen motorischen Teil als Unterbrechung deuten? Es wird nun zunehmend schwierig, Hirnbriefe in kleinen Abschnitten zu schreiben, weil zwei Denkschienen zusammenkommen: Einerseits habe ich in den Hirnbriefen 45/46 (2010) und folgenden über den Zusammenhang zwischen den Erregungen visueller Neurone und der Wahrnehmung geschrieben. Da gab es Perioden von wahrgenommener Konstanz, wobei konstante Reize nicht Millisekunde für Millisekunde neuronal signalisiert werden, sondern die Neurone tun irgendetwas anderes, was aber nicht zur Wahrnehmung der konstanten Perioden beiträgt. Vielmehr wird nur zu Beginn einer solchen Periode der Reiz durch die neuronale Aktivität phänomenal charakterisiert, während anschließend die Regel gilt "Der anfängliche phänomenale Eindruck bleibt so lange weiter bestehen, bis eine Änderungsmeldung eingeht". Wie eine zugrundeliegende neuronale Prozedur in einem solchen Fall nun wirklich aussieht, habe ich bisher nicht im Einzelnen erörtert.

Andererseits wurde im Hirnbrief 42/43 (2009) das Problem möglicher Unterbrechungen längerdauernder neuronaler Prozeduren angesprochen. Wenn schon viel geleistet wurde, sollte eine Prozedur nicht wieder von vorn angefangen, sondern fortgesetzt werden. Hier lauert das Problem, dass eine zeitliche Lücke  nicht zur Prozedur gehört, vielmehr bleibt eine bestimmte Prozedur grundsätzlich dieselbe, egal ob sie unterbrochen wurde oder nicht.

Diese beiden Schienen müssen nun zusammengeführt werden, aber das ist nicht alles. Der große Fehler anderer Gelehrter, die Subjektivität auszuklammern, sobald das Stichwort "Neuron" auftaucht, soll hier nicht begangen werden. Ich sehe keinen anderen Zugang zur Subjektivität als den Neurokosmos (Hirnbrief 21;2009), und es stellt sich die Frage, ob in einem hypothetischen vollständig abgeschlossenen neuronalen Netz, das da vor sich hinbrodelt, auch Vorgänge vorkommen können, die als Unterbrechungen oder auch als Wiederholungen aufgefasst werden können.

Niemand sonst will sich mit diesem freilich biologisch sinnlosen Grenzfall befassen, und obendrein muss ich mich noch herumstreiten mit anderen Gelehrten und deren verwässerten Subjektivitätsbegriff, bei dem nicht nur ich, sondern mit allergrößter Selbstverständlichkeit jeder physische Mensch "aus seiner Sicht" ein Bewusstsein habe. Dass das phänomenale "ich" nicht in der physikalischen Welt herumtransportiert werden kann, um "seine Sicht" zu erzeugen, scheint ihnen nicht einzuleuchten, weil sie ja doch ohne einen kleinen Grundbestand von vertrauten Alltagszusammenhängen nicht auskommen, und deshalb das Bewusstsein als eine Art objektivierbare Eigenschaft des Gehirns (und damit eines jeden Gehirns) auffassen möchten. Kein Wunder, dass die Bewusstseinsforschung so nicht vorankommt.

zur 19/20. Woche 2011

Prozeduren-Hintergrund Procedures: background

Dieser Brief ist eine teilweise Fortsetzung von den Briefen 3/4 und 15/16 (2011). Mit der Frage "Was?" erkundigt man sich nach Gegenständen. Um diese scheint es im "Was"-Zweig der visuellen Verarbeitung im Primatengehirn zu gehen. Wie aber kommt man von der naturwissenschaftlich verständlichen neuronalen Prozedur zum Konzept des Gegenstandes?

Eigentlich ist die gesamte lebenslange Hirntätigkeit eine einzige allumfassende Prozedur: neuronale Erregungen werden immer angestoßen von anderen solchen Erregungen (in den allermeisten Fällen) aus dem Inneren oder (in viel selteneren Fällen) von Sinneseingängen, und es entstehen motorische Ausgangssignale und/oder Gedächtnisdepots in Form von Verknüpfungsveränderungen, die dann wiederum den ganzen Ablauf lenken. Viele Sinnes-Eingangssignale sind Rückmeldungen von eigener Motorik.

Man möchte aber gern Teilprozeduren, wie zB. "Kirschen pflücken" in dieser Gesamtprozedur betrachten. Was da als wohldefinierte Teilprozedur, und was als Unterbrechung gelten kann, ist jedoch zunächst nicht definiert. Vielmehr ist alles eine Häufigkeitsfrage: "Kirschen pflücken" ist nur deswegen eine wohldefinierte Teilprozedur, weil diese Aktion nicht nur ein einziges Mal ausgeführt wird. Sie sollte beginnen mit einer sensorischen, zumeist visuellen (wohlgemerkt rein neuronalen) Erkennung von einer Vielzahl perspektivisch unterschiedlicher, teilweise verdeckter Anblicke von Kirschen, und danach sich verzweigen auf die unterschiedlichen Muskelansteuerungen, die für das Ergreifen einer jeden einzelnen Kirsche erforderlich sind. Die ersten/letzten Schritte werden geteilt mit Erkennungen/Ergreifungen anderer Gegenstände. Die spezifische Aktivität "Kirschen pflücken" besteht im besonders häufigen Auftreten von bestimmten Kombinationen des vorderen und des hinteren Zweiges.

Was ist denn daran "die Kirsche"? Diesen Begriff bildet man auf der phänomenalen Ebene des Bewusstseins, wo er weder eine eingebaute zeitliche Entwicklung hat, noch hängt er phänomenal von vornherein mit Prozeduren zusammen, die sich ja stets in der Zeit entwickeln. Deshalb kann für den Begriff selbst keine Prozedur zuständig sein. Gelehrte haben zu diesem Thema vorgebracht, dass die Fähigkeit, auch eine visuell teilweise verdeckte Kirsche als Kirsche erkennen zu können, auf dem kompletten "Zünden" eines definierten Teilnetzwerks "Kirsche" beruhe, wenn nur ein Teil der Neurone dieses Netzwerks visuell erregt werde. Auch dieses wäre eine Prozedur. Das Zeitproblem wird jedoch damit nicht geklärt, denn ein solches Netzwerk bleibt vielleicht einige hunderte von Millisekunden gezündet, so dass man bestenfalls eine "Außenwelt-Kirsche moduliert durch den neuronalen Zeitverlauf im Beobachter" erhielte (sofern man bereit ist, weitere Einwände zu ignorieren). Bleibt man dennoch auf dieser gedanklichen Schiene, dann wäre es sicherlich noch schöner, wenn man nicht nur eine Teilprozedur "Kirsche", sondern auch noch eine Teilprozedur "pflücken" hätte, die irgendwie ineinander verwoben sein müßten.

"Pflücken" ist allerdings bereits eine Prozedur, die lediglich weiter gefasst ist als "Kirschen pflücken". So gesehen, erscheint "die Kirsche" als eine Einschränkung der Prozedur "Pflücken". Sie müßte dann jedoch auch noch als Einschränkung zahlreicher anderer Prozeduren erscheinen, wie zB. "Kirschen essen" als Spezialfall von "essen", aber auch schon "Kirschen erkennen und daraufhin nichts tun".

Es wäre ja durchaus denkbar, dass die obengenannte "Zündungs"-Kirschenprozedur gemeinsam mit der Prozedur "Pflücken" aktiviert werden muss, damit erstere die notwendigen Einschränkungen des allgemeinen Pflückens bewirkt. Kann es denn aber auch sein, dass jene immer wieder gleiche Kirschenprozedur genau die notwendigen Einschränkungen auch noch für weitere, ganz anders geartete Prozeduren liefert? Kann das über einen neuronalen Lernprozess laufen?

Die Fragen ufern jetzt aus. Eigentlich ist nichts vorangekommen, obwohl ich mich 5 Wochen lang um Klärungen bemüht habe. Welches ist die Rolle der Unterbrechung von Prozeduren, zeitlich, aber auch räumlich? Wie vollzieht sich eine Unterbrechung neuronal? Wie hängt all dieses mit der "Was-Wie"-Aufspaltung, mit der Entstehung des Objektkonzepts und mit den Spiegelneuronen zusammen? Warum ist ein Gegenstand im Wesentlichen ein sensorisches Konzept?

Ich bin nicht gut gelaunt, weil es nicht vorangeht.



Procedures: Background
This letter is a partial continuation of brain letters 3/4 and 15/16 (2011). By the question "what" one asks for objects. Objects seem to be the matter of the "what"-branch of visual processing in the primate brain. How can one get from the neuronal procedure (which can be scientifically understood) to the phenomenal concept of the object?

In fact the entire lifelong brain activity is one huge, all-embracing neuronal procedure: neuronal excitations are always triggered by other such excitations mostly from inside the brain or much more rarely by sensory inputs. Motor outputs and/or deposits of memory (modifications of connectivity) are generated, and the connectivity guides the entire flow. Many sensory inputs are feedbacks from own motor acts.

Obviously one wants to consider parts of that huge procedure, such as "to pluck cherries". However, a priori the delimitations of such a procedure, in terms of connections, and also on the time axis ("interruption", "end of processing") are not clearly defined. It is a question of frequency of occurrence: to pluck cherries is only a rather well-defined procedure because it is not carried out only once. Typically it will begin with a sensory, often visual recognition of many partially occluded views under different perspectives. ("Recognition" is meant to be a purely neuronal process without perception.) Then it will ramify to excite the various muscles which are required for the grasping of every single cherry. The first/last steps are shared by recognitions/graspings of other objects. The specific activity "to pluck cherries" consists of a particularly frequent occurrence of certain combinations of the earlier and the later branch.

What is a "cherry" in this story? This concept is formed on the phenomenal level of consciousness where it is devoid of any temporal evolution, and phenomenally unrelated to any procedure (which always evolve in time). Therefore, a procedure cannot directly be responsible for that phenomenal concept. Scholars have suggested that the ability to recognise a partly occluded cherry is based on a special "cherry"-network in which an incomplete view of a cherry can completely "ignite" that network. This also would be a neuronal procedure. It does not contribute to the clarification of the time problem because it may perhaps remain ignited for some hundreds of milliseconds. One obtains a kind of "outer-world cherry modulated by the neuronal time course in the observer" (if one is willing to ignore further objections). Yet, if one remains on that track, it would be more satisfactory if there was not only a procedure for "cherry" but also a procedure for "to pluck", and these two would somehow have to be interlaced.

However, "to pluck" is already a procedure. It has only a wider range of application than "to pluck cherries". From this viewpoint, a "cherry" appears as a restriction of the procedure "to pluck". However, the same restriction would have to be applicable to many other procedures in which cherries play a role, such as "to eat cherries" as a special case of "to eat", but also "to recognise cherries and then to do nothing".

It is conceivable that the "ignition/cherry" procedure has to be activated together with the procedure "to pluck" so that the necessary restrictions are generated. Is it conceivable, in addition, that always the same cherry-procedure can serve as a restriction of many procedures of a very different nature? Can this be accomplished via a learning process? Time remains a problem.

Questions now escalate. In fact nothing has progressed although I have struggled for 5 weeks. Interruptions will be important, but which is the role of interruptions in time but also in space? How does an interruption of a procedure evolve in time? How is all this related to the "what/how" distinction, to the rise of the concept of the object, and to mirror neurones? Why is an object essentially a sensory concept?

I am ill-tempered because there is no progress.

zur 17/18. Woche 2011

Wissenschaft und Philosophie Science and philosophy


Neulich geriet ich in eine Diskussion mit einem ausgewiesenen Philosophen, und wollte ihm einfach nur darlegen, dass ich es höchst merkwürdig finde, dass ich 16 Stunden tagsüber im ganzen Gesichtsfeld ständig etwas sehe, und das meiste davon erschiene mir zeitkonstant. Die Grundlage meiner Verwunderung war die Kenntnis der ständig höchst variablen neuronalen Prozesse. Er (und später auch noch eine weitere Philosophin) schienen das nicht erfassen zu können; sie wandten sofort ein, dass ja da große Unterschiede bestünden, und ich ja nur, wenn überhaupt, einem kleinen Teil des visuellen Eindrucks meine Aufmerksamkeit zuwenden könne. Nun hatte ich mich allerdings zuvor schon nachlässig ins Unrecht gesetzt, indem ich ersteren Philosophen gefragt hatte, ob er, während er einen Vortrag hielt, die Hörsaalwände unaufmerksam wahrgenommen habe, oder aber ob sie ihm visuell völlig entschwunden seien. Dass ich ja nur von meiner Wahrnehmung reden könne, das hat er sofort bemerkt, und ich musste das erstmal ausbügeln. Aber schließlich habe ich ihn soweit gebracht, dass er, den Blick auf den Boden gerichtet, nur noch ein gedehntes "tja..." hervorbrachte. Vermutlich kommt dieser Punkt in seinen Büchern nicht vor.

Es scheint wohl ungefähr so zu sein, dass im Fach "Philosophie" die Kategorie "wissenschaftlich erklärbar" nicht vorkommt, weil diese ja selber philosophisch nicht so ohne weiteres erfassbar ist. Den alten Griechen wird man das nicht vorwerfen. Aber sicherlich haben sie den Unterschied bemerkt zwischen all dem niemals streng Reproduzierbaren, das man am Verhalten jedes Menschen beobachtet, und dem vorwiegend Konstanten und Identischen, das man ständig introspektiv erlebt. Auch möchte ich annehmen, dass sie bemerkt haben, dass nur all dieses Nicht-Reproduzierbare von mehreren Personen übereinstimmend beobachtet werden kann, wohingegen das Konstante und Identische subjektiv bleibt. Damals gab es keine "Naturwissenschaft" im heutigen Sinne, mit Experimenten, und mit der dominanten Idee der Objektivität.

Im Fach "Hirnforschung" herrscht umgekehrt die Tendenz vor, die Unerklärbarkeit des Bewusstseins entweder zu verdrängen, und ersatzweise von angeblich erstaunlichen Leistungen des Menschen zu reden, oder aber ohne nähere Erläuterungen eine zwar irgendwie partielle, aber doch sehr enge Verwandtschaft von phänomenalen Gehalten und neuronalen Prozessen anzunehmen. Vor allem scheint man die Subjektivität der phänomenalen Gehalte des Bewusstseins als eine abtrennbare, eher unwesentliche Nebeneigenschaft aufzufassen.

Freilich habe ich schon mehrfach in meinen Hirnbriefen betont, dass unweigerlich Zirkularität entsteht, wenn man die Naturwissenschaft gemeinsam mit dem Bewusstsein betrachtet. Man kann sich vor ihr nicht retten, indem man im üblichen Sinne "Philosophie" oder "Hirnforschung" betreibt. Man kann nur versuchen, an unterschiedlichen Stellen in den Zirkel einzusteigen. Dieses hatte ich in den zwei Hirnbriefen 15/16 und 17/18 (2010) mehr oder weniger erfolglos versucht. Den gewöhnlichen Zirkelablauf hatte ich zuvor in 13/14 (2010) beschrieben.

"Was ist naturwissenschaftlich im Prinzip erklärbar, und was ist es nicht, aus dem Gesamtbereich Hirnforschung plus Bewusstsein?" Nur ein Naturwissenschaftler (zu denen ich mich zähle) kann von einer solchen Frage ausgehen, weil er die Prinzipien, auf denen die Wissenschaft ruht, nicht hinterfragt. Dieser Ausgangspunkt hat insofern etwas für sich, weil die klassische Naturwissenschaft eine verschärfte Version dessen ist, was man im Alltag unter "Verstehen" versteht. Da hat die Philosophie das Nachsehen, weil sie eigentlich immer alles hinterfragen muss, andererseits aber deshalb kein gutes Ziel des Bemühens mehr angeben kann. Ein Verstehenwollen kann es nicht sein. Vielmehr scheint es wohl eher ein ehrfürchtiges Erschauern vor ungewohnten Sichtweisen zu sein, ein Beeindruckt-Sein von der Erhabenheit dessen, was auch noch denkbar ist, und ein Gefühl der staubkorn-im-weltall-mäßigen Verlorenheit angesichts der Vielfalt des Denkbaren. Da ist man bei der Naturwissenschaft besser aufgehoben: Man weiß, das "Verstehen" nichts Absolutes ist. Man beschränkt sich darauf, dass die Anzahl unabhängig voneinander anzugebender Grundprinzipien möglichst klein sein soll.

Mein Bemühen ist es, von diesem Standpunkt aus zu versuchen, das Unverstehbare im Bereich des Bewusstseins dem Verstehbaren im Bereich der Naturwissenschaft gegenüberzustellen. Das ist ein enger gefasstes Programm als das allumfassende Nachdenken, bei dem es leicht aus dem Blick gerät, dass der Freie Wille und die Wahrnehmung eines Apfels eine ganz wesentliche Gemeinsamkeit aufweisen, nämlich dem Bewusstsein anzugehören.

Science and philosophy

Recently I discussed with a renowned philosopher; I just wanted to point out my astonishment about the fact that during 16 hours a day I continuously see something within my entire field of view. Most of what I see appears as absolutely constant. My astonishment was derived from the knowledge of the never restless, always variable neuronal activity. He - and later another lady philosopher - did not seem to grasp this. They immediately objected that there are great differences, and that one could turn one's attention only to a small part of the overall visual impression. Admittedly I had negligently asked the former philosopher whether he had inattentively perceived the continuous presence of the walls of the lecture room while he gave his talk. He immediately objected that I could only talk about my perception, and I first had to redress that point. But finally I succeeded to make him sit there and stare at the floor and just say "tja...." (which is a deformation of "yes but.....") and no more. Probably the point was not mentioned in his books.

It seems that the subject "philosophy" does not encompass a category "scientifically explainable". This is not surprising because that category evokes lots of questions by itself. One may not blame the ancient greeks for that, although they certainly have noted the difference between all the never strictly reproducible matters (when one observes human behaviour) and the largely constant and identical matters that one experiences internally. I also suppose that they have noted that only the non-reproducible is observable consentiently by several persons while the constant and identical remains subjective. At the time of the greeks there was no natural science as today, with the dominant notion of objectivity, and with experiments.

In contrast, within the subject "brain research" there is one tendency to either suppress the inexplainability of consciousness or to substitute it by surprising high level performances of humans. There is another tendency to assume a rather narrow (yet partial) parallelity of phenomenal contents of consciousness and neuronal activity. Most remarkably, one considers the subjectivity of consciousness as a side aspect that may be split off from other features.

In my brain letters I have repeatedly pointed to the well-known unavoidable circularity of arguments which is introduced whenever one considers science together with consciousness. One is not protected from it by doing philosophy or neuroscience in the usual way. One can only try to enter the circle at different points. I had already tried this, with little success, in the brain letters 15/16 and 17/18 (2010). Before this, I had described the usual circular flow in brain letter 13/14 (2010).

"What can/cannot be scientifically explained within the composite realm of brain research plus consciousness?" Only a scientist (as I believe I am) can act on that question because he/she does not challenge the principles on which science rests. The positive aspect of this starting point is that natural science is a sharpened, formalised version of what usually is meant by "understanding". Here philosophy draws the short straw because it always must challenge everything, and exactly for that reason it cannot give a good aim at which it strives. Obviously, it cannot be "understanding". The aims that remain may be an awesome shivering while being confronted with uncommon views, a being-impressed by the augustness of the thinkable, and the sensation of loneliness as a grain of dust in the manifold of thoughts. One is much better off with science: one knows that "understanding" is not absolute; one tries to reduce the number of independent fundamental principles.

The endeavour to which I try to contribute is to oppose the non-understandable in the realm of consciousness to the understandable in the realm of neuroscience. This is a narrower program than an all-encompassing reflection which easily lets one overlook that the "free will" and the perception of an apple share an essential feature, namely both to belong to the realm of consciousness.

 

zur 15/16. Woche 2011

Unterbrechung 2
Dieses ist die Fortsetzung des vorletzten Hirnbriefs 11/12(2011). Ausgangspunkte waren dort zum einen die im Gehirn von Primaten festgestellte Aufteilung der visuellen Verarbeitung auf einen "Wie"- (oder auch "Wo"-) und einen "Was"-Zweig, und zum anderen die Folgen von Unterbrechungen von neuronalen Prozeduren.

Bei dem "Wie/Was"denkt man zunächst an eine Unterteilung in zwei etwa gleichartige Hälften. Aber in Wirklichkeit ist das "Wie" die Normalfunktion, und zwar die eines jeden Organs. Damit ist, nicht nur im Gehirn, der geordnete Ablauf von Prozeduren (siehe 11/12;2011) gemeint, die die typischen Leistungen des Organs erbringen. Mit dem "Wie"-Zweig allein lebt man sehr gut, und in den meisten Organen/Lebewesen gibt es nur diesen. Man verfügt über alle Funktionen, die gebraucht werden, und es gibt Mechanismen der Anpassung an veränderte Situationen. Was es nicht gibt, ist ein von konkreten Zielen losgelöstes "Wissen, wie die Welt beschaffen ist".

Der "Was"-Zweig ist hingegen eine Neuerung, er entsteht durch das "Weitermachen nach einer Unterbrechung". Er ist erst dann interessant, wenn sowohl sehr umfangreiche, langdauernde Prozeduren entwickelt werden, deren Teilleistungen bis zur Unterbrechung so wertvoll sind, dass man sie nicht einfach durch einen Neustart verwerfen will, als auch die Unterbrechungen von so vielfältiger Natur sind, dass sie nicht von vornherein in den Prozeduren mit vorgesehen werden können.

Der einfachste Fall ist schon besprochen worden, dass nämlich, wie beim Nest- oder Höhlenbau, die sensorischen Eindrücke von der schon erbrachten Teilleistung genügen, um damit weiterzumachen. Da braucht man sich nichts zu merken. Andere Fälle sind komplizierter: Von der Phase vor der Unterbrechung bleiben vielleicht keine brauchbaren Spuren erhalten; oder vielleicht muss man den ganzen Verlauf der Aktion vor der Unterbrechung mitsamt den verwendeten Materialien kennen. Auch wird erzieherischer Druck ausgeübt auf das Finden von Lösungen für Fortsetzungen statt eines Neustarts, wenn nämlich die Startumstände oder Materialien dafür nicht nochmals zur Verfügung stehen. Beispielsweise höre ich, dass hinter meinem Rücken eine Kokosnuss von der Palme fällt; ich will sie aufheben, werde aber unterbrochen, bevor ich sie sehe. Oder: An einem erneut kommenden Patienten kann der Arzt nicht (oder kaum) erkennen, welche Medikamente er von Anbeginn der Behandlung an gegeben hat. Es sei nochmals betont, dass man sich diese Beispiele als völlig unbewusste Prozeduren vorstellen muss. Nur dann erkennt man, dass man sie als reine Prozedur nach einer Unterbrechung nicht fortsetzen kann. Der heutige Mensch kennt kaum noch derartige Prozeduren. Vielleicht könnte man unter der Dusche seinen Körper völlig "routinemäßig", d.h. rein prozedural und unbewusst waschen, indem man dabei "an andere Dinge denkt". In der Tat "wüßte" man dann nicht, wie weit man gekommen war, wenn man unterbrochen würde, es sei denn, man war so dreckig, dass man den Erfolg des Waschens direkt sensorisch feststellen kann.

Ein jeder, der diesen Text liest, wird sofort diese Probleme mit "Gedächtnis" lösen wollen, wobei allerdings üblicherweise beim Stichwort "Gedächtnis" an ein "Sich Merken" und an "Erinnerung" gedacht wird, d.h. an ein "episodisches" Gedächtnis, wobei diese Episoden auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins erscheinen. Kaum jemand will auf dem Boden der Naturwissenschaft bleiben, wo es nur das "normale", nämlich das prozedurale Gedächtnis gibt. Dieses sorgt für ständige Anpassungen der Prozeduren an die gemachten Erfahrungen. Beispielsweise bewirkt es über einen Lernvorgang, dass man den Fuß gerade genügend hoch hebt, um eine Stufe zu ersteigen, ohne zu stolpern. Dabei kommt kein Bewusstwerden vor.

Freilich kann man die Neurotechnik des prozeduralen Gedächtnisses auch einsetzen für das neuronale Abspeichern und Wiederauslesen einer letztlich beliebigen neuronalen momentanen Situation, wenn auch natürlich dies nur in kleinen Teilbereichen des Gehirns möglich ist. (Wenn man den gesamten neuronalen Momentanzustand des Gehirns abspeichern und später wieder auslesen wollte, bekäme man ein Zirkularitätsproblem wegen der erforderlichen neuronalen Steuerungsmechanismen.) Wie das neurotechnisch durch Abwandlung des prozeduralen Speicherverfahrens geschehen kann, soll hier nicht erörtert werden. Wichtig ist nur, dass das neuronale Abspeichern nicht genauer sein kann als ein jeder normale Verarbeitungsprozess mit seiner im Nervensystem allgemein üblichen Ungenauigkeit. Diese bemerkt man nicht, wenn man die Inhalte auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins zu Rate zieht. Es genügt aber, sich klarzumachen, dass für die visuellen Steuerungssignale zum Heben des Fußes keine scharfe, detaillierte "Abbildung" einer Stufe erforderlich ist, sondern nur die minimal relevanten Signale, die für die Abschätzung der Stufenhöhe gebraucht werden. Wenn man mal die Variationen bei 20 solchen Fußhebungen ausmisst, sieht man, wie genau der Organismus arbeitet, und kann annehmen, dass eine weitere Erhöhung der Genauigkeit keinen zusätzlichen Nutzen gebracht hätte. Auch sieht man, dass die nahezu ewige Dauerhaftigkeit der meisten Stufen für die Abwicklung der Prozedur bedeutungslos ist.

Angenommen, man müsste eine solche visuell ermittelte Stufenhöhe neuronal abspeichern, dann kann dieser Speicherinhalt nicht genauer sein als es die genannten Variationen anzeigen. Eher würde man einen zusätzlichen Verlust an Deutlichkeit der Darstellung erwarten als Auswirkung des Speicher- und Wiederausleseverfahrens.

Damit könnte man also herangehen an die Unterbrechungsprobleme. Während ich also gerade eine Körperwendung entsprechend der ungefähren Schallortung der Kokosnuss anzusteuern beginne, werde ich unterbrochen. Ich speichere also schnell noch die relevante räumliche Situation ab. Auch muss es noch einen Speicher geben, aus dem hervorgeht, welche von tausenden von mir zur Verfügung stehenden Prozeduren es war, die da unterbrochen wurde. Das ist so etwas wie eine Motivation. (Auch der Vogel muss ja nicht irgendetwas, sondern den Nestbau fortsetzen.) Es könnte eine allgemeinere Prozedur sein wie "Nachschauen, was da heruntergefallen ist", oder eine speziellere, bei der das "Wissen" um die Kokosnuss schon enthalten ist, weil dort immer wieder Nüsse herunterfallen, und ich an ihnen interessiert bin. Wenn ich nach der Unterbrechung nur mit der erstgenannten Prozedur weitermache, dann ist das eine minderwertige Lösung, sofern vor der Unterbrechung die letztgenannte speziellere Prozedur lief.

Nachdem ich im vorletzten Hirnbrief ungefähr skizziert habe, wie eine Prozedur normalerweise abläuft, muss man nun überlegen, wie die Situation bei einer Unterbrechung und einer späteren Fortsetzung allgemein charakterisiert werden kann. Daraus sollte sich dann ergeben, was es mit dem "Was"-System auf sich hat. Prozeduren sind das ebenfalls (es gibt gar nichts anderes), aber sie werden organisatorische Besonderheiten zeigen. Wie es so schön populär heißt, stammt der Mensch ja vom Affen ab, und bei diesen wird man zunächst mal nachschauen. Ohne die Aufspaltung in das "Wie"- und das "Was"-System hatte ich die Affengeschichte bereits erzählt; es ist die Geschichte der "Spiegelneurone" (Hirnbriefe 17, 31 und 42/43;2009, "Varia" Nr. 1: Status des Bewusstseins.

Während ich nun über das Stichwort "Unterbrechung" im Zusammenhang mit Affen nachdenke, merke ich, dass auch dieser Zweig der Geschichte zunehmend an Umfang gewinnt, weil man auf die Frage stößt, was denn eine Unterbrechung ist, die nicht auf der Zeitachse stattfindet. Eine räumliche Lücke, würde man sagen. Was dieser Punkt nach sich zieht, passt jedoch nicht alles in diesen Hirnbrief.

zur 13/14. Woche 201

Multielektrode und Bewusstsein

Kürzlich stellte mir ein Student zweifelnd die Frage, ob denn die Erwartung zuträfe, dass man das Gehirn, oder gar das Bewusstsein, umso besser verstehe, je größer die Anzahl der Neurone sei, deren Aktivität man registriert, nach dem Motto "viel bringt viel".

Ganz allgemein ist der erste Schritt zur Erforschung eines Organs, dass man aus einer Art "Black-Box"-Wissen entnimmt, welches die Leistungen des Organs sind. Diese will man dann naturwissenschaftlich erklären, indem man den Aufbau und die Funktion des Organs untersucht. Für die Niere (von der ich ansonsten nichts verstehe) beginnt man wohl mit dem Haushalt von Flüssigkeiten und dem Umgang mit den in ihnen enthaltenen Substanzen. Mit anatomischen und physiologischen Methoden untersucht man das Innenleben des Organs bis hinunter zum Molekül. Man ist zufrieden, wenn man Zelltypen findet, deren Tätigkeit mit benennbaren Leistungen wie z.B. "ein Glas Bier trinken", oder nach verfeinerten Bemühungen, mit im Bier enthaltenen Substanzen, oder aber mit Steuerungsfragen des Flüssigkeitshaushalts zusammenhängen. Auch Plastizität oder Anpassungen kämen vor. Man würde herausbringen, auf welchen naturwissenschaftlichen Grundlagen die Beobachtungen beruhen, und könnte ein durchschaubares Modell erstellen. Nebenbei würde man dabei auch auf den allgemeinen Grundsatz stoßen, dass sich eine jede Teilfunktion nur so weit entwickelt, bis eine weitere Verbesserung keinen merklichen Vorteil mehr ergibt. So bleibt alles ein wenig ungenau. Im Idealfall würde man aber sagen, dass man mit all diesem die Niere vollständig verstanden hätte.

Das Entsprechende für das Gehirn, wenn man mal das Sehvermögen herausgreift, wären die visuell gesteuerten Verhaltensleistungen (von mir selbst oder von Mitmenschen), wie z.B. einen Apfel visuell gesteuert zu ergreifen und auch eventuell damit verknüpfte Veränderungen durch Lernen*. Beschränkte man sich auf das Verhalten, so bliebe alles im Bereich der Naturwissenschaft, und man könnte schon heute mit einiger Berechtigung behaupten, dass man das Gehirn recht gut verstünde.

Allerdings umfasst aber das "Black-Box"-Wissen über das Gehirn auch den Zusammenhang mit meinem Bewusstsein. Dieser führt jedoch aus der Naturwissenschaft hinaus. Man will die Sprache, den Freien Willen, Empfindungen, das Nachdenken und die Hirntätigkeit beim Bearbeiten mathematischer Probleme verstehen; bei all diesen kommen jedoch Bedeutungen vor, die ich auf dem phänomenalen Niveau meines Bewusstseins vorfinde. Man meint, dass ein großer Teil der Bedeutungen der neuronalen Erregungen "die Außenwelt" sei, oder anders ausgedrückt, eine wesentliche Funktion des Gehirns sei, "die Außenwelt zu repräsentieren". Hingegen bei der Niere wird die Frage: "Wie ist die Welt beschaffen, die man nur deshalb kennt, weil sie die Tätigkeit der Nierenzellen beeinflusst?" nicht gestellt. Kann es denn sein, dass ein Granitstein/ein Bogen bedrucktes Papier/ein Gehirn selber erfassen kann, ob oder dass die Verteilung eines Teils seiner Körner/der Druckerfarbe/seiner Erregungen die geografische Lage einiger Straßen von Freiburg repräsentiert? Mit Fragen von dieser Art verläßt man die Naturwissenschaft. Dennoch sehe ich als freilich aus der Wissenschaft heausfallendes Faktum an, dass es ein subjektives, d.h. nur mir zugängliches phänomenales Niveau meines Bewusstseins gibt, das irgendwie mit meinem Gehirn zusammenhängt, auf dem derartige Repräsentationen erscheinen**. Im Fall des Sehens finde ich als Ausgangspunkt eine "Leistung" in Form eines phänomenalen "Bildes" vor. Dessen Besonderheiten sind die Gleichzeitigkeit aller sichtbaren Strukturen, deren Ausdehnung auf das ganze Gesichtsfeld, die Bildschärfe und die absolute Zeitkonstanz der meisten Strukturen. Es wird immer wieder versucht, diese Leistung naturwissenschaftlich zu erklären, aber das kann nicht funktionieren.

Denktechnische Anmerkung: Es gibt einen Unterschied zwischen der obigen Analyse des Verhaltens(*), und derjenigen von phänomenalen Gehalten(**), obwohl man ja einwenden könnte, dass ja die Kenntnis von einer jeden Überlegung, wissenschaftlich oder nicht, ausschließlich eine phänomenale Kenntnis ist: Bei (*) ist alles, was analysiert wird, in der Naturwissenschaft verankert. Hingegen die Kenntnis darüber entsteht auf meinem phänomenalen Niveau, wobei ich ein anderes Individuum bin als das beobachtete, und zwar bin ich der beobachtende Wissenschaftler. Im Gegensatz dazu befindet sich bei (**) sowohl der Analysegegenstand, nämlich das genannte "Bild", auf meinem phänomenalen Niveau, als auch findet dort die Analyse eben dieses Bildes statt. Das ist ein entscheidender Unterschied, wenn auch ich im Moment nichts Näheres über ihn sagen kann.

Jetzt komme ich zu der eingangs gestellten Frage. In der Tat kann man mit Hilfe von multiplen Mikroelektroden die Aktivität von vielen Neuronen gleichzeitig registrieren, und ich selbst habe dies viele Jahre lang, zuletzt im Gebiet der Spiegelneurone von Affen, betrieben. Neben einigen sekundären technischen Vorteilen gegenüber der Verwendung von nur einer Mikroelektrode kann man eine eindrucksvolle Vielfalt von Verhaltensakten an Hand der Erregungsmuster identifizieren, und Schlüsse aus der neurophysiologischen Ähnlichkeit von verhaltensmäßig unterschiedlich erscheinenden Vorgängen ziehen. Seltener auftretende Verarbeitungsvarianten kann man wesentlich besser erfassen als mit nur einer Elektrode. Auch erkennt man besser, mit welcher Art von Verarbeitung das entsprechende Hirngebiet zu tun hat. "Umgekehrte" Analysen sind mit nur einer Mikroelektrode nahezu unmöglich: Bei dieser Vorgehensweise ist es, als ob man die Frage stellte: "Wie 'reagiert' die Außenwelt auf ein bestimmtes, wiederholt auftretendes Erregungsmuster?" Gerade im Bereich der Motorik ist das sehr nützlich, weil die Motorik ohnehin keine (oder keine naheliegende) Beziehung zu phänomenalen Gehalten hat, d.h. man hat keine introspektiven Vorstellungen von der Organisation der eigenen Motorik, zB. von der Ansteuerung der Zungenbewegungen für den Transport einer Fischgräte durch den Speisebrei im Mund nach vorn. Alles in diesem Absatz Geschriebene ist gewöhnliche Naturwissenschaft von der Art (*). Zusammen mit weiteren neurowissenschaftlichen Techniken versucht man so, die Verhaltensleistungen des Gehirns zu verstehen. Die Komplexität des Gehirns ist dabei das Haupthindernis. Wenn man die Arbeitsprinzipien der beteiligten Elemente versteht, und einsieht, dass man die beobachteten Leistungen mit ihnen erbringen kann, ist es nicht mehr von allzugroßem Interesse, die tatsächliche Realisierung eines Einzelfalls im vollen Detail zu analysieren. Man würde dann nur in redundanter Weise vielmals die Anwendung derselben Prinzipien beobachten.

Will man im Bereich der Naturwissenschaft bleiben, ist der Einsatz von Multielektroden also durchaus ein deutlicher Vorteil.

Ein Unglück der Hirnforschung ist jedoch, dass ein Großteil der "Leistungen", die man vom Gehirn kennt, auf dem phänomenalen Niveau des eigenen Bewusstseins vorgefunden werden, dann aber versucht wird, diese im Rahmen gewöhnlicher Naturwissenschaft zu beantworten. Wie kann denn da eine Multielektrode helfen? Sobald man die Naturwissenschaften gemeinsam mit dem Bewusstsein betrachtet, werden die Überlegungen zirkulär. Man würde gern an eine passende Erweiterung der Naturwissenschaft denken, die mit dieser Zirkularität zurechtkommt. Ob es eine solche überhaupt geben kann, ist unklar (zB.: Kann es eine erweiterte "Naturwissenschaft" geben, die nur 10 Millisekunden lang, oder nur in einem Gehirn, gültig ist?). Ein Optimist wie ich sammelt zumindest schon mal Sachverhalte, auch unverstandene, in der Hoffnung, dass man später daraus vielleicht eine Teil-Erweiterung machen kann. Für eine solche Sammlertätigkeit kann vielleicht auch eine Multielektrode hilfreich sein, aber keinesfalls in der Weise "viel bringt viel".

Vielmehr wäre den Elektrophysiologen anzuraten, ihre Befunde wissenschaftskompatibel zu machen. Da werden Neurone in der visuellen Hirnrinde, die auf geneigte Linien oder Kanten besonders gut reagieren, seit einem halben Jahrhundert für den Aufbau des o.g. introspektiven "Bildes" verantwortlich gemacht, obwohl man im Rahmen der Naturwissenschaft nur Verhaltensleistungen heranziehen darf. Und dann wundert man sich, dass solche "Bild"elemente (Farben, Bewegungen) an unterschiedlichen Stellen des Gehirns bearbeitet werden, und stellt sogar ernsthaft die Frage, wie diese denn nun wieder zusammengeführt werden eben zu diesem Bild. Das heißt dann das "Bindungsproblem". Dieses kann es ja durchaus geben, aber man darf Erklärungen nicht an introspektiven Kriterien ausrichten. Schlimmer noch sind die Verhältnisse auf der Zeitachse: jeder Neurophysiologe weiß, dass die Neurone keine Ruhe geben; es brodelt ständig, alle Millisekunde oder alle 10 oder 100 Millisekunden passiert etwas anderes. Das steht doch im allergröbsten Kontrast zur visuellen Wahrnehmung, bei der stets das Meiste über lange Zeit konstant bleibt. Dass Mittelwerte aus Erregungen vieler Neurone konstant seien, ist absolut lachhaft. Gerade mit Multielelektroden sieht man das viel deutlicher. Konstanzfragen versuche ich gerade (im vorigen und hoffentlich auch im nächsten Hirnbrief) zu bearbeiten. Die Hirnrinde betreffend habe ich zum Hirnbrief 7(2009) nur hinzuzufügen, dass ja in der primären visuellen Hirnrinde die Neurone nicht nur für Linienorientierungen empfindlich sind, sondern die Erregungen auch noch abhängen vom linken oder rechten Auge, in das der Lichtreiz fällt. Und siehe da, in diesem Fall "wählt" der Wissenschaftler keinen "Aufbau des Bildes" als Erklärung.

So kann es nicht gehen. Man kann nicht mit Naiv-Erklärungen arbeiten, und obendrein diese immer nur dann gelten lassen, wenn sie passen. Ebensowenig hilft es, sich als Hirnforscher feige in die Untersuchung der Bauelemente des Gehirns zu retten, nur weil diese universitär besser untersuchbar sind. Aber man sieht, dass das Gehirn weiterhin dasjenige Organ ist, dass seine Erforschung am besten zu verhindern weiß.

 

zur 11/12. Woche 2010

Unterbrechung
Jetzt greife ich wieder auf, was in den Hirnbriefen 42/43,44 (2009) und 5/6 (2010) über Unterbrechungen steht, und bringe es in einen Zusammenhang mit Hirnbrief 3/4 (2011), in dem Befunde aus der Neurowissenschaft über ein "Wo/wie"-System und ein "Was"-System behandelt wurden. Die Bezeichnung "Wie" ist meiner Ansicht nach treffender als "Wo", deswegen rede ich jetzt nur noch vom "Wie"-System. Dieses ist sicherlich das ältere System, eine Ratte mag überhaupt nur ein solches haben. Im Brief 3/4 hatte ich argumentiert, dass sich das "Was"-System viel Analysearbeit spart, wenn es immer nur dann arbeitet, wenn das "Wie"-System eine Änderung gemeldet hat. Dass da auch Änderungen gemeint sein können, die nur auf einem höheren Niveau erkennbar sind, war schon gesagt worden. Oder vielmehr ist es umgekehrt: Manches, was auf niedrigem Niveau wie eine Änderung aussieht, wird auf höherem Niveau als unverändert angesehen. Das wichtigste Beispiel ist die Änderung des Netzhautbildes bei einer Blickwendung, die für das "Wie"-System nicht als Änderung gilt.

Nun geht die gegebene Beschreibung von der Wahrnehmung aus: Was ich als Änderungen angeführt habe, sind Änderungen, die ich erkenne, wenn ich meine Wahrnehmung analysiere. Das passt nicht gut zusammen mit dem Befund, dass das "Wie"-System überhaupt nichts beiträgt zu den phänomenalen Gehalten, die meine Wahrnehmung ausmachen; die Tätigkeit des "Wie"-System bleibt unbewusst. Sie bestimmt jedoch mein visuell gesteuertes Verhalten, und sie läßt sich im Prinzip auf der Grundlage normaler Neurowissenschaft verstehen, was für das "Was"-System wegen des Auftretens phänomenaler Gehalte nicht unbedingt zutrifft.

Deshalb soll nun die Aussage, dass das "Was"-System nur arbeitet, wenn das "Wie"-System keine Änderung meldet, auf neurowissenschaftlicher Grundlage, d.h. ohne Bezug zur Wahrnehmung, formuliert werden.

Die Funktionseinheit in einem neuronalen System ist die Prozedur. Eine Prozedur startet mit Eingangssignalen, die aus Sinnesorganen, aus dem Auslesevorgang eines Gedächtnisses, und/oder aus Ausgangssignalen anderer Prozeduren stammen. Die Prozedur ist dadurch definiert, dass die synaptischen Verbindungen in einem neuronalen Teilnetzwerk wie Filter eingestellt sind, so dass nur bestimmte einlaufende Erregungsverteilungen hineingelassen und verarbeitet werden. Sie werden durch diese und weitere synaptische Verbindungen in ganz bestimmter Weise transformiert, was die eigentliche Zweckbestimmung der Prozedur ausmacht. Eine Prozedur kann z.B. visuelle Signale von einem Apfel erkennen und daraus motorische Signale bilden, mit der der Apfel schließlich ergriffen wird. Prozeduren können auch Unter-Prozeduren enthalten, und sie können auch, wie z.B. beim Fahrradfahren, eine Vielzahl von Eingangs-Sinnessignalen von unterschiedlichen Quellen kontinuierlich in motorische Signale umrechnen, die an verschiedene Muskeln gesandt werden. Wie schon oft betont, bedeuten die beteiligten neuronalen Signale nichts, d.h. sie scheinen nicht auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins auf.

Was ist denn an solchen Vorgängen eine Änderung, und was ist keine? Eine jede neuronale Prozedur ist ja ein ständig rasch variierender Vorgang, ganz im Gegensatz zur Wahrnehmung, bei der z.B. ein Tisch, auf dem der Apfel vielleicht liegt, als völlig unverändert wahrgenommen würde. Hier ist die Annahme sinnvoll, dass eine Änderung vorlag, wenn die Prozedur zwar regulär gestartet, dann aber nicht ordnungsgemäß durchlaufen wurde. Das kann passieren, wenn während des Laufs zusätzliche Ereignisse eintreten, die nicht zur Prozedur gehören, so dass daraufhin das Ziel der Prozedur nicht erreicht wird. Diese Situation wird immer wahrscheinlicher mit der Entwicklung zunehmend komplexer und langdauernder Prozeduren. Während kurze Prozeduren einfach erneut von vorn begonnen werden können, sollten für sehr umfangreichen Prozeduren Fortsetzungsverfahren entwickelt werden, damit halbfertige Teilleistungen nicht verlorengehen.

Zunächst kann man anschauen, wie der Nest- oder Höhlenbau funktioniert. Diese sehr langdauernde Prozedur muß zwangsläufig immer wieder unterbrochen werden, aber das Tier muß sich nicht merken, wie weit es jeweils gekommen ist, weil der halbfertige Zustand bis zur nächsten Fortsetzung erhalten bleibt und dann sensorisch erneut erfasst werden kann. Man sieht, dass man nach einer Unterbrechung nicht erneut die gesamte Geschichte der Bauarbeit benötigt, sondern nur den im letzten Moment erreichten Zustand. Aus diesem allein geht hervor, was als nächstes zu tun ist. Es erscheint trivial, dass es sich dabei um sensorische
Daten handelt, wohingegen die zuletzt eingesetzten Muskelkommandos nicht vorkommen. Freilich gehen die Sinnessignale von den zuletzt notwendigen Muskelspannungen (weil die Erde recht hart war) verloren, so dass nach einer Unterbrechung die ersten Grabebewegungen die Bodenhärte noch nicht wieder berücksichtigen können. Im großen und ganzen ist die Prozedur jedoch ohne und mit Unterbrechungen in etwa dieselbe, obwohl es große Unterschiede in der Zeit bis zur Fertigstellung geben kann.

Obwohl die Geschichte noch nicht fertig erzählt ist, ahnt man hier schon, wie über die Unterbrechungen die Idee der Konstanz hereinkommt, die ja schließlich die Idee des "Was" ausmacht, denn mit "Was" meint man ja Gegenstände. Diese fasst man in der Regel als viel langlebiger auf als die Erregungszustände im Nervensystem, die ja nicht länger als 10 oder 100 Millisekunden stillhalten können. Vielleicht muss man sich erstmal an die hier vorgestellte neuronale Sicht gewöhnen, bei der Gegenstände nicht von vornherein diejenigen sind, aus denen die Welt besteht. So ungefähr fasst man die Welt ja auf, aber das kommt davon, dass man sich an den phänomenalen Gehalten des Bewusstseins orientiert.

Hoffentlich wird die Fortsetzung der Geschichte nun etwas handfester, nach früheren teilweise unbefriedigenden Anläufen (Hirnbrief 42/43; 2009).

 

zur 9/10. Woche 2010

Vergleich neuronal/phänomenal: (2) Motorik

Das Bewusstsein ist sehr sensorikorientiert. Wenn ich bei windigem Wetter meinem Bruder einen vergessenen Handschuh aus dem Fenster nachwerfe, oder meinen Schuh mit einer Schleife zubinde, finde ich in meinem Bewusstsein keine Vielfalt von Elementen vor, mit Hilfe derer ich meine Motoriksignale oder deren Vorläufer auf dem phänomenalen Niveau meines Bewusstseins ordnen kann. Phänomenal scheinen nur mehr oder weniger visuelle Komponenten dieser Vorgänge auf. Das kann daran liegen, dass im Fall der Motorik als erstes die Neurone tätig werden, und alles Weitere in der Gegenwart und Zukunft liegt. Freilich kommt aus der Sicht des Gehirns auch bei einem Sinneseindruck das neuronale Signal als erstes. Danach folgen weitere neuronale Prozesse, die schließlich zu Motoriksignalen und/oder Gedächtnisspuren führen. Hinzu kommt in diesem Fall, wenn die Aufmerksamkeit entsprechend ausgerichtet ist, dass sich auf dem phänomenalen Niveau eine Analyse vollzieht, aus der hervorgeht, um was für einen Vorgang es sich handelt. Dieser wird phänomenal der Gegenwart und Vergangenheit zugeordnet, oder genauer: Auf dem phänomenalen Niveau gilt der aufscheinende eigentliche Vorgang als früher als der Vorgang von dessen Wahrnehmung oder als gleichzeitig mit diesem.

Hier sieht man schon, dass man eine "explizite Zeit" benötigt, denn rein neuronal ist eine derartige zeitliche Anordnung nicht möglich. "Explizite Zeit" heißt, dass ich jetzt mit einem Vorgang befasst bin, der aber nicht jetzt stattfindet, sondern z.B. gestern stattfand. So kann ich jetzt einen neuronalen Gedächtnisinhalt abrufen, der aber, rein neuronal gesehen, weiterhin einfach nur ein gegenwärtiger bedeutungsloser Prozess ist. Phänomenal wird ihm die Bedeutung zugeordnet, dass es sich um etwas Vergangenes handele. Selbstverständlich ist die echte Vergangenheit neuronal nicht mehr zugänglich.

Man kann die im ersten Absatz gegebene Beschreibung aber auch anders aufziehen: Ein sensorischer Vorgang beginnt immer mit peripheren Neuronen. Beim Sehen, Hören und Riechen kann dasselbe Ereignis (z.B. eine herannahende Schlange) sensorische Neurone desselben Typs in mehreren Individuen erregen. Die sich anschließenden neuronalen Prozesse können hingegen, in Abhängigkeit von zusätzlichen Umständen, in jedem Individuum höchst unterschiedlich verlaufen. Man muss sich bei dieser Beschreibung jedoch im Klaren sein, dass man von vornherein vorgibt, dass es das Verhalten der Schlange ist, das das Ereignis ausmacht, und nicht die deutlich voneinander verschiedenen Licht- und Schallwellen von diesem Vorgang, die an den Augen und Ohren der Individuen eintreffen. Eine Entscheidung darüber, worauf es ankommt, kann die Naturwissenschaft nicht liefern; sie ist eine phänomenale Interpretation von (naturwissenschaftlich) völlig bedeutungslosen Ereignisketten, dass nämlich mehrere Menschen gleichzeitig unterschiedliche Lichtsignale von der Schlange erhalten und einige daraufhin vor ihr zurückweichen.

Ein motorischer Vorgang kann durch eine Vielzahl neuronaler Prozesse im Gehirn gestartet werden; Sinnessignale und Gedächtnisabrufe sind zumeist daran beteiligt. Es erscheint trivial, dass die letzte Stufe nur in dem einem Individuum ablaufen kann, dessen Muskeln angesteuert werden. Aber auch auf der phänomenalen Ebene gibt es keinen Vorgang, der diese Muskelansteuerungen irgendwie in einen Zusammenhang bringt, der mehrere Individuen umfasst. Wenn ich in einer Versammlung eine Rede halte, dann hat die phänomenale Bedeutung meiner Kehlkopfansteuerungen nur etwas zu tun mit der Tatsache, dass die Anwesenden meine Worte verstehen, also ihrer Hörsensorik eine phänomenale Bedeutung zuweisen sollen, nicht aber, dass sie ebenfalls mit Kehlkopfkommandos befasst sind. Für das ungelöste Problem, dass ich über phänomenale Gehalte anderer Individuen eigentlich keine Aussagen machen kann, verweise ich auf den Hirnbrief 5/6; 2011).

Einen Teil meines Nachdenkens wickle ich auf dem phänomenalen Niveau in "stummer Sprache" ab, die zum großen Teil wie normale Sprache, aber ohne Ansteuerung der Kehlkopfmuskeln abläuft, die aber zum Teil auch mit eher bild-artigen Darstellungen durchsetzt ist. Diese Sprache steht weder der Sensorik noch der Motorik besonders nahe. Eher motoriknah sind diejenigen phänomenalen Gehalte, die man zur Intentionalität zählt. In ihnen tritt das phänomenale Ich auf, beispielsweise in der Form "ich muss ein Brot kaufen", oder "ich will diese Schuhe anziehen", aber auch "ich beschließe, jetzt meinen Daumen zu bewegen". Letzterer Fall wird dem "Freien Willen" zugeordnet, sofern der Daumen sich tatsächlich bewegt. Es sei daran erinnert, dass man in einem naturwissenschaftlichen Sinne den Freien Willen ebensowenig versteht wie alle anderen phänomenalen Gehalte auch. Die eher zur Intentionalität zu zählenden Gehalte umfassen jedoch auch viele Fälle, bei denen keine eigene Motorik auftritt, wie etwa "ich wünsche, dass er kommt". Eine Zukunftsorientierung ist jedoch auch hier enthalten, vielleicht sogar eine Urvorstellung aus der Frühzeit der menschlichen Entwicklung, dass man nämlich den Lauf der Ereignisse in der Welt durch derartige Wünsche beeinflussen könne. Beten ist davon eine formalisierte Variante.

Über die Vergleiche in den letzten beiden Hirnbriefen wird man noch weiter nachdenken müssen.

zur 7/8. Woche 2010

Vergleich neuronal/phänomenal: (1) Sensorik Comparison neuronal/phenomenal: (1) sensory part

Im Gespräch kamen wir neulich auf einen PhiloExistenzsophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mir wurde von ihm ein ziemlich kurzes Textstück gezeigt, bei dem mir schien, als ob dieser Mann die rein physiologischen, im Prinzip verständlichen Leistungen des Gehirns mißachtete, und sie als irgendwie primitiv einstufte. Nur im Bewusstsein sollten sich die eigentlich beeindruckenden Leistungen finden lassen. (Vielleicht habe ich ihn ja auch falsch verstanden.) Auch anderswo findet man ja die Vorstellung, dass die Spitzenleistungen des Menschen der Werkzeuggebrauch, die genaue Beschaffenheit seiner Sprache, sowie das Nachdenken oder Reflektieren seien, die mehr oder weniger nur deshalb zustandekommen, weil der Mensch ein Bewusstsein habe. Aber was dieses mit den genannten Leistungen zu tun haben soll, wird nicht klar. Freilich können in ihrer Begleitung phänomenale Gehalte im Bewusstsein aufscheinen, aber das trifft ja auch schon zu für das gewöhnliche Anschauen eines Apfels.

Das genannte Gespräch gibt Anlass, so gut es geht, einige Begriffe sozusagen neuronal und phänomenal näher zu bestimmen und dann zu vergleichen. Zunächst ist eine grobe Parallelität offensichtlich: neuronale Sensorik hängt eher mit phänomenaler Wahrnehmung zusammen, neuronale Motorik mit phänomenaler Intentionalität, und mein physisches Ich mitsamt meinem Gehirn, mit meinem phänomenalen subjektiven Ich.

In keinem Fall kann es darum gehen, die phänomenalen Erscheinungen durch die neuronalen zu erklären, weil erstere im Rahmen der Naturwissenschaft nicht fassbar sind. Es geht nur um einen rein beschreibenden Vergleich. Es wundert mich, dass es einen derartigen Vergleich in der wissenschaftlichen Literatur nicht schon gibt.

Im Rahmen neuronaler Sensorik hat ein Außenweltereignis eine Berührung der Haut, eine ins Ohr/Auge dringende Schall-/Lichtwelle zur Folge, woraufhin sensorische Neurone erregt werden, die ihre Erregung zum Gehirn weiterleiten. Dort gibt es nach Filterart wirkende neuronale Teilnetzwerke, die den jeweiligen Einstrom in einen anderen neuronalen Erregungsstrom umsetzen, wobei im Teilnetzwerk zugleich die synaptischen Verknüpfungen abgeändert werden, in Abhängigkeit von zusätzlichen Erfolgs- bzw. Mißerfolgssignalen ("Erfahrung sammeln"). Mehrere solche Teilnetzwerke werden nacheinander durchlaufen, wobei z.T. dieselben Neurone mehrfach beteiligt sein können. Es kommt jedoch nicht immer zu einem motorischen Ausgangssignal, das in der Außenwelt als "Verhalten" erkennbar wird, sondern oftmals ist die Abänderung der synaptischen Verknüpfungen die einzige (zwar im Prinzip, jedoch nicht leicht in der Praxis) feststellbare physiologische Auswirkung.

Oftmals ist das phänomenale Niveau des Bewusstseins überhaupt nicht beteiligt an derartigen Vorgängen, obwohl dort zumindest im Bereich des Sehens (tagsüber) immer etwas "aufscheint" (siehe hierzu Hirnbriefe 45/46 bis 51/52;2010 und 3/4;2011). Hingegen Höreindrücke treten auf dem phänomenalen Niveau nur hin und wieder auf: wenn ich mit konzentriert mit einer Aufgabe befasst bin, scheint das (für neuronale Reaktionen hinreichend laute) Geräusch eines vorbeifahrenden Autos phänomenal nicht auf.

Die neuronalen Vorgänge erfolgen im Wesentlichen nacheinander, wohingegen es eine Besonderheit zumindest der visuellen Wahrnehmung ist, eher einem zeitlichen Integral über die neuronalen Erregungen zu ähneln. Kurzzeitige neuronale Vorgänge können phänomenal eine langanhaltende Bedeutung haben (siehe die genannten Hirnbriefe).

Wenn das motorik-ähnliche neuronale Signal "Aufmerksamkeit" aktiv ist, dann hängen die neuronalen sensorischen Vorgänge mit dem Entstehen oder zumindest der Auffrischung der phänomenalen Wahrnehmungsinhalte zusammen, wobei sich letztere nicht unbedingt verändern müssen. Nur   im Falle eines solchen Zusammenhangs kann eine kausale neuronale Wirkung ausgehen von einem Vorgang, der auch phänomenal in Form einer Wahrnehmung aufscheint.

Es fällt auf, dass die Wahrnehmung dadurch gekennzeichnet ist, dass das phänomenale subjektive Ich (siehe Hirnbrief 29/30; 2010) in Alltagssituationen zumeist nicht vorkommt, d.h. der phänomenal wahrgenommene Gehalt ist eher einfach "die Ampel zeigt Rot" oder "Mein Rücken schmerzt", als "ich sehe, dass die Ampel Rot zeigt", oder "ich spüre, dass mein Rücken schmerzt".  Dies steht im Gegensatz zu neuronalen sensorischen Vorgängen, bei denen es unmöglich ist, eine Beschreibung der beteiligten Vorgänge derart vorzunehmen, dass die neuronalen Vorgänge im physischen Ich (oder dessen Gehirn) nicht vorkommen. Da es im Bereich der Naturwissenschaften keine "Bedeutungen" gibt, können diese sich nur in Form von motorischen Ausgangssignalen oder aber Gedächtnisbildungen auf synaptischem Niveau manifestieren.

Es ist also zumindest möglich, und kommt in der Tat oft vor, dass meine phänomenalen Inhalte von Seh-, Hör- und Geruchswahrnehmungen  scheinbar als völlig objektive Tatbestände und losgelöst von meiner Wahrnehmungsperspektive dargestellt werden. Anders ausgedrückt, es wird phänomenal dargestellt, dass diese Wahrnehmungen mit mir nichts zu tun haben, sondern einfach existieren (siehe letzter Absatz von Hirnbrief 43/44;2010). Damit ist nicht unbedingt zum Ausdruck gebracht, dass jede andere Person dieselben Wahrnehmungen haben kann.

Davon muss man unterscheiden, dass die Existenz der phänomenalen Gehalte subjektiv bleibt, d.h. niemand außer mir kann wissen, dass ich die rote Ampel als vorhanden ansehe.
 
Als nächstes will ich ebenso die motorische Seite betrachten, was mir im Moment viel schwieriger zu sein scheint.

Comparison neuronal/phenomenal: (1) sensory part
Recently in a discussion we came to talk about a philosopher of the first half of the 20th century. I was shown a rather brief piece of text. It seemed to me that this man disdained the purely physiological, in principle understandable accomplishments of the brain, and considered them to be primitive. Only within consciousness one should find the truly impressive achievements. (Perhaps I understood him wrongly.) Elsewhere, too, one finds the idea that the most outstanding achievements are the use of tools, the structure of his language, and thinking and reflection, and that these achievements come about only because humans have consciousness. However, it is not clear in which respect consciousness is related to these achievements. To be sure, it is possible that some contents show up on the phenomenal level of consciousness while these top functions are carried out but this is true already for the mere perceiving of an apple.

The mentioned discussion motivates me to try to clarify some notions in neuronal and in phenomenal terms, and to compare them. A gross parallelity is immediately apparent: neuronal sensory events are rather related to phenomenal perception, neuronal motor events to phenomenal intentionality, and my physical body including my brain to my phenomenal subjective self.

In no case it will be possible to
explain the phenomenal notions by the neuronal ones because the former cannot be conceived in the framework of science. Yet, a mere description should be feasible. I am surprised that such descriptions are not available in the literature.

A sensory impression is a contact to the skin or a sound/light wave penetrating the ear/eye, etc. It triggers excitations of sensory neurones that are transmitted to the brain. There the sensory neuronal input is filtered by neuronal sub-networks and thereby transformed into another stream of excitations, accompanied by modifications of the synaptic connectivities and strengths which in turn depend on signals of success or failure ("gaining of experience"). Several subnetworks may be activated in succession, with possibly the same neurones participating in several functional subnetworks. A final motor output, recognisable as a behavioural act, is not a necessary outcome; instead, a mere transformation on the synaptic level may be the only physiological effect. The latter might be difficult to detect scientifically.

Often the phenomenal level of consciousness does not participate in such processes although at least in the domain of seeing
always something "shines up" during daytime (see brain letters 45/46 to 51/52;2010 and 3/4;2011). In contrast, auditory impressions show up on the phenomenal level only once in a while: if a task requires my full concentration I would not perceive the noise of a car passing by although the noise would be loud enough to easily excite auditory neurones.

The neuronal processes essentially occur sequentially while a special feature at least of the visual perception is, rather, to resemble a temporal integral over the neuronal processes: brief neuronal processes can have a phenomenally long-lasting significance (see the letters mentioned).

Whenever the neuronal signal "attention" (whose organisation resembles a motor signal) is active, then the neuronal sensory processes are related to the generation or at least to a refreshing of phenomenal perceptual contents. In the latter case they must not necessarily undergo a change.
Only in the case of such a phenomenal/neuronal link an effect can be causally determined by a process which also has a phenomenal consequence within consciousness.

It is noteworthy that perception is characterised by the fact that in everyday situations the phenomenal self (which perceives) does not appear: "the traffic light is red", or "my back hurts", rather than "I see that the traffic light is red", etc. This is in strong contrast to a scientific description of a sensory process which is impossible without mentioning the relevant elements of the
physical self (or its brain) such as the skin, eyes or ears. Since there are no "significances" within science, sensory processes can manifest themselves only as motor output, or as memory formation on the synaptic level.

Thus, it is at least
possible, and indeed occurs frequently, that my phenomenal contents related to visual, auditory or olfactory sensory signals seem to be objective facts, detached from my perspective. To say it in other words, the phenomenal representation is such that they appear as unrelated to myself. Instead they just exist as such (see last paragraph of brain letter 43/44;2010). However, this does not necessarily mean that other persons have the same perceptions. From this one has to distinguish that the existence of phenomenal contents remains subjective, i. e., no one except me can know that I consider the red traffic light as existing.

Next I shall consider the motor side in similar ways. This seems more difficult.

zur 5/6. Woche 2010

Sprache und Subjektivität Language and subjectivity

Neuronale Motorkommandos an Kehlkopfmuskeln, strukturierte Luftdruckwellen, sensorische Eingangssignale in auditive Hirnstrukturen, intrazerebrale Erregungen, sowie physische Personen mit Gehirnen: all diese Erscheinungen sind objektiv und lassen sich grundsätzlich in die Naturwissenschaft einordnen. Hingegen fällt das Verstehen der Sprache, und somit die Bedeutung der Luftdruckwellen, aus der Naturwissenschaft heraus (siehe dazu den Hirnbrief 4/2009). Nur ich stelle sozusagen in mir selbst fest, dass sowohl von mir ausgesendete als auch empfangene Sprachsignale etwas bedeuten. Solche Bedeutungen finde ich auf meinem subjektiven phänomenalen Niveau vor. Auch wenn jemand sagt, er verstehe meine Äußerungen, kann nur ich feststellen, dass für mich diese Aussage etwas bedeutet. Ich kann nicht feststellen, dass es einen phänomenalen Gehalt gibt, der nicht der mir normal zugängliche ist, der aber irgendwie mit jener anderen physischen Person genau so zusammenhängt, wie mein eigener phänomenaler Gehalt mit meinem physischen Körper.

Die naive Ansicht über die Sprache ist, dass die über die Sprechmotorik ausgesandten Signale keine physikalischen Auswirkungen in der Welt haben (*); hingegen kann ihre Bedeutung von anderen Menschen erfasst werden. Der erste Satzteil ist eine physikalische Aussage, aus der folgt, dass ein ziemlich störungsarmer neuronaler Verknüpfungsapparat ("Papageienkopplung") hergestellt werden kann, der die neuronalen Kehlkopf-Motorsignale für eine Sprachäußerung mit den kurz darauf eintreffenden eigenen neuronalen auditiven Sinnessignalen zusammenbringt ("ich höre, was ich sage"). Damit kann ein Nervensystem im Prinzip aus Schallwellen, die von einer anderen Person eintreffen, mit nur relativ pauschalem Aufwand ermitteln, welche Kehlkopf-Motorsignale dazugehören würden, um ziemlich ähnliche Schallwellen selbst auszusenden. Von "Bedeutung" ist dabei nicht die Rede.

Wegen der "Bedeutung" komme ich nun zurück zum im vorigen Hirnbrief erwähnten Affen, und zu einem Versuch (Hirnbrief 49/50, 2010), bei dem man in einem Gebiet des Gesichtsfelds "rot" wahrnimmt, obwohl dort grünes Licht hinprojiziert wird. Der Affe soll links/rechts eine Faust machen, wenn er rot bzw. grün sieht. Man gibt ihm zunächst eine Belohnung, wenn er überhaupt, vielleicht zufällig, eine Faust macht. Nach einigen Malen gibt man die Belohnung nur noch, wenn man ihm gewöhnliche rote oder grüne Flächen zeigt, und der Affe (zunächst zufällig) die "richtige" Hand zur Faust schließt (beide Fäuste zugleich: keine Belohnung). Alsbald hat der Affe die Aufgabe zuverlässig gelernt, wobei er die Belohnungsgabe maximiert hat. Anschließend kann man schauen, auf welcher Seite der Affe die Faust macht, wenn er die o.g. Versuchsanordnung anschaut.

Jetzt geht es allerdings nicht um Wahrnehmung, sondern dass der Affe eine aus nur 2 Wörtern "rot" und "grün" bestehende Faustzeige-Sprache erlernt hat. Viele Affen mögen von mir so dressiert worden sein. Der Satz "linke/rechte Faust bedeutet rot/grün" wäre, übertragen auf den Fall menschlicher Sprache: "Eine bestimmte genau strukturierte Schallwelle bedeutet Rot", oder "ich verstehe, dass jemand von Rot redet".

Nun habe ich das Beispiel hinreichend einfach gewählt, so dass es möglich sein sollte, den ganzen Vorgang mit Rot und Grün und mehreren Affen komplett naturwissenschaftlich zu beschreiben, ohne dass auf die Bedeutungen "rot" oder "grün" zurückgegriffen wird. Ich bin gespannt, ob man an der naturwissenschaftlichen Beschreibung irgendwie erahnen kann, wie die Subjektivität und die Bedeutung hereinkommt, die es ja in der Naturwissenschaft nicht gibt.

Ich habe also eine Beschreibung angefertigt, immer mit Vergleichen zum menschlichen Säugling. Ein Text, doppelt so lang wie dieser Brief, entstand, den ich hier jedoch nicht wiedergebe, weil er nämlich enttäuschend war: Es entstand keinerlei Plausibilität im Hinblick auf "Bedeutung". Schlimmer noch: es kam dabei auch heraus, dass die künstlich andressierten "Sprachen" der Affen, wegen der Art der Belohnungsdressur, nicht mit der menschlichen Sprache verglichen werden können.

Vielleicht habe ich es nicht richtig gemacht. Fordert man jemanden auf: "Sag mal irgendein Wort", dann sagt kaum jemand "mit" oder "auch", sondern zumeist werden Substantive, bestenfalls Adjektive genannt. Mit "rot" oder "grün", und nichts weiter, kann ein Affe sicherlich nichts anfangen. Beim Menschen sagt man so obenhin, dass er nun vielleicht an eine Farbe denkt. Aber Farben oder Gegenstände sind keine elementaren Funktionseinheiten neuronaler Tätigkeit, es gibt sie als Entitäten nur auf dem phänomenalen Niveau des Bewusstseins.

Jetzt muss ich erstmal überlegen, wie ich weitermache. Es gibt ja auch noch den am Ende des Hirnbriefs 47/48 (2010) abgebrochenen Gedankengang. Letztlich hängt ja doch alles zusammen.


Language and subjectivity

Neuronal motor commands to throat muscles, structured waves of air pressure, sensory input signals to auditory brain regions, intracerebral excitations, as well as physical persons with brains: all these phenomena are objective and they can be integrated into science. In contrast, the
understanding of language, implying a significance of the air waves, are excluded from science (see letter 4/2009). Only I can state, as it were, within myself that there is a significance of the speech signals sent out by me and also received by me. I find these significances on my subjective phenomenal level. Also, when someone says that he understands my utterances, only I myself can state that that statement signifies something to me. I am unable to state that a phenomenal contents exists which is not the one which is normally accessible to me, but which, instead, is somehow related to that other physical person in the same way as my ensemble of phenomenal contents is related to my physical body.

The naive view about language is that the signals sent out by the activation of throat muscles have no effect in the world (*); however, their significance can be captured by other humans. The first part of that sentence is a physical statement from which follows that a rather disturbance-free neuronal connection apparatus can be constructed (the "parrot coupling"). This apparatus establishes a tight association of throat motor signals with own auditory signals arriving shortly thereafter ("I hear what I say"). This machinery allows, with a moderate cross-the-board expenditure, to deduce from speech signals arriving from another person, which throat motor commands are required to reproduce these auditory signals. This has nothing to do with "significance".

With respect to  "significance" I now go back to the monkey mentioned in my last letter, and to an experiment (letter 49/50, 2010) in which one perceives "red" within an area of one's visual field although the light projected there is green. The monkey shall be trained to form a left hand/right hand fist whenever he sees a red or green spot, respectively. At the outset he is given a reward whenever, perhaps by chance, he forms a fist. After a while one gives the reward only when he is shown red or green surfaces, and he closes the hand on the correct side (both fists together: no reward). Soon the monkey will have learned the task, thereby maximizing the reception of rewards. Thereafter one can look which fist the monkey will close when he views the colour experiment mentioned above.

However, now the matter is not "perception". Rather, the focus is on the idea that the monkey has learned a "fist-language" consisting only of the words "red" and "green". Suppose that many monkeys have been trained in this way. The sentence "left/right fist signifies red/green", transposed to the case of human language, would be "A certain well-structured sound wave signifies red or green" or "I understand that someone talks about 'red' or 'green'".

I have choosen this particularly simple example of a language because I believe that it should be possible to describe the complete process including the training in scientific terms, without any reference to "significances". I am curious whether this text will then contain some plausible hints to the appearance of "significances" and "subjectivity", both these terms not existing within science.

Thus, I have made such a description (2 times as long as the present letter), with references to human infants. Here I do not reproduce the text because it was disappointing to me: no such plausibilities became apparent. Still worse: it emerged that the artificial monkey "languages" obtained by training cannot be compared to human language, because of the nature of the rewards.

Perhaps I did not do it in the right way. If one asks somebody to say a word, then rather no one would say "with" or "too". Mostly, nouns or adjectives are mentioned. Certainly to a monkey "red" (without anything else) makes no sense at all. For humans one says casually that he now "thinks of a colour". However, colours or objects are no functional units of neuronal activity; they only exist as entities on the phenomenal level of consciousness.

Now I have to think how to continue. There is also a discontinued ending left over from the end of letter 47/48 (2010). Anyhow, all this is only
one big story.

zur 3/4. Woche 2010

Neuro-Nichts Neuro-Nothing

Dieser Brief ist eine Fortsetzung zu den Texten 45/46 bis 51/52. Es wird jetzt neurophysiologisch konkreter. Die visuelle Verarbeitung im Gehirn betreffend, haben zahlreiche Forscher zwei schon in der Netzhaut des Auges unterscheidbare Verarbeitungspfade gefunden, nämlich ein "Was"- und ein "Wo"- oder auch "Wie"-System. Man hat dies zunächst bei Affen, dann auch über Hirnverletzungen, und vermutlich auch über funktionelle bildgebende Verfahren beim Menschen gefunden. Völlig getrennt sind diese Pfade nicht, aber es gibt sozusagen diese beiden Verarbeitungsschwerpunkte. Patienten mit Störungen im "Was"-System können eine Tasse nicht als solche erkennen, aber sie können sie (visuell gesteuert, ohne zu zögern) richtig anfassen und daraus trinken. Es gibt dazu zahlreiche weitere Befunde von Affen und Menschen. Die "Wo/wie"-Neurone sind besonders empfindlich für Bewegungen und Änderungen aller Art.

Aus diesen Befunden mache ich folgende Geschichte:

"Wo/wie" ist die Grundlage für fertige visuelle Routineprozeduren, bei denen schon eine Verbindung zwischen dem Gesehenen und der gewünschten Motorik existiert, z.B. beim Gehen durch ein Gebäude nicht an die Wände oder Türrahmen zu stoßen, oder eben eine Tasse zu ergreifen. Die Aktivität dieser Neurone trägt nicht zu phänomenalen Wahrnehmungsinhalten bei, und hinterläßt auch keine Spur in einem episodischen Gedächtnis. Die prozeduralen Leistungen werden jedoch, wie beim Fahrradfahrenlernen, durch Wiederholungen verbessert (prozedurales Gedächtnis). Dieses System arbeitet ein wenig so wie das Hören (siehe Hirnbrief 7/8;2010): man hört nur etwas wenn "etwas passiert". Wenn diese sehr änderungsempfindlichen Neurone, vielleicht nur auf einem hohen Verarbeitungsniveau nach mühevollen Analysen (siehe og. Briefe), "keine Änderung" feststellen, dann wird die Tätigkeit der "Was"-Abteilung blockiert. Sie öffnen sozusagen das Tor zum "Was" nur in den Momenten von Änderungen. Wenn viel Wesentliches passiert, kann das Tor durchaus längere Zeit durchgehend geöffnet sein. Bis hierhin ist alles strenge Naturwissenschaft.

Ist das Tor geschlossen, so nehme ich phänomenal dennoch etwas wahr, aber es ist etwas Altes, nämlich das, was bei der letzten Änderung in die "Was-"Abteilung hineingelassen wurde. Es behält weiterhin, bis zur nächsten Änderung, phänomenal seine Gültigkeit. So kann ich ohne Aufmerksamkeitszuwendung stundenlang das Bücheregal hinter meinem Schreibtisch wahrnehmen, und ich erspare meinen "was"-Neuronen eine erhebliche Analyseleistung (die ständig zum gleichen Ergebnis käme). Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass das Gehirn durchaus einen beachtlichen Teil seiner Leistung bereitstellt für die Feststellung "nichts hat sich geändert", wobei der Hirnforscher sich vielleicht wundern wird, dass da überhaupt nicht an der Aktivität ersichtlich ist, was sich da nicht ändert. Hingegen wenn sich doch etwas ändert, dann erwartet man, dass die neuronale Aktivität die Natur dieser Änderung wiedergibt.

Bislang habe ich keinen Hirnforscher getroffen, der glaubt, dass ich tatsächlich phänomenal etwas Visuelles wahrnehmen kann, ohne dass irgendwelche Neurone zu diesem Zwecke tätig sind. Freilich geht das nur, wenn zu einem früheren Zeitpunkt die Neurone in geeigneter Weise tätig waren, diese Aktivität jedoch längst beendet ist. (Wohlgemerkt hat das mit Gedächtnis nichts zu tun.) Es steht schon an verschiedenen Stellen in meinen Hirnbriefen, dass die phänomenalen Gehalte des Bewusstseins, und dazu gehören alle visuellen Wahrnehmungsinhalte, allein schon wegen ihrer Subjektivität nicht in die Naturwissenschaft eingeordnet werden können. Folglich darf ein ernsthafter Hirnforscher keine aus der Naturwissenschaft stammenden Forderungen an sie stellen, wie etwa, dass sie nur in zeitlicher Begleitung zugehöriger neuronaler Prozesse existieren können.

Ob es im räumlichen Bereich (Hirnbrief 49/50;2010) eine ebensolche Rollenaufteilung zwischen Was und Wo/wie gibt, weiß ich nicht. Auf jeden Fall geschieht aber im räumlichen und im zeitlichen Fall phänomenal genau dasselbe. In beiden Fällen nehmen die "Was-"Neurone keinerlei physiologische Wieder-Ausfüllungen der räumlich oder zeitlich konstanten Bereiche vor. Das Nervensystem muss ja nur richtig zurechtkommen mit der Art der neuronalen Darstellung, es muss dazu aber kein Bild oder keinen Film herstellen.

Wenn man also den Versuch mit der großen roten (nicht auf der Netzhaut stabilisierten) und der kleineren grünen superponierten (auf der Netzhaut stabilisierten) Fläche durchführt (siehe Hirnbrief 49/50; 2010), dann kann man vereinbaren, dass der Proband einen links/rechts angeordneten Knopf drückt, wenn er im Gebiet der kleineren Fläche rot/grün wahrnimmt. Ist der Proband ein Chinese, und der Versuchsleiter kann kein Chinesisch, so dass er die Wörter für rot und grün nicht kennt, dann kann er zuvor gewöhnliche rote und grüne Reize zeigen, und die Zuordnung zu den Knöpfen irgendwie verdeutlichen, bis er sieht, dass der Chinese die Knöpfe in der richtigen Weise drückt. Man kann dann aus dem Ergebnis des eigentlichen Versuchs (volkstümlich ausgedrückt: "man sieht Rot im Gebiet der eigentlich mit grünem Licht beleuchteten Fläche") schließen, dass die neuronale Verarbeitung, die zum Drücken eines der Knöpfe herangezogen wurde, so ist wie diejenige, die auf eine durchgehend rote Fläche erfolgen würde. In diesem Sinne hat der Chinese alles richtig gemacht; der Versuch wurde naturwissenschaftlich korrekt abgewickelt. Man kann aber daraus nicht schließen, dass der Chinese an der betreffenden Stelle Rot wahrgenommen hat, wie man ohnehin auch nicht schließen kann, dass er dieses Gebiet als eine ausgedehnte Fläche, oder gar, dass er überhaupt etwas wahrgenommen hat.

Man hat derartige rein naturwissenschaftlich organisierte Versuche auch an Affen angestellt, mit vergleichbaren Ergebnissen. Aus diesen wurde geschlossen (wer Hirnforscher kennt, ahnt schon, was passiert ist), dass beim Affen eine Wahrnehmung wie beim Menschen stattfindet. Ist das nicht erschütternd?

Gibt es hingegen kein Sprachproblem mit dem Probanden, dann versteht der Versuchsleiter dessen sprachliche Äußerung "ich sehe eine durchgehend rote Fläche". Damit komme ich zu dem im vorigen ("Überblicks"-)Hirnbrief angekündigten problematischen Zusammenhang zwischen Sprache und Subjektivität. Na, mal sehen, ob ich dazu bis zum nächsten Hirnbrief etwas zustandebringe.



Neuro-Nothing
This text is the continuation of the texts in the letters 45/46 to 51/52. Now it becomes neurophysiologically more concrete. Many researchers have found in the visual systems of monkeys and humans that there are two processing pathways that are already segregated in the retinae, namely a "what"-system and a "where" or "how"-system. The pathways are not entirely separated but there are these two main streams. Patients with lesions in the "what"-system cannot recognize a cup as such but (without hesitation, by visual guidance) they can take a cup appropriately and drink from it. There are many further findings about these topics in monkeys and humans. The "where/how"-neurones are particularly sensitive to movements and changes of all kinds.

From these findings I make the following story:
"Where/how" is the basis of readymade visual procedures for which a connection between the visual scene and the desired motor commands already exists, such as the ability to walk through a building without hitting the walls or the door cases, or, as above, to take a cup. The activity of these neurones does not contribute to phenomenal contents of perception, and it leaves no trace in form of an episodic memory. The procedural performance is improved by repetitions (as with bicycle riding; procedural memory). This system operates in similar ways as hearing (see letter 7/8, 2010): One only hears something when "something happens". When these neurones, being very sensitive to change, establish by their discharges that "there is no change" then the activity of the "what" system is blocked. Note that the assessment of "no change" may be elaborated on a higher processing level (see the letters mentioned above). Thus, the gate to the "what" system is only opened at instants of change. When many relevant events occur in succession the gate may well remain open for prolonged periods. Up to this point all is compatible with science.

My perception is uninterrupted during 16 hours a day. This must necessarily be so also during periods of gate closure. However, what I then perceive is old. Namely it is the scene that came in during the last instant of change. It remains phenomenally valid till the next change. In this way I can inattentively perceive the bookshelf in front of my desk for many hours, and the perception is necessarily absolutely constant. The neuronal "what" system saves a lot of analysis power which anyhow would lead to the same result for all these hours. It is important to realise that the neuronal system allocates a good fraction of its power for the high-level detection of "no change". Perhaps the brain researcher will be surprised that the corresponding activity does not give hints as to
what did not change, in contrast to the instants of change at which the neuronal activity will certainly be related to the actual visual scene.

So far I never encountered a neuroscientist who was willing to believe that indeed I can perceive a visual scene phenomenally without any neurone being active at that instant for that purpose. Obviously this can only happen when the neurones have been active appropriately at some earlier time but meanwhile the activity has ceased completely. Note that this has nothing to do with physiological memory. I have stressed in several earlier letters that it is not allowed to claim that scientific relationships must be applicable for entities that are no part of science. "Visual perception is a consequence of neural activity" is such a claim, with "perception" being a process on the phenomenal level which is inaccessible to science. This does not mean that there is no relationship whatsoever to cerebral activity.

I do not know whether there is a where(how)/what-segregation in the spatial domain (letter 49/50;2010). Anyhow, the processes are strictly analogous in the spatial and the temporal domains. In both cases the activity of the "what" neurones does not refill-in the spatially or temporally constant regions. The neuronal system must only be able to
cope correctly with the way how the visual data are coded. For this, it need not make an image or a movie.

Thus, when the experiment of letter 49/50 (2010) is done, namely to view a large red field that is not stabilised on the retina, and within the former a smaller green field whose borders are strictly stabilised, then one can make the agreement that the subject presses a button at left/right when s-he perceives red or green, respectively, in the region of the smaller field. If the subject is a chinese, and experimenter and subject do not understand a common language, then red and green objects may be shown and somehow one may try to get the subject press the corresponding button when ordinary red or green objects, resp., are shown. What happens is (expressed in popular terms): one sees red in the area illuminated by green light. However, one can only conclude from the way how the chinese presses the buttons that the neuronal processing leading to the button pressing is the same as if the surface was physically illuminated by red light everywhere. The chinese performed correctly, and everything was done according to scientific principles. However, one must not conclude from that experiment that the chinese
perceived a red surface. Anyhow one cannot conclude neither that s-he perceived an extended surface, or in fact, that s-he perceived anything at all.

Such experiments, in strict agreement with scientific principles, were also done with monkeys, and the results were similar. However, from the latter it was concluded (those who know neuroscientists guess what has happened) that the perception of monkeys is similar to that of humans. Is this not upsetting?

If there is no language problem with the subject, the experimenter can
understand the utterance "I perceive a continuous red surface". Here I arrive at the problematic link (announced in the previous overview letter) between language and subjectivity. It remains to be seen whether I can achieve something relevant till the next letter.
 

zur 1/2. Woche 2010

Überblick  Overview

Mit dem Beginn des neuen Jahres gebe ich ein Überblick über mein Bemühen um das Bewusstsein. Ich schreibe nichts, was ich schon von vornherein weiß, sondern die Briefe geben das wieder, was gedanklich gerade hinzukommt. Freilich ist vieles redundant.

Es geht um die Natur der Beziehungen zur Gehirnaktivität und zur klassischen Naturwissenschaft. Vorwiegend will ich Erscheinungsformen des Bewusstseins betrachten, die im Wachzustand, und bei Gesundheit im Alltag ständig auftreten. Es sind diejenigen, die zumeist nicht als rätselhaft empfunden werden; vielmehr dominiert die Idee "Das ist doch ganz klar; anders kann es doch gar nicht sein".

Das Bewusstsein ist kein Teil der Naturwissenschaft, weil es erstens subjektiv ist (d.h. niemand außer mir kann wissen, was in meinem Bewusstsein aufscheint), und man zweitens die Bewusstseinsinhalte am ehesten als Bedeutungen von neuronalen Vorgängen auffassen kann, wobei jedoch "A bedeutet B" ganz allgemein keine naturwissenschaftliche Beziehung ist. Dennoch kann man versuchen, nach Organisationsprinzipien der Bewusstseinsinhalte zu suchen. Bewusstseinsinhalte befinden sich auf dem phänomenalen Niveau (des Bewusstseins), und dieses Niveau steht dem neuronalen Niveau gegenüber, auf dem sich neuronale Prozesse einschließlich Plastizität befinden. Die Verbindung zwischen diesen zwei Niveaus ist naturwissenschaftlich nicht fassbar. Vorsicht ist geboten, weil viele Gelehrte versteckte Annahmen über diese Verbindung machen, wodurch scheinbar das Bewusstsein näher als gerechtfertigt an die Naturwissenschaft herangerückt wird.

Ein großes Problem bei diesem Vorhaben ist die Sprache, weil eigentlich, egal wie man es dreht oder wendet, Bewusstseinsinhalte subjektiv bleiben, also auch nicht sprachlich übertragbar sind. Dennoch ist das Reden und Schreiben über Bewusstseinsinhalte weit verbreitet, und man sieht es ja auch hier. Was ist es denn dann, über strukturierte physikalische Luftdruckwellen hinaus, was man da sendet und empfängt? Und ist es eine Übertragung zwischen naturwissenschaftlich fassbaren Entitäten, oder sind phänomenale Anteile beteiligt? Hierzu muss ich einen anderen Brief schreiben, wenn wohl ich befürchte, dass ich da ein momentan unüberwindlich erscheinendes Riesenproblem vor mir habe. (Andere, die große Flut von Vorträgen über das Bewusstsein am Laufen halten, scheinen da kein Problem zu sehen.)

Einiges halte ich für Fortschritte.

Um die Subjektivität zu erfassen, habe ich ein Kosmos-Konzept ("Neurokosmos") herangezogen (Hirnbriefe 21;2009 und 43/44;2010).

Auf dem phänomenalen Niveau tritt beim Sehen "Identität" auf: Ein Stuhl erscheint identisch mit demselben vor 1 Stunde, wohingegen in solchen Fällen auf dem neuronalen Niveau stets nur "Ähnlichkeit" zu finden ist. Die phänomenale "Identität" bringe ich in Zusammenhang mit dem ZIP-Datenkompressionsverfahren (Hirnbrief 52;2009), das darauf beruht, dass ein jedes Detail nur einmal als Prototyp abgespeichert wird, und eine Liste angelegt wird von den Stellen, an denen im Original dieser Prototyp einzusetzen ist. Dieses bedeutet wiederum, dass der phänomenale Eindruck nicht von gegenwärtigen neuronalen Echtzeitdaten herrührt, sondern man nimmt den vor längerer Zeit erstellten Prototyp wahr. Man sieht etwas (neuronal) Altes, dafür aber immer wieder in identischer Form. Wohlgemerkt handelt es sich dabei nicht um den Abruf aus einem physiologischen Speicher, denn wiederholte neuronale Abrufe wären einander auch wieder nur ähnlich. Die phänomenale Identität erscheint hier als eng verknüpft mit dem Entstehen des Zeitkonzepts (der "Liste").

Hiermit verwandt ist die absolute und perfekte (und nicht etwa nur ungefähre) phänomenale Stabilität der visuellen Wahrnehmung vor allem bei Blickbewegungen. Ebenfalls hierzu gehört die wahrgenommene (also phänomenale) Konstanz eines neu aufgetauchten oder eingeschalteten, dann langanhaltenden Reizes, obwohl der Zeitverlauf der zugehörigen neuronalen Erregungen weit von einer Zeitkonstanz entfernt ist (Hirnbriefe 7/8 und 9/10;2010). Hier läßt sich sagen, dass ein kurzzeitiger neuronaler Vorgang (nämlich nach dem Einschalten) einen langanhaltenden phänomenalen Eindruck bedeuten kann, der gültig bleibt, bis erneut ein solcher, ebenso kurzzeitiger neuronaler Vorgang die bisherige Bedeutung überschreibt. Der Zeitverlauf des phänomenalen Gehalts ähnelt einem Integral über die neuronalen Erregungen. Weiterhin ist die Notwendigkeit, neuronale Prozeduren (z.B. "ein Nest bauen") unterbrechen und später fortsetzen zu können, mit demselben Thema verknüpft. Alle diese Geschichten zeigen, dass das grundsätzlich in Echtzeit arbeitende Nervensystem (es gibt nur gegenwärtige neuronale Prozesse; auch eine Erinnerung ist ein gegenwärtiger neuronaler Prozess) über ein phänomenales Konzept mit den in Nicht-Echtzeit erscheinenden phänomenalen Gehalten zusammenhängt. Aus allen diesen Punkten eine einheitliche Geschichte zu machen, habe ich noch nicht geschafft, zumal auch das Neurokosmos-Konzept (Hirnbrief 43/44;2010) dort mit hineingehört. Die Einbindung des letzteren Konzepts, und damit der Subjektivität, ist besonders schwierig.

Es gibt gute Gründe, den stammesgeschichtlichen Ursprung des Bewusstseins bei den Spiegelneuronen der Affen zu suchen (Hirnbrief 31;2009 und "schizophrenia and monkeys" in http://www.brain.uni-freiburg.de/kruger). Auch diesen Zweig muss ich noch weiter verfolgen, wegen der Einsichten, die man bezüglich Motorik gewinnen kann.

Schließlich bleiben einige Anmerkungen. Nämlich kann man das Bewusstsein vermutlich deshalb nicht im naturwissenschaftlichen Sinne erfassen, eben weil da eine Art Integral über kurzzeitige Erregungen gebildet wird, und man nicht weiß, wann dieses Integral begonnen wurde, und es deshalb von nicht mehr auffindbaren (bis in die Phylogenese zurückreichenden) individuell unterschiedlichen früheren Beiträgen abhängt. Zugleich folgt daraus, dass visuelle Wahrnehmungen ganz ohne zugehörige gleichzeitige neuronale Datenverarbeitung möglich sind (Hirnbrief 3;2009), womit sich auch erklärt, dass das Nervensystem nicht überlastet wird durch die (nur phänomenale) Bereitstellung, im ganzen Gesichtsfeld, von 16 Stunden ununterbrochenen visuellen detailreichen scharfgezeichneten Strukturen, die aber zumeist für längere Zeit dieselben sind. Weiterhin ist anzumerken, dass der Vorgang der "Beobachtung" kein rein neuronaler Prozess ist, sondern ein Übergang vom naturwissenschaftlichen neuronalen zum phänomenalen Niveau (Hirnbrief 9/10;2010), und er somit ebenso unverständlich ist wie der Freie Wille, welches der Übergang in umgekehrter Richtung ist. Der Freie Wille erscheint nur denjenigen Gelehrten als besonders unerklärlich, die meinen, dass alle übrigen Sachverhalte, die mit dem Bewusstsein zusammenhängen, sich irgendwie schließlich als naturwissenschaftlich erklärbar erweisen werden, wobei sie vorsichtshalber die Subjektivität verdrängen, hingegen die "Bedeutung" mit zu den naturwissenschaftlichen Beziehungen zählen.

        

Es gibt noch viel zu tun, während die expertenbegutachtete Niedrigrisiko-Hirnforschung voraussichtlich weiterhin leichtfertig mit dem Thema umgehen wird. Die Ruheständler müssen doch wieder die hohen Erfolgsrisiken alleine schultern.


Overview
At the beginning of the new year I give an overview of my endeavours about consciousness. I do not know beforehand what I shall write; the letters render what newly comes to my mind. Of course, much of what I expose is redundant.

The main topic is the nature of the relationships to brain activity and to classical science. Mainly I want to consider manifestations of consciousness in the state of wakefulness and health that occur in everyday life. These are usually not considered to be enigmatic. Rather, the idea dominates: It's obvious, it cannot be otherwise".

Consciousness is not a part of science because firstly it is subjective (i.e., no one except myself knows what appears in my consciousness), and secondly because one considers the contents of consciousness as significances of neuronal processes. However, "A signifies B" is quite generally no relationship belonging to the realm of science. Yet, it is possible to search for principles of organisation of the contents of consciousness. The contents of consciousness resides on the phenomenal level (of consciousness). That level is opposed to the neuronal level on which reside neuronal processes including plasticity. The connection between these two levels is not comprehensible in terms of science. One has to be cautious because many scholars make hidden assumptions about this connection so that it appears more closely connected to science than it actually is.

Language is a huge problem in this undertaking because actually the contents of consciousness is subjective and consequently cannot be communicated. Yet, talking and writing about phenomenal contents of consciousness are commonly encountered, as it can be seen here. Whatever else is it, beyond structured physical waves of air pressure, that is sent and received? And is it a transfer between physical entities, or are there phenomenal components? For this, I will have to write another letter but I feel that I face a gigantic problem. (Others who keep the broad flood of talks about consciousness running apparently see no problem with language.)

I consider some points as progresses:

In order to cope with subjectivity, I have drawn on a cosmos concept ("neurocosmos"; letters 21;2009 and 43/44;2010).

In contexts of seeing, "identity" appears on the phenomenal level: a chair appears as identical with the same one 1 hour ago. In contrast, in such cases one finds only "similarity" on the neuronal level. I relate this to the ZIP-procedure of data compression (letter 52;2009) which is based on a procedure in which each item is stored only once as a prototype, and a list is dressed of the places where the prototypes have to be inserted into the original. Applied to seeing, this implies that the phenomenal impression is not derived from the present neuronal real-time data. Rather, one perceives the prototype that has been formed at some time in the past. Thus, one perceives something which is neuronally old. However, precisely for that reason, it appears each time to be identical. Note that it is not a matter of a recall from a physiological memory because repeated recalls would again at best only be similar to each other. Thus, phenomenal identity appears to be closely related to the generation of the concept of time (of the "list").

This has also a bearing on (i) the absolute and perfect (and by no means only approximative) phenomenal stability of visual perception, in particular when the direction of gaze is changed, and (ii) on the perceived immediate onset of the phenomenal constancy of a newly appearing or just activated long-lasting stimulus although the corresponding neuronal time course is far from time constant (Letters 7/8 and 9/10;2010). Here one can say that a brief neuronal event can signify a long-lasting phenomenal event which remains valid until it is overwritten by a (similarly brief) new neuronal event. The time course of the phenomenal contents resembles an integral over the neuronal excitations. Furthermore (iii) the subject is related to the necessity to be able to interrupt neuronal procedures (for instance, to build a nest) and later continue them (letter 5/6;2010). All these points show that the nervous system that operates, by principle, in real time, is related via a phenomenal time concept to the phenomenal contents which appear in non-real time. Note that "neuronal systems operating in real time" means that all neuronal processes, including recalls from memory, are present processes. So far I was not successful to unite all points mentioned to a single story, all the more so as also the concept of the neurocosmos (letter 43/44;2010) has to be inserted into it. The latter part is particularly difficult.

There are good reasons to relate the origin of consciousness to the neuronal mirror system of monkeys (letter 31;2009 und "schizophrenia and monkeys" in http://www.brain.uni-freiburg.de/kruger). I have to continue this path because particular insights may be gained about the relation of consciousness to motor events.

Finally I want to make some remarks: One possible reason why consciousness cannot be related to science may be that within consciousness an integral over brief neuronal events is formed, and no one knows the instant at which the integral has been begun. Thus, the actual integral may depend on individually differing contributions that may reach back into phylogeny, and which are no longer accessible. At the same time one concludes that visual perceptions are possible without any accompanying simultaneous neuronal processing (Letter 3;2009). This in turn explains why the nervous system is not overloaded by the (phenomenal) supply of 16 hours of uninterrupted, detailed, and well focused visual structures within the entire visual field which, however, are most often the same for prolonged time spans. Furthemore one has to bear in mind that the process of "observation" is not a purely neuronal process. Rather, it is a transition from the neuronal (scientific) to the phenomenal level (letter 9/10;2010). Thus it is an incomprehensible as the free will which is the transition in the opposite direction. The free will seems particularly inexplicable only to those scholars who believe that all remaining features of consciousness may finally be explained within the framework of science, while they usually repress the subjectivity of consciousness but take "significance" as the designation of a scientific relationshipMuch remains to be done, while the low-risk brain research (examined by experts) will continue to take the topic easy. It is the retired people who have to  shoulder the high risks of success.